Seit dem Jahr 2005 zeichnet der Börsenverein des Deutschen Buchhandels den besten deutschsprachigen Roman des Jahres aus, davor wird eine Long- und Shortlist veröffentlicht. Was war das für ein Gemaule anfangs, womöglich hat man sich auch selbst herummosern hören: Was soll das denn bitte mit diesen beknackten Best-of-Listen, soll damit im Ernst der Wert von Kunst einsortiert werden? Nun, gewonnen haben diesen Contest seither unter anderem Arno Geiger mit "Es geht uns gut", Eugen Ruge mit "In Zeiten des abnehmenden Lichts", Ursula Krechel mit "Landgericht", Lutz Seiler mit "Kruso" und Saša Stanišić mit "Herkunft". Und wollte jemand ernsthaft behaupten, dass diese Bücher nicht sowohl Leser als auch Literaturwissenschaftler glücklich machen?
Längst ist diese Auszeichnung also das Mittel der Post-Ranicki-Ära, um alle mal unüberhörbar auf exzeptionelle Literatur aufmerksam zu machen - es gibt sie folglich, die kollektive Juryintelligenz. Seit 2007 wiederum - also zwei Jahre nach dem Buchpreis - zeichnet das Deutsche Architekturmuseum (DAM), wie der Börsenverein in Frankfurt beheimatet, alljährlich herausragende Bauten in Deutschland aus. Wie beim Buchpreis gibt es eine Shortlist, die aber, sollte man sich nicht grob irren, erheblich weniger ins allgemeine Bewusstsein vordringt. Was schade ist, prägt eine einigermaßen gelungene Architektur den Alltag doch mindestens so sehr wie gute Bücher.
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Für den DAM Preis für Architektur in Deutschland nominiert das Museum zunächst 100 bemerkenswerte Gebäude oder Ensembles, unter den Nominierungen trifft eine Jury anschließend die Auswahl zu "rund 20 Bauten der Shortlist". Beim Buchpreis ist das strenger geregelt, da sind es immer exakt 20. Der Architektur-Jury lässt man mehr Spielraum: Für die Shortlist 2023 hat sie diesmal 23 Bauten prämiert, sieben davon aus Bayern.
Ein knappes Drittel also, was ja nicht so schlecht ist. Wobei schon auffällig ist, dass drei dieser sieben Bauten in München beheimatet sind: die Isarphilharmonie (gmp · Architekten von Gerkan, Marg und Partner), das Volkstheater (LRO Lederer Ragnarsdóttir Oei) sowie die DAV Bundesgeschäftsstelle (ELEMENT ∙ A Architekten BDA). Die Landeshauptstadt hat also in dieser Rangliste anteilsmäßig deutlich die Nase vorn, was Zufall sein könnte, aber augenscheinlich keiner ist. 15 Mal wurde der DAM Preis bislang vergeben, viermal kam der Sieger aus dem Freistaat Bayern - und in allen diesen Fällen aus München.
Das könnte man nun für ein ungut metropolenzentriertes Denken einer Stadt-Jury halten. Oder einfach attestieren, dass eine gefühlte Beobachtung schlicht zutrifft: Es mag den bayerischen Groß- und Kleinstädten außerhalb Münchens an vielem ausdrücklich nicht mangeln. An aufregender zeitgenössischer Architektur leider schon. Shortlist-Bauten in Nürnberg, Augsburg, Regensburg, Würzburg, Ingolstadt oder Erlangen? Leider Fehlanzeige.
Keine einzige außermünchnerische Großstadt in Bayern also? Doch: Fürth. Der ausgezeichnete Bau des Architekturbüros Heide & von Beckerath auf dem Areal einer ehemaligen Spiegelfabrik verwirklicht laut Jury "gemeinschaftsorientiertes Wohnen in einer diversen, generationenübergreifenden Hausgemeinschaft" und führe zu einer Mischung aus genossenschaftlichen Wohnungen und Wohneigentum. Die alte Schmiede wurde dafür erhalten, dort entsteht unter anderem eine Fahrradwerkstatt. Der Bau lenkt den Blick zudem auf eine nicht über die Maßen verbreitete Tatsache: Fürth war einmal die Stadt der Spiegel - im ausgehenden 19. Jahrhundert waren dort 78 Firmen gelistet, die mit Spiegeln oder Nebenprodukten ihr Geld verdienten.
Auf die Liste geschafft hat es auch die Generalsanierung und Aufstockung des Justizgebäudes in Aschaffenburg, das als herausragendes Zeugnis der Architektur des Wiederaufbaus seit dem Jahr 2012 unter Denkmalschutz steht. Große Strafprozesse wurden in diesem Komplex zuletzt in Containern verhandelt - und offenbar hat sich die Geduld nun gelohnt. Die Jury lobt die Architektenkooperative Fthenakis Ropee vor allem für die Aufstockung als "selbstbewusste, zeitgenössische Ergänzung des bestehenden Ensembles", ohne die formale Sprache des Altbaus direkt zu zitieren oder gar fortzuführen.
Neben zwei Bauten in Franken haben es auch zwei in Oberbayern auf die Liste geschafft (was nebenbei auch heißt: keiner in Schwaben oder Ostbayern). So ist mit dem Grünen Haus in Schongau dem Büro Stephanie Hirschvogel Architekten laut Jury eine "Symbiose von Alt und Neu" geglückt. Bei der Sanierung des ehemaligen Stadtbauernanwesens in der spätmittelalterlichen Altstadt sei es gelungen, marode Bausubstanz zu modernisieren und gleichzeitig Raum für gehobene Stadtwohnungen mit hellem Wohnraum, offener Küche, großzügigen Wohnungsgrundrissen und schwellenloser Erschließung zu schaffen.
Die Erweiterung des Landratsamtes in Starnberg durch das Büro Auer Weber Assoziierte wiederum wurde laut Frankfurter Jury so konzipiert, dass das bereits prämierte Bestandsgebäude aus den späten Achtzigerjahren sowohl in seiner äußeren als auch inneren Gestalt "weitestgehend dem Bestand" gleiche und also kein Bruch zwischen Bestehendem und Hinzugefügtem entstehe. Besuchern werde das Gefühl vermittelt, sich trotz baulich-energetischer Verbesserungen sowie einer Transformation bestimmter Details in einem Haus "aus einem Guss" zu bewegen.
Aus den 23 Bauten werden laut Deutschem Architekturmuseum nun "drei bis vier Bauten" für eine Shortlist der Finalisten ausgewählt. Im Januar 2023 schließlich wird das Siegergebäude bekanntgegeben.