Mitten in Unterfranken:Ist das Kunst oder kann das weg?

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Die Mildenburg über den Dächern von Miltenberg beherbergt seit 2011 ein Museum für Ikonen und moderne Kunst. Wie lange noch? Das ist die Frage. (Foto: David Ebener/dpa)

Die Burg über Miltenberg beherbergt eine exquisite Kunstsammlung, darunter Beuys und Barlach. Es gibt nur ein Problem: Niemanden scheint das groß zu interessieren. Nun könnte die Sammlung dort verschwinden.

Glosse von Olaf Przybilla

Zu Jürgen Lenssen mag man stehen, wie man will – einer der schillerndsten Figuren der Nachkriegsgeschichte Würzburgs ist er allemal. Es gab Zeiten, da mussten sich neue Würzburger Bischöfe bei Dienstantritt erst mal durch drei Stapel erregter Zuschriften arbeiten. Und alle hatten zum Thema: das Leben und Wirken des Domkapitulars, Künstlers und Kunstreferenten der Diözese, Jürgen Lenssen.

Erster Stapel: Gläubige, die forderten, diesem Domkapitular müsse endlich mal einer das Handwerk legen, der Mann habe ja nun lang genug Bilder ins Dommuseum hängen dürfen, auf denen – um des Himmels willen – nackte Haut zu sehen ist. Zweiter Stapel: Gläubige, die flehten, diesen begnadet umtriebigen Kunstmann ungehindert weiter walten zu lassen im Bistum. Dritter Stapel: Gläubige, die baten, das Wirken dieses überaus selbstbewussten Kirchenmannes angemessen zu würdigen – aber vielleicht doch darauf zu achten, dass der Kunstreferent Lenssen dem Künstler Lenssen nicht über die Maßen viel Platz einräume.

Als der Kunstreferent Lenssen dem von ihm offenbar hochgeschätzten Künstler Lenssen einmal zutraute, die berühmte Wallfahrtskirche im Weinort Volkach mit einem eigenen Altarbild zu verzieren, war im Gästebuch zu lesen, dieser Kunstmaler habe wohl „zu viel vom Wein erwischt“. Der Eintrag war unsachlich, keine Frage. Aber durchaus nicht die einzige kritische Einlassung damals.

Was freilich niemand Lenssen – 2017 als Kunstreferent der Diözese verabschiedet – ernstlich abstreiten kann: Der Mann hat ein Auge für zeitgenössische Kunst. Klar, als Kunstbeauftragter einer einst gut situierten Diözese war guter Kontakt zu Künstlern so schwer nicht, mit derlei liquiden Sammlern hat man es nicht oft zu tun als Maler. Lenssen aber hat auch viel gemacht aus dieser Position: Seine Sammlung zeitgenössischer Kunst ist mehr als imposant.

Und damit ins unterfränkische Miltenberg, auf die Mildenburg, die Festung über der Stadt. Die dämmerte bis 2011 vor sich hin, bis man mit Lenssen übereinkam, der könne dort doch seine Sammlung präsentieren. Knapp 10 000 Einwohner leben in dem Städtchen, über eine solche Kunstsammlung dürften wenige Kommunen dieser Größenordnung verfügen. Auf der Burg zu sehen sind mehr als 200 Werke unter anderem von: Joseph Beuys, Bruno Ceccobelli, Sigmar Polke, Michael Triegel, Max Pechstein und Ernst Barlach. Die meisten davon gehören dem Kunstsammler Lenssen.

Wie’s aber immer so ist: Der Ort ist lovely, die Resonanz (zumindest aus Sicht der Stadt) eher lousy – die Mildenburg liegt halt schon ein wenig ab vom Schuss der Kunstflaneure. Jedenfalls hat der Stadtrat gerade beschlossen, die Burg künftig anders zu nutzen. „Hochakademisch“ sei die Schau dort oben, klagte ein Stadtrat, zu „abgehoben“. Nicht mehr Kunst, sondern Geschichte soll dort künftig präsentiert werden.

In derlei mischt man sich am besten nicht ein, Details sind ohnehin nicht geklärt bislang. Der innere Film aber, wie Jürgen Lenssen, 77, Domkapitular im Ruhestand, ebenso hoch umstritten wie hochdekoriert, demnächst womöglich aufbrechen muss, um seine (Welt-)Kunst aus einer Kleinstadt abzuholen – dieses Kopfkino läuft natürlich unweigerlich an.

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