Süddeutsche Zeitung

Urteil:Gericht: Frauen dürfen Stadtbach in Memmingen ausfischen

Lesezeit: 3 Min.

Ein weibliches Vereinsmitglied hatte gegen die Regel geklagt, dass nur Männer mitfischen dürfen. Das Gericht sagt: Eine männliche Tradition sei kein zulässiger Grund für Diskriminierung.

Von Florian Fuchs

Christiane Renz hat schon große Pläne. Direkt nach dem Urteil steht sie neben ihrer Anwältin Susann Bräcklein vor dem Amtsgericht Memmingen, spricht in zahlreiche Mikrofone und kündigt an, nächstes Jahr beim Fischertag auch in den Stadtbach springen zu wollen. Dieses Privileg ist bislang Männern vorbehalten, der örtliche Fischertagsverein beruft sich dabei auf die Tradition. Frauen dürfen nur am Rand stehen und die Fische in Kübel legen. Das Amtsgericht hat der Klägerin nun in vollem Umfang Recht gegeben, dass der Ausschluss von Frauen eine unzulässige Diskriminierung sei. Wie viele Frauen denn das nächste Mal dabei sein wollen beim Ausfischen des Stadtbachs, wird Renz noch gefragt. Das könne sie nicht abschätzen, sagt sie. Sie weiß nur eins: "Bei mir haben sich schon einige männliche Kübelträger angeboten."

Was wiegt schwerer, Vereinsautonomie oder Gleichberechtigung? Das war die entscheidende Frage hinter dem Gerichtsstreit in Memmingen, der weit über die Stadt im Allgäu hinaus weist: Rechtsanwältin Bräcklein feierte den Sieg vor Gericht im Anschluss als "Signal" an zahlreiche andere Vereine in Deutschland, die ein Geschlecht grundlos ausgrenzen. Tatsächlich ist es das erste Urteil in Deutschland, das eine "mittelbare Grundrechtswirkung in das Vereinsrecht bringt", wie es Bräcklein formuliert. Die Forderung nach Gleichberechtigung von Mann und Frau in Artikel drei des Grundgesetzes wiegt hier also schwerer als die Vereinsfreiheit. Allerdings hatte der Fischertagsverein zuvor bereits angekündigt, bei einer Niederlage in die nächste Instanz gehen wollen - womit auch Bräckleins "Signal" wieder überprüft werden würde.

Die Richterin am Amtsgericht jedenfalls hat in ihrer mündlichen Urteilsbegründung klargemacht, dass ein Ausschluss von Frauen bei einer so öffentlichen Veranstaltung aus mehreren Gründen nicht rechtskonform sei. Und sie hat ihr Urteil so detailliert und überwölbend begründet, dass man es auch über den Memminger Streit hinaus auf andere Vereine übertragen kann. Der Fischertagsverein hatte stets betont, dass sich die Vereinsmitglieder - darunter zahlreiche Frauen - bereits bei zwei Abstimmungen gegen eine Teilnahme von Frauen beim Ausfischen ausgesprochen hatten. Vereinschef Michael Ruppert sah durch die Klage deshalb die Vereinsautonomie angegriffen. Grundsätzlich, argumentierte nun die Richterin, dürfe ein Verein auch zum Beispiel Mitglieder aufnehmen, wie er wolle. Diese Freiheit sei aber dann eingeschränkt, wenn er eine besondere soziale Machtstellung habe. Der Fischertag hat jedes Jahr mehrere Zehntausend Zuschauer, der Fischertagsverein knapp 5000 Mitglieder. "Das ist eine Veranstaltung mit Außenwirkung", sagte die Richterin.

Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ergebe sich zudem aus dem Steuerrecht. Als gemeinnützige Organisation sei der Fischertagsverein steuerbegünstigt. Steuern zahlen aber Männer und Frauen, Vereinsbeiträge ebenso. Es sei nicht ersichtlich, wieso bei dem Ereignis dann ein Geschlecht nur eine untergeordnete Rolle spielen dürfe. Auch das Argument der Vereinsanwälte, dass das Ausfischen nur ein kleiner Teil des gesamten Festtags mit Frühschoppen und anderen Veranstaltungen sei, ließ die Richterin nicht gelten. "Es ist das Hauptereignis der ganzen Geschichte." Somit könne ein Eingriff in die im Grundgesetz festgeschriebene Gleichberechtigung nur noch gerechtfertigt werden, wenn Frauen körperlich nicht zu der Aufgabe befähigt wären, was beim Ausfischen, an dem auch Jungen im Grundschulalter teilnehmen, ersichtlich nicht der Fall ist. Und auch der Verweis auf die Tradition zählt laut Richterin nicht, gerade weil der Verein seine Tradition in anderen Punkte bereits mehrfach gebrochen hat: So können inzwischen auch Männer am Ausfischen teilnehmen, die nicht mehr in der Stadt gemeldet sind.

Die Grundrechtswirkung im Vereinsrecht, die Steuerbegünstigung - dies alles sind Punkte, die Anwältin Bräcklein dem Urteil über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung zuschreiben lassen. Das Vereinsrecht, sagt sie, sei "eines der letzten Reservate, in dem der willkürliche Ausschluss von Frauen oder Minderheiten bislang akzeptiert wurde". Vereine wie der Fischertagsverein in Memmingen seien oftmals in kommunale Strukturen eingebunden und spielten bei der politischen Meinungsbildung eine Rolle. Gerade solche Institutionen dürften nicht ein Geschlecht privilegieren.

Es gebe allerdings Vereine, sagte Sarah Lincoln von der Gesellschaft für Freiheitsrechte bereits beim Prozessauftakt Anfang August, bei denen es auch weiterhin sinnvoll sein könne, wenn Geschlechter getrennt blieben: etwa wenn sich Frauen oder Männer zu sensiblen Gesprächen treffen, bei denen das andere Geschlecht stören würde. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte mit Sitz in Berlin finanziert Verfahren für Grund- und Menschenrechte und feiert das Urteil als Sieg für die Gleichberechtigung in Deutschland.

Der Fischertagsverein kündigte an, über das weitere Vorgehen nach der schriftlichen Urteilsbegründung in den Vereinsgremien entscheiden zu wollen. Memmingens Oberbürgermeister Manfred Schilder ließ per Mitteilung wissen, dass die Diskussion nun glücklicherweise beendet und das Urteil eine richtungsweisende Entscheidung sei, sollte es rechtskräftig werden. Die Stadt hatte sich zum Auftakt der Verhandlung betont herausgehalten, Anwältin Bräcklein warf dem Oberbürgermeister allerdings frühere Zitate vor, wonach mit ihm als Stadtoberhaupt keine Frau in den Stadtbach springe. Bräcklein sagte, dass Memmingen als "Stadt der Freiheitsrechte in dieser Frage ein robustes Selbstbewusstsein an den Tag lege - aus dem letzten Jahrhundert". Auch Klägerin Renz betonte, dass sie sich mehr Unterstützung der Stadt gewünscht hätte. Es sei schade, dass es nun ein Gerichtsurteil gebraucht habe. "Aber ich freue mich sehr, dass der Fischertagsverein endlich im 21. Jahrhundert angekommen ist."

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