Süddeutsche Zeitung

Arbeiten im Urlaub:Die Steigerung von Home-Office

In der Pandemie ist es für viele Alltag geworden, von daheim aus zu arbeiten. Manche verbinden ihren Job sogar mit dem Urlaub, es gibt auch schon einen Begriff dafür: Coworkation.

Von Max Weinhold, Kempten

Der Anglizismus Home-Office hat spätestens vor gut zwei Jahren Eingang in den Sprachgebrauch gefunden, seit sich die Arbeit mit Beginn der Corona-Pandemie immer mehr nach Hause verlagert hat. Mancherorts herrschte Skepsis über die Arbeitsmoral im Wohnzimmer, doch mittlerweile ist Heimarbeit völlig normal. Vergleichsweise neu und unbekannt ist hingegen, was hinter diesem Kofferwort steckt: Coworkation.

Da ist die Community, die Gemeinschaft. Da ist Work, die Arbeit. Und da ist Vacation, der Urlaub. Arbeiten im Urlaub, Urlaub bei der Arbeit, je nachdem. Jedenfalls ein Trend mit Potenzial, und zwar nicht mehr nur nach Dafürhalten der - Achtung, schwieriges Wort - Coworkationists, sondern neuerdings auch empirisch belegt.

Am Donnerstag stellte der Verein "Coworkation Alps" mit Sitz im oberbayerischen Miesbach eine gemeinsame Studie mit der Tourismusmarketingagentur St. Elmo's und dem Europäischen Tourismus Institut (ETI) vor. Die Kernfragen: Wie viele Unternehmen im Alpenraum können sich vorstellen, ihre Arbeitnehmer in eine Berghütte zu schicken und von dort aus arbeiten zu lassen? Und wie viele Arbeitnehmer wollen so etwas überhaupt?

"So richtig angekommen ist Coworkation in der Öffentlichkeit noch nicht", sagt Jurrien Dikken vom Tourismus Institut bei der Vorstellung der Ergebnisse, zu der sich Expertinnen und Praktiker aus allen Alpenländern in Neustift im Stubaital zusammengefunden haben. Aber, sagt Dikken, die Corona-Pandemie habe das Thema "ordentlich befeuert" und ihm "einen Schub" gegeben.

"Je älter die Menschen, desto festgefahrener"

Das Arbeiten fernab des Büros und Home-Offices erfahre zunehmend Interesse. Nicht nur, weil es die Leute - wie so oft in der Pandemie besprochen - wieder raus aus den Städten zieht. Stattdessen, so zeigt die Studie, geht es ihnen zuvorderst um Vernetzung, um Inspiration, um Austausch. Denn in einem Coworkation-Domizil kommt man zur Arbeit im Urlaub zusammen, entweder mit Kollegen des eigenen Unternehmens oder alleine an dem Ort, wo auch Menschen aus anderen Firmen zugegen sind.

Die Angebote sind dabei grundverschieden. Beim Mesnerhof C in den Tiroler Bergen "bettet der Vorstandsvorsitzende selbst auf", wie Betreiber Georg Gasteiger berichtet. Andere Coworkation-Anbieter wiederum stellen gar keine Betten, sondern nur einen Arbeitsplatz in Urlaubsambiente.

Die Studie zeigt, dass es vorrangig jüngere Menschen sind, die sich für die neue Form des Arbeitens offen zeigen. "Je älter die Menschen, desto festgefahrener", sagt Jurrien Dikken. Es gebe einen Paradigmenwechsel, stellt Verena Feyock vom Tourismusmarketing St. Elmo's fest, junge Leute sagten: "Wenn ein Unternehmen das nicht anbietet, dann arbeite ich nicht für die."

Insgesamt konnten sich gut zwei Drittel der befragten Unternehmen "vielleicht" oder "auf jeden Fall" vorstellen, ihren Mitarbeitenden Coworkation zu ermöglichen. Allerdings befragten die Forschenden auch nur solche Firmen, bei denen ortsunabhängige Arbeit überhaupt möglich ist, was immerhin auf 676 Firmen aus Süddeutschland, Österreich, Schweiz und Norditalien zutraf.

Mit Abstand am bekanntesten war der neudeutsche Begriff dabei in Italien. "Das wundert mich", sagt Marion Niederkofler, im Südtiroler Bruneck zuständig für Stadtentwicklung. Sie weiß dann doch sogleich eine Erklärung: In Italien habe sich angetrieben durch die Pandemie die Arbeit gewandelt. "Unser Lockdown war viel härter als andernorts. Es gab bei den Menschen daher noch mehr den Drang, rauszukommen und Natur mit Arbeit zu verbinden." Inzwischen sei es hier gar schwieriger, einen Platz für die Arbeit bei einem Coworkation-Anbieter zu finden als eine Unterkunft für die dazugehörige Übernachtung.

Die Studie zeigt jedoch auch: Ein Massenphänomen ist der neue Trend noch lange nicht, die Prozentzahl derjenigen, die bereits auf Coworkation war, unterscheidet sich nach Land, ist aber überall einstellig. Bei der Befragung kamen auch Vorbehalte zum Vorschein, etwa dieser: Freizeit und Arbeit solle getrennt werden, es fehle an Abgrenzung, meinte ein Teilnehmer.

Trotzdem nähmen die Anfragen zu, berichtet Julia Scharting vom Verein "Coworkation Alps" aus Miesbach, aber es gebe noch Hindernisse, gerade bei arbeitsrechtlichen Fragen. Coworkation als Arbeitsform ist schließlich noch nicht definiert. Solche rechtlichen Probleme müssten, sagen die Experten, grenzübergreifend politisch geklärt werden, um noch mehr Menschen zu erreichen. Denn, so lautet das Fazit von Jürrien Dikken: "Die Alpenregion ist für Coworkation prädestiniert."

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