"Vielleicht hat's ja der Magath versaut!", antwortet Fritz Tamm, ein altgedienter Sportlehrer des Traunsteiner Chiemgau-Gymnasiums auf die Frage, warum denn im modernen Sportunterricht kaum noch Medizinbälle zum Einsatz kämen. Es ist durchaus möglich, dass der Fußballtrainer Felix Magath zu den Totengräbern des Medizinballs zählt, schließlich neigt er dazu, seine Spieler durch exzessiven Einsatz dieses Sportgeräts leistungsfähiger zu machen.
Nicht umsonst haben ihm seine Schützlinge den netten Beinamen Quälix verpasst, wobei natürlich zu berücksichtigen ist, dass wahre Kenner des Sports die Fußballer als verzärtelte Weicheier belächeln. Unvergessen ist, wie der frühere FC Bayern-Spieler Calle Del'Haye im Training einmal eine harmlose Medizinball-Einheit absolvieren musste und die Boulevard-Blätter ihn danach in großen Lettern zitierten: "So geschunden wurde ich noch nie!"
Es gab in Deutschland tatsächlich einmal eine Zeit, in der Medizinbälle als Hilfsobjekte einer totalitären Drillpädagogik herhalten mussten. Mit stundenlangen Übungen wurden junge Menschen auf Kasernen- und Schulhöfen körperlich entwickelt und zu soldatischem Schlachtvieh gemacht. Zäh wie Leder, flink wie Windhunde und hart wie Kruppstahl - so sollte der ideale Untertan des Nazi-Regimes auf der Basis der Ballgymnastik geformt werden.
Diese unrühmliche Vergangenheit ist am Medizinball kleben geblieben, was seine Beliebtheit nicht unbedingt gesteigert hat. Weniger bewegungsbegabte Schüler denken wohl ein Leben lang mit Schrecken an jene Sportstunden, in denen die Medizinbälle aus den Stahlschränken der Turnhalle geholt wurden. Während die Muskulösen und die Stiernackigen sich aufplusterten und die Schwachen aus Jux mit gezielten Medizinballwürfen zu Boden streckten, musste der schwere, unhandliche Lederball auf Leptosome, Wirbelsäulenverkrümmte und hagere Streber wie ein Foltergerät wirken. Der an den Bällen haftende Schweißgeruch, der Mief der Sporthalle und die noch vom alten Turnvater Jahn inspirierten Übungen ließen bei schwächlich konstituierten Turnern sehr schnell Todesphantasien und eine tiefe Abneigung gegen den ledernen Lumpen und letztlich gegen jeglichen Sport aufkeimen.
Ungeachtet dessen halten erfahrene Sportlehrer wie Fritz Tamm auf den Medizinball nach wie vor große Stücke. Der 79-jährige Pädagoge, der im Lehrersport noch aktiv Basketball und Volleyball spielt, ist ein Musterbeispiel für die These, dass Medizinballübungen nicht zwangsläufig zur Folter ausarten müssen, sondern dem Menschen helfen, gesund und fit zu bleiben. "Ich kenne 40 bis 50 hilfreiche Übungen. Der Medizinball ist ein gutes Trainingsgerät", sagt Tamm. Dass er nur noch ein Schattendasein fristet, wundert ihn aber nicht. Der Sportunterricht werde generell nicht mehr ernst genommen. Die Depots in den Turnhallen sind zwar voll von Medizinbällen, in der Praxis aber werden sie kaum beachtet, junge Sportlehrer betrachten sie als ein Relikt von vorgestern.