Süddeutsche Zeitung

Memmingen:Haftstrafen im Tierschutzskandal gefordert

Müssen die ersten beiden Angeklagten im Prozess um gequälte Rinder im Allgäu ins Gefängnis? Ihre Schuld, da stimmen auch die Verteidiger zu, ist unstrittig.

Von Florian Fuchs, Memmingen

Es geht wohl nicht mehr darum, ob eine Freiheitsstrafe angemessen ist für Vater und Sohn, die auf ihren Betrieben im Allgäu kranke Rinder zumindest nicht behandelt und somit laut Tierschutzgesetz gequält haben. Staatsanwalt und Verteidiger waren sich in ihren Plädoyers am Mittwoch einig, dass die beiden Landwirte Schuld auf sich geladen haben. Wenn am Dienstag, 29. November, das Urteil fällt, geht es für die Angeklagten um die alles entscheidende Frage: Müssen sie ins Gefängnis oder kann die Strafe, wie von ihren Verteidigern gefordert, zur Bewährung ausgesetzt werden?

Tierschützer, die mit Bildern und Videoaufnahmen aus den Ställen rund um Bad Grönenbach im Jahr 2019 den Allgäuer Tierschutzskandal auf mehreren Höfen aufgedeckt haben, machten am Rande des Prozesses deutlich, dass sie auf eine abschreckende Wirkung des Urteils hoffen: Gäbe es nur eine Bewährungsstrafe, so der Tenor, hätten Landwirte, die ihre Tiere misshandeln, auch weiterhin nicht viel zu befürchten.

Zwei Jahre und zehn Monate soll der 25 Jahre alte Sohn ins Gefängnis, geht es nach dem Staatsanwalt. Zwei Jahre und sechs Monate Haft hält er für den 68 Jahre alten Vater für angemessen. Unter Berücksichtigung der Geständnisse und der Gutachten von Sachverständigen bestehe kein Zweifel, dass die beiden Landwirte es unterlassen haben, ihren kranken Tieren die nötige Versorgung und tierärztliche Behandlung zukommen zu lassen. Selbst für Laien sei erkennbar gewesen, dass die Tiere sich in einem erbärmlichen Zustand befunden hätten. Mehr als 50 misshandelte Tiere zählte die Anklage auf, übrig blieben im Prozess nun etwas weniger als 50 Fälle, die geahndet werden sollen.

Angesichts der Schwere der Vorwürfe einigten sich die Parteien darauf, andere Anklagepunkte wie eine möglicherweise illegale Verfüllung einer Kiesgrube oder nicht gezahlte Sozialversicherungsbeiträge für Mitarbeiter nicht weiter juristisch zu verfolgen, weil sie bei der Strafbeimessung nicht weiter ins Gewicht fallen würden.

Etwa 500 Rinder hatten Vater und Sohn auf drei Hofstellen zu betreuen. Ihnen wird zur Last gelegt, die Rinder im Kot stehen gelassen zu haben, teils waren die Tiere unterernährt und dehydriert. Sie litten an Verhaltensauffälligkeiten und an Durchfall, sie lahmten und waren teils deformiert. Tierschutzgesetz und Tierhaltungsverordnung nehmen Tierhalter in die Pflicht, Rinder ihrer Art und ihren Bedürfnissen nach zu versorgen. Das bedeutet, betonte der Staatsanwalt, dass kranke Rinder einem Tierarzt zugeführt werden müssen, dass sie behandelt werden müssen und dass sie von der Herde abgesondert werden müssen. Bemerkenswert sei jedoch, dass es nicht einmal eine Krankenbucht gegeben habe.

Lichtbilder und Videos, die im Laufe des Verfahrens gezeigt wurden, befand der Staatsanwalt als schockierend. Die Tiere hätten lang anhaltende und erhebliche Schmerzen erleiden müssen, die durch tierärztliche Behandlungen zu vermeiden gewesen wären. Der Staatsanwalt sieht im Unterlassen deshalb kaum einen Unterschied zur aktiven Tierquälerei. Er wirft dem Vater zudem vor, acht Rinder ohne hinreichende Betäubung durch Ausbrennen enthornt zu haben, was massive Schmerzen für die Tiere zur Folge gehabt habe.

Der 68 Jahre alte Landwirt sei einschlägig vorbestraft, er hatte bereits vor den Ermittlungen, die nun zum Prozess führten, Geldstrafen unter anderem wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz auferlegt bekommen. Der Sohn sei während der Verhandlung durch abfällige Gestik und Mimik aufgefallen, als Bilder von kranken Kühen gezeigt wurden. Der Staatsanwalt meldete deshalb Zweifel an der Aufrichtigkeit des Geständnisses an.

Das sahen die Verteidiger naturgemäß anders, die gerade auf die Geständnisse abhoben. Ihre Mandanten hätten auch schweigen können. Der Vater sei jedoch ehrlich schockiert gewesen über die Bilder der kranken Rinder. "Das mag schwer vorstellbar sein", sagte sein Verteidiger. "Das hätte ihm ja auch schon früher auffallen können." Allerdings seien die Landwirte massiv überfordert gewesen durch die große Anzahl an zu versorgenden Rindern und durch immer neue Anforderungen der Kontrolleure. "Es war ein Strudel", führten der Verteidiger aus, die auf Stapel ungeöffneter Briefe in einem Büro hinwiesen. "Sie hatten es einfach nicht mehr im Griff." Von systematischer Tierquälerei könne keine Rede sein. Für die Enthornung von acht Rindern etwa sei der 68-Jährige freizusprechen, da er die Tiere sediert habe.

Die Verteidiger forderten Freiheitsstrafen von knapp unter zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt werden können. Es könne nicht darum gehen, ein Exempel zu statuieren, bloß weil dies der erste Prozess im Allgäuer Tierschutzskandal sei. Die Ermittlungen gegen mehrere Höfe rollten vor Jahren wegen mutmaßlicher Verfehlungen auf einem benachbarten Hof mit noch mehr Rindern an. Zwei weitere Verfahren sollen im nächsten Jahr folgen. Groß reden wollten die Angeklagten in ihrem letzten Wort vor dem Urteil nicht: "Es tut mir leid", sagten Vater und Sohn, die ein Tierhalteverbot auferlegt bekommen und inzwischen alle Tiere verkauft und große Teile ihres Betriebs verpachtet haben.

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