Fahrtüchtigkeit im Alter:Warum Senioren freiwillig den Führerschein abgeben

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  • Senioren sind zunehmend in Verkehrsunfälle verwickelt und lösen immer wieder Karambolagen aus.
  • Der Deutsche Anwaltverein fordert verpflichtende Tests für das Autofahren im Alter, Automobilclubs halten freiwillige Untersuchungen für ausreichend.
  • Einige Städte bieten nun kostenlose Bustickets an, wenn ältere Leute ihren Führerschein abgeben - und haben damit großen Erfolg.

Von Christian Rost, Mindelheim/Kaufbeuren

Die Spanne reicht vom kleinen Rempler beim Ausparken vor dem Supermarkt über den Auffahrunfall an der Ampel bis zur Geisterfahrt auf der Autobahn. Senioren sind schon aufgrund der demografischen Entwicklung immer häufiger in Verkehrsunfälle verwickelt und aufgrund ihrer mangelnden Seh- und Reaktionsfähigkeiten auch Verursacher von Karambolagen.

Der Deutsche Anwaltverein fordert deshalb verpflichtende Tests für das Autofahren im Alter. Automobilclubs wie der ADAC indes halten freiwillige Untersuchungen für ausreichend, um die Fahrtüchtigkeit bei Senioren festzustellen. Weil es bislang keine einheitliche Regelung gibt, setzen immer mehr Kommunen und Landkreise auf ein Belohnungssystem.

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Die Stadt Kaufbeuren startet am 1. Mai eine solche Aktion und bietet Senioren, die freiwillig ihren Führerschein abgeben, ein Jahr lang kostenloses Busfahren. Im Landkreis Unterallgäu ist der Tausch des Führerscheines gegen ein Jahresticket für den öffentlichen Personennahverkehr schon seit dem 1. Januar möglich. Und dort hat das Angebot eingeschlagen "wie eine Bombe", sagt Rita Helms von der Führerscheinstelle in Mindelheim.

Ältere Autofahrer sind in der Regel zwar langsamer und vorsichtiger im Straßenverkehr unterwegs. Es fällt ihnen dennoch häufig schwerer, den Überblick zu behalten. Jeder zweite Geisterfahrer auf Autobahnen oder Bundesstraßen ist Älter als 65 Jahre - darauf verwiesen Verkehrsrechtler des Deutschen Anwaltvereins beim jüngsten Verkehrsgerichtstag im Januar.

Und auch auf lokaler Ebene sprechen die Zahlen für sich, wie das Beispiel Unterallgäu zeigt: Dort muss die Führerscheinstelle im Landratsamt mittlerweile jährlich in mehr als 100 Fällen Alters- oder Krankheitsüberprüfungen bei Autofahrern anordnen. Tendenz steigend.

Manchem fehlt die Einsicht

Entweder bitten Familienangehörige das Amt um Rat, weil der Opa oder die Oma nicht vom Auto lassen wollen, obwohl die Fahruntüchtigkeit offenkundig ist. Oder die Polizei meldet der Führerscheinstelle Unfälle, bei denen Senioren die Situation im Straßenverkehr nicht mehr unter Kontrolle hatten und dennoch nicht freiwillig aufs Autofahren verzichten wollen. "Da fehlt die Einsicht", weiß Führerscheinexpertin Helms. Die Behörde ordnet dann eine Art Fahrprüfung für die Senioren an, die sie nur in den seltensten Fällen bestehen.

Rita Helms war überrascht, als sich zu Jahresbeginn etwa 60 ältere Menschen meldeten und für das Führerschein-Tausch-Angebot im Kreis Unterallgäu interessierten. Die Motivationen, über die freiwillige Abgabe des Führerscheins nachzudenken, sind unterschiedlich.

Manche Senioren fühlten sich krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage, sich selbst ans Steuer zu setzen. Andere hätten gemerkt, dass es bei manchen Situationen im Verkehr schon "ein bisserl knapp" geworden sei, berichtet Rita Helms. Und wieder andere fahren ohnehin schon länger nicht mehr mit dem eigenen Wagen und wollen das Zuckerl, ein kostenloses Busticket für immerhin ein Jahr, einfach mitnehmen.

Alle Interessenten vereint aber eines wie, Helms sagt: "Ein gewisses Verantwortungsgefühl. Sie möchten nicht, dass jemand zu Schaden kommt." Äußerlich hätten die meisten Interessenten noch recht rüstig gewirkt, sagt Helms. Sie seien aber so selbstkritisch, das sie sich aus eigenem Antrieb für den Verzicht entschieden.

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Einen Führerschein zu besitzen, bedeutet Freiheit. Gerade, wer nicht mehr gut zu Fuß ist, weiß die Mobilität mit dem Auto beim Einkaufen oder für den Arztbesuch zu schätzen. Umso bemerkenswerter ist es, dass sich im Unterallgäu seit Jahresbeginn bereits 31 Senioren dafür entschieden haben, künftig ganz aufs Autofahren zu verzichten.

22 Frauen und neun Männer nahmen das Angebot des Landkreises an und tauschten ihren Führerschein gegen ein Jahresticket des Verkehrsverbunds Mittelschwaben. Damit können sie alle Buslinien in den Landkreisen Unterallgäu und Günzburg nutzen, ausgenommen die Busse im Stadtverkehr von Memmingen und Bad Wörishofen. Trotz der Einschränkungen griffen die Frauen im Alter von 71 bis 89 Jahren und die Männer im Alter von 79 bis 93 Jahren zu.

Das Seniorenticket bekommen im Unterallgäu Männer und Frauen ab dem 65. Lebensjahr. In Kaufbeuren können die Bürger schon mit 63 Jahren vom Auto auf den Bus umsteigen. Die Kosten tragen der Kreis beziehungsweise die Kommune und die Verkehrsgesellschaften. Nicht teilnehmen kann an dem Programm, wer seinen Führerschein zuvor schon zwangsweise abgeben musste.

Die Entscheidung ist endgültig

Und zwei Punkte sollten die Senioren auch bedenken: Sie sollten noch rüstig genug für die Nutzung der Busse sein. Und wenn sie den Führerschein einmal freiwillig abgegeben haben, ist die Entscheidung endgültig. Sie können ihn nach Ablauf des Jahres nicht mehr zurückverlangen.

Wer danach wieder Autofahren möchte, muss die Fahrerlaubnis neu beantragen. "Die Neuerteilung erfolgt aber nur, wenn die sogenannte Fahreignung gegeben ist", so die Stadt Kaufbeuren in einer Mitteilung, "also wenn keine gesundheitlichen Einschränkungen vorliegen." Auch das kostenlose Busfahren hat für Senioren folglich seinen Preis.

© SZ vom 22.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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