Miesbach:Psychisch Kranke getreten und gewürgt

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Und keiner hat was mitgekriegt: Im Skandal um gequälte Behinderte im Landkreis Miesbach gerät nun die Heimaufsicht ins Visier.

Dietrich Mittler

Nach der Auswertung von nahezu 150 Zeugenaussagen besteht für die Staatsanwaltschaft München II kein Zweifel mehr: In den Behinderten-Einrichtungen des Neuen Weges in Fischbachau und Hausham sind psychisch und seelisch behinderte Menschen über Jahre hinweg misshandelt und gequält worden. Die vier Beschuldigten - zu ihnen zählt auch der frühere Heimleiter und Geschäftsführer Bodo R. - haben sich zum Teil untereinander schwer belastet, zwei haben Teilgeständnisse abgelegt.

Trügerische Idylle (Foto: Foto: Dietrich Mittler/oh)

Der Süddeutschen Zeitung liegen jetzt Hinweise darauf vor, dass die Misshandlungen auch deshalb so lange unentdeckt blieben, weil die Heimleitung in vielen Fällen rechtzeitig vor Besuchen der Heimaufsicht gewarnt wurde. Die Ermittler verfolgen derzeit Spuren, nach denen sich Heimleiter Bodo R. durch gezielt gepflegte Kontakte und durch Geschenke das Wohlwollen von Behördenvertretern sicherte. Der Leitende Oberstaatsanwalt Eduard Mayer wollte dies "weder bestätigen noch dementieren".

Wie das Landratsamt Miesbach auf Nachfrage erklärte, gingen bei der Heimaufsicht des Landkreises mehrfach anonyme Beschwerden und Hinweise auf Misshandlungen beim Neuen Weg ein. Seit April 2004 habe die Heimaufsicht allein in der Fischbachauer Einrichtung neunmal unangemeldet geprüft - mehrmals auch unabhängig von aktuellen Beschwerden, wie der Sprecher des Landratsamtes erklärte.

Die Einrichtung in Hausham sei in den Jahren 2007, 2008 und 2009 insgesamt dreimal ohne Anmeldung inspiziert worden. Dabei kamen die Prüfer jedoch immer zum gleichen Ergebnis: "Unregelmäßigkeiten konnten nicht festgestellt werden."

Trotz der vorliegenden schweren Tatvorwürfe - die Staatsanwaltschaft beschuldigt den ehemaligen Heimleiter Bodo R. sowie drei seiner Pflegekräfte der "Misshandlung von Schutzbefohlenen sowie der gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung in insgesamt 107 Fällen" - geht das Landratsamt in Miesbach davon aus, dass es "seine Prüf- und Überwachungsmöglichkeiten vollumfänglich genutzt" hat. Der mit der Heimaufsicht betraute Mitarbeiter sei auch lediglich als Zeuge vernommen worden, heißt es dort.

Allerdings mit mäßigem Ergebnis - er konnte keinerlei sachdienliche Hinweise zu Misshandlungen in Fischbachau und Hausham machen. Die Unwissenheit lag, wie eine einst enge Mitarbeiterin von Bodo R. bei ihrer Vernehmung durchblicken ließ, womöglich auch mit daran, dass die Kontrolleure bei Rundgängen durch Privatgespräche mit Bodo R. abgelenkt waren - insbesondere über die Jagd.

Der Zeuge Stefan Lück, der durch seine Anzeige letztlich die Ermittlungen im Neuen Weg ins Laufen gebracht hatte, schildert seinen früheren Chef Bodo R. einerseits als Vorgesetzten, der seinen Mitarbeitern sehr autoritär gegenübertrat. "Anderseits konnte der nach außen hin aber auch gut mit den Leuten reden und sich dabei glänzend darstellen", sagt Lück.

Wo charmantes Plaudern und persönliche Bekanntschaft allein nicht weiterhalfen, soll Bodo R. auch durch Geschenke nachgeholfen haben, wie es Aussagen aus seinem engsten Umfeld nahelegen. Ein der Redaktion namentlich bekannter Sachbearbeiter des Bezirks Oberbayern, der als Entgeltverhandler auch für den Neuen Weg zuständig ist, soll von Bodo R. mit Whisky und Zigarren versorgt worden sein. Auch so profane Gerätschaften wie eine Apfelpresse seien geeignet gewesen, sich die Gunst des Sachbearbeiters zu erhalten, wie die Ermittler bei ihren Vernehmungen staunend vernahmen.

Das Sozialministerium, das die Fachaufsicht über die Heimkontrolle in Bayern ausübt, will sich aufgrund des laufenden Strafverfahrens nicht zum Fall Neuer Weg äußern. Der Bezirk Oberbayern teilte mit, man wisse nichts von Ermittlungen gegen einen Mitarbeiter, und das Landratsamt Miesbach betonte: "Von Ermittlungen oder einem konkreten Verdacht gegen unseren Mitarbeiter ist uns bis heute nichts bekannt."

Der Münchner Sozialarbeiter und Pflegeexperte Claus Fussek sagte unterdessen: "Vorausgesetzt, dass diese Vorwürfe stimmen, handelt es sich hier mit Sicherheit um keinen bedauerlichen Einzelfall." Immer wieder trügen ihm Pflegekräfte zu, in ihrer Einrichtung sei es ein offenes Geheimnis, wann die eigentlich unangemeldeten Kontrollen stattfinden. Laut Fussek wird sich daran in naher Zukunft nichts ändern: "Die Heimaufsicht in Bayern hat einen gravierenden Konstruktionsfehler, seitdem sie bei den Landratsämtern angesiedelt ist", sagt er.

Sei es nun, dass Landräte schwiegen, um Aufsehen über mögliche Skandale zu vermeiden. Sei es, dass sich die Kontrolleure und die Heimverantwortlichen "gerade auf dem Land zu gut kennen, in der Nähe wohnen oder gemeinsame Interessen haben". Fussek forderte: "Die Heimaufsicht muss zurück in die Hände der Bezirksregierungen." Nur so bleibe die gebotene Distanz zwischen Heimen und Heimaufsicht gewahrt.

© SZ vom 20.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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