Süddeutsche Zeitung

Urteil:Verein darf Frauen bei Brauchtums-Fischen nicht ausschließen

Den jährlichen Wettbewerb, wer Fischerkönig wird, wollen die Männer in Memmingen unter sich austragen. Nach einer neuen Niederlage vor Gericht ist unklar, ob sie das Urteil akzeptieren.

Von Florian Fuchs, Memmingen

"Glücklich" war Christiane Renz bereits nach dem Urteil des Amtsgerichts. Die Richterin hatte ihr damals als Frau das Recht zugesprochen, beim jährlichen Fischertag in den Memminger Stadtbach zu jucken, wie es die Einheimischen nennen, und Fische zu fangen. Das Glück allerdings hielt nicht lange, der Fischertagsverein legte Berufung ein. Die erste Zivilkammer des Landgerichts Memmingen hat die Berufung nun jedoch "in einer denkwürdigen Verhandlung", wie Präsident Konrad Beß sagte, verworfen. "Es ist ein besonderer Tag für die Gleichberechtigung in Memmingen", sagte die Klägerin nun - während ihre Anwältin Susann Bräcklein den Verein im 21. Jahrhundert willkommen hieß.

Dabei folgte das Landgericht der Entscheidung des Amtsgerichts zwar im Ergebnis, nicht aber in der Argumentation: Mit der Vereinsautonomie und der Gleichberechtigung standen bei der Verhandlung zwei im Grundgesetz verankerte Rechte unversöhnlich gegenüber. Die Vereinsautonomie könne nur dann unterlaufen werden, argumentierte die Erste Zivilkammer, wenn der Verein eine überragende Macht- und Monopolstellung und die Klägerin ein wesentliches Interesse an der Aufnahme in die Vereins-Untergruppe der Stadtbachfischer habe.

Beim Verein selbst ist Renz schon lange Mitglied. Die Monopolstellung ist laut Gericht unstrittig, ohne Mitglied bei den Stadtbachfischern zu sein, könne man im Stadtbach de facto keine Fische fangen. Ein wesentliches Interesse bei der Klägerin erkannten die Richter aber nicht: Es sei ihr auch möglich, ein in Memmingen sozial erfülltes Leben zu führen, ohne an der jährlichen Veranstaltung teilzunehmen. Der politische Wunsch nach Gleichberechtigung sei kein persönliches Interesse, wie es das Gesetz verlange.

Der Anspruch, mitjucken zu dürfen, ergebe sich stattdessen aus einem Verstoß des Vereins gegen das Recht der Mitglieder auf Gleichbehandlung: Er behandle männliche Mitglieder ohne sachlichen Grund anders als weibliche. Der Zweck des Vereins liege aber in der Erinnerung an das jahrhundertealte Stadtbachausfischen und nicht im Gedenken an althergebrachte Rollenverteilungen der Geschlechter. Zudem habe der Verein sein Brauchtum in der Vergangenheit mehrfach geändert. So dürfen schon länger Männer teilnehmen, die mindestens fünf Jahre in Memmingen wohnen. Zuvor lag die Frist bei zehn Jahren.

Eine Revision ließ das Gericht ausdrücklich zu, der Vorsitzende des Vereins Michael Ruppert hatte allerdings schon im Juni angekündigt, eine zweite Niederlage akzeptieren zu wollen. Entscheiden muss dies an diesem Donnerstag eine Delegiertenversammlung des Vereins. "Das Urteil wird Vereine in Deutschland in einem Maß betreffen, das sie heute noch nicht einschätzen können", sagt Ruppert.

Grundsätzlich sei es immer heikel, wenn Gerichte über Rechte wie die Autonomie von Vereinen entscheiden müssen, sagte auch Rudolf Neumaier, Geschäftsführer des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege. "Man darf gespannt sein, wie Gerichte entscheiden, wenn sich ortsfremde Personen in ortsgebundene Bräuche einklagen wollen wie zum Beispiel bei der Passion in Oberammergau. Hoffentlich bleiben den Vereinen solche Klagen erspart!"

Es sei allerdings "ein historisches Missverständnis, dass sich Bräuche nicht verändern dürfen", sagte Michael Ritter, Referent des Fachbereichs "Brauch, Tracht, Sprache" im Landesverein. Viele Bräuche seien über Jahrhunderte hinweg nur deswegen lebendig geblieben, weil sie sich immer wieder an wandelnde Verhältnisse angepasst hätten - etwa an neue rechtliche oder herrschaftliche Bedingungen. "Gesellschaftlicher Wandel zwingt auch Bräuche und Traditionen zur Veränderung", sagte Ritter.

Zu einer selchen Veränderung rief nach dem Urteil Memmingens Oberbürgermeister den Verein auf. Die Frage, ob Frauen in den Bach jucken dürfen, sei emotional geführt worden, sagte Manfred Schilder. Das richtungsweisende Urteil sei nun klar und es gelte, den Fischertag entsprechend auszurichten.

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SZ vom 29.07.2021/sim/kbl/amm
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