Die Freiheitshalle von Hof ist auch ohne Ausstellung ein Ort, den man mal gesehen haben sollte. Wer zufällig davorsteht, könnte auf den Gedanken kommen, dass da ein Raumschiff gelandet ist, nachts blau schimmernd. Hof hat keine 50 000 Einwohner, so ein Verhältnis von Riesenhalle und mittelgroßer Stadt dürfte ziemlich rekordverdächtig sein. Die Halle ist auch der Grund, warum „Wetten dass ...“ – das bundesrepublikanische Lagerfeuer schlechthin – seltsamerweise oft aus Hof in Oberfranken gesendet wurde. Auch in der Wendezeit ist hier Geschichte geschrieben worden, die Halle wurde zum Aufnahmelager für Geflüchtete aus dem Osten.
Wer sich das immer schon mal anschauen wollte – jetzt wäre eine gute Gelegenheit dazu. Bis 17. April sind dort Fotografien zu sehen, die ebenfalls bundesrepublikanische Geschichte spiegeln: Willy Brandt etwa, wie man ihn selten gesehen hat.

Wäre es üblich, Fotos mit Titeln zu versehen, man müsste dieses Brandt-Bild – elegischer Parteitagsblick, gerahmt von beachtlicher Frisur – „Melancholia“ nennen. Wer wiederum Hinweise darauf suchen wollte, dass sich die Parteifreunde Brandt und Gerhard Schröder mitunter nicht übertrieben viel zu sagen hatten, ein Foto der beiden in der Deutschen Bundesbahn könnte als ein Beleg dafür dienen. In der Sitzreihe dahinter ist übrigens Philipp Rosenthal zu erkennen, der Porzellan-Unternehmer aus Oberfranken.

Die Fotos stammen von Michael Jostmeier, emeritierter Fotografie-Professor in Nürnberg. Wie es dazu kam, dass er die Großen der deutschen Politik begleiten durfte? „Eher ein Zufall“, antwortet Jostmeier. Während seines Studiums zog die Folkwangschule auf einen anderen Campus, es gab dort zunächst viel zu bauen und wenig zu studieren, also schaute sich der Student mit seiner Kamera den Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen an. Späte Siebzigerjahre, Hoch-Zeit der RAF, sowohl die Referenten von Johannes Rau als auch das Landeskriminalamt wurden auf den Langhaarigen aufmerksam: Was macht der denn da?
Am Ende tuckerte Jostmeier mit grüner Ente – seinem Citroën 2CV – integriert in einen Staatskarossen-Tross samt Polizeieskorte über rote Ampeln, den Rau-Referenten hatten seine Porträtbilder gefallen. Und später wurden dann auch andere Wichtige auf Jostmeier aufmerksam. Er wurde Foto-Chronist der Bundespolitik, eher nebenher allerdings.

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Hauptberuflich lehrte Jostmeier Fotografie, seit den Neunzigerjahren in Nürnberg, wo es ihm auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände so erging wie den meisten Zugezogenen. Er war, um es freundlich zu formulieren, verblüfft über den Umgang mit diesem historisch verseuchten Areal. Was Einheimische intus haben – dieses Gelände soll mit Alltagskultur trivialisiert werden –, war zu der Zeit dort nicht mal augenfällig erklärt.
Aus seiner Verblüffung zog Jostmeier kreatives Potenzial. Man hat schon viele skurrile Fotos von Nürnbergs Schandmal gesehen, das Areal schreit geradezu danach. Aber die beiden Toilettenfrauen vor der NS-Zeppelintribüne, an der während eines Autorennens großflächig für Speiseeis von Schoeller geworben wird – die sind schon in einer eigenen Liga.

Poetisches weiß Jostmeier dem Gelände auch abzugewinnen. Fotografierte Autoreifen, getürmt und mutmaßlich vom Autorennen übrig geblieben, vor winterlicher Nazi-Architektur könnte man sich als Kunstwerk glatt in den Hobbyraum hängen, hätte man denn einen.

Und sogar zur historischen Bildung vermögen die Aufnahmen beizutragen. Die Zeppelintribüne war in ihrem Inneren auch eine riesige Bedürfnisanstalt, irgendwo mussten die Herrschaften ja Wasser abschlagen. Für Menschen, die womöglich auf Hitlers Spuren wandeln, könnte das schwer desillusionierend wirken. Was ja pädagogisch hilfreich wäre. Auf dem Gelände freilich wird diese Erkenntnis – des „Führers“ Tribüne war nicht zuletzt ein gewaltiges Pissoir – nur schwer erkennbar. Wer freilich Jostmeiers Kunstwerk gesehen hat, wird das so schnell nicht wieder vergessen.
Dass Jostmeier an der Technischen Hochschule Georg-Simon-Ohm in Nürnberg „Computer Generated Imagery“ gelehrt und zu den Pionieren der Verknüpfung von Computergrafik und Fotografie gehört hat, wird in Hof ebenfalls ersichtlich. Wie kommt ein Astronaut in einen, nun ja, ehrwürdigen Nürnberger U-Bahn-Schacht? Indem ihn Jostmeier dort hineinmontiert hat. Gut schaut er aus.

Warum er da steht? Genauso gut könnte man fragen: warum denn nicht? Fragt man Jostmeier, so antwortet er: Draußen habe es an dem Tag geregnet. Also habe man nach drinnen gemusst.
Ursprünglich sollte die Ausstellung „Unterwegs 1976 - 2024“ von Michael Jostmeier nur bis Ende Februar in der Freiheitshalle zu sehen sein. Nun ist sie bis 17. April 2025 verlängert worden. Der Einritt ist frei. Geöffnet von Montag bis Freitag von 10 bis 17 Uhr. Außerdem auf Nachfrage auch zu weiteren Terminen in diesem Zeitraum für Gruppen oder Schulklassen – falls erwünscht, gibt es dazu flankierende Erläuterungen von Peter Nürmberger, Kulturchef in Hof.