Medizin:Klinik wirbt für Krebs-Behandlung - mit toten Patienten

Lesezeit: 4 min

Das Medias-Klinikum in Oberbayern lockt verzweifelte Krebskranke aus aller Welt an. Es wirbt damit, hoffnungslosen Fällen geholfen zu haben. Doch viele der angeblich geheilten Patienten sind längst gestorben.

Von Christina Berndt

Endlich mal eine gute Geschichte über den Krebs. So las es sich wenigstens. "Michaela hat ihr Leben zurück", stand im Februar 2013 in der Münchner Abendzeitung. Die damals 37-jährige Briefträgerin aus der Nähe von Altötting hatte Brustkrebs im Endstadium. Ihre Ärzte sagten, sie könnten nichts mehr für sie tun. Doch Professor Karl Aigner vom privaten Medias-Klinikum im oberbayerischen Burghausen behandelte Michaela K. trotzdem mit einer speziellen Chemotherapie. Tatsächlich schrumpfte ihr Tumor, und die Abendzeitung empörte sich nun ("Krebs geheilt! Jetzt soll sie zahlen"), dass K.s Krankenkasse die Rechnung in Höhe von 40 000 Euro nicht vollständig übernahm.

Nur: Der Erfolg hielt nicht lange an. Ein gutes halbes Jahr später war Michaela K. tot. Dennoch wird auf einer Website des Medias-Klinikums bis heute mit dem AZ-Artikel geworben. Die Werbung mit Toten kommt bei der Klinik häufig vor, wie Recherchen des NDR, der norwegischen Zeitung Aftenposten und der Süddeutschen Zeitung zeigen. Zahlreiche Patienten, die auf der Facebook-Seite der Klinik oder auf verlinkten Artikeln auf der Website als "geheilt", "gerettet" oder "vom Krebs befreit" gefeiert werden, waren schon bald nach ihrer angeblich erfolgreichen Behandlung gestorben. Manche der Berichte wurden nach den Anfragen des Rechercheteams mittlerweile entfernt.

Pädiatrie
:Für todkranke Kinder die Wahrheit, und nichts als die Wahrheit

Auch kleine Patienten haben das Recht, von ihren Eltern und Ärzten über eine schwere Erkrankung aufgeklärt zu werden. Sie ahnen sowieso meist, wie es um sie steht.

Von Werner Bartens

Wer die euphorischen Berichte liest und nichts vom baldigen Ableben der Geretteten weiß, glaubt, der Professor könnte Sterbenskranke heilen. Zuhauf kommen deshalb Patienten aus aller Welt nach Burghausen. Hunderte hoffen jedes Jahr, so dem Tod zu entkommen.

Die Artikel, die vor allem in Frauenzeitschriften und Boulevardblättern erschienen sind, stammen zum großen Teil von Linda Amon, einer früheren Bild-Reporterin. Sie sehen aus wie journalistische Beiträge, doch per E-Mail teilt Linda Amon mit, sie erhalte ihr Honorar von der Klinik. Weshalb sie Heilungsgeschichten von Toten publiziert, will sie nicht beantworten.

Klinikchef Aigner behauptet auf Anfrage zunächst, Amon sei "freie Journalistin", später räumt er ein, dass sie "ein monatliches Pauschalhonorar für die Darstellung der Klinik nach außen" bekommt. Was sich wie unabhängige Berichterstattung über geglückte Krebsbehandlungen liest, ist verkappte Werbung, die das unglückliche Ende der Patienten verschweigt und eine Therapie bejubelt, die höchst fragwürdig ist.

In seiner Klinik setzt Aigner auf die "Regionale Chemotherapie", kurz RCT. Das Konzept klingt verheißungsvoll: Dabei werde "das Tumormittel nicht in den ganzen Körper geleitet, sondern nur in den Tumor", erklärte er wiederholt. "Dadurch gibt es kaum Nebenwirkungen, keine Organschäden." Der größte Vorteil sei, dass man das "Zytostatikum wesentlich höher dosieren und dadurch die Wirkung enorm erhöhen" könne.

Aigner wendet die Therapie seit mehr als 30 Jahren an. Der 70-Jährige war einer der Vorreiter auf dem Gebiet, das in Fachkreisen zunächst als vielversprechend galt. Doch in ersten kontrollierten Studien half die Behandlung den Kranken nicht. Während sich andere Wissenschaftler von der Methode abwandten, machte Aigner weiter, seit 2006 an der Privatklinik in Burghausen, deren Ärztlicher Direktor und Geschäftsführer er ist. Fachleute sind entsetzt darüber, dass Patienten Hoffnung mit dieser Therapie gemacht wird, auch in Werbevideos in deutscher und englischer Sprache: "90 Prozent der ankommenden Patienten gelten als austherapiert", heißt es darin. "Professor Aigner und sein Team können bei 80 Prozent von ihnen die Tumoren verkleinern, das Leben der Patienten zum Teil für Jahre verlängern."

In Wahrheit aber sei die RCT eine experimentelle Behandlung, die allenfalls für einen kleinen Kreis von Patienten geeignet sei, sagt Jutta Hübner, die lange bei der Deutschen Krebsgesellschaft arbeitete und eine Stiftungsprofessur der Deutschen Krebshilfe am Universitätsklinikum Jena innehat. Aigner aber wende die Therapie breit an: "Die Situationen, wo er das anwendet, entsprechen nicht den wissenschaftlichen Erkenntnissen", so Hübner.

Krebs
:"Mama, mir geht's nicht so gut"

Der Kampf gegen Krebs im Kindesalter ist eine Erfolgsgeschichte. Doch kann die Therapie Spuren hinterlassen, im Körper wie in der Psyche.

Von Christiane Löll

Die Therapie schade den Patienten wahrscheinlich nicht direkt, meint die Onkologin, weil sie nur lokal angewendet werde und die Zytostatika nach der Behandlung aus dem Körper gewaschen werden. Dennoch sei sie ein Problem - wegen der enttäuschten Hoffnungen, des investierten Geldes, das auch mal mehr als 100 000 Euro betragen kann, und weil manche Patienten wegen ihres Glaubens an die RCT auf eine Behandlung verzichten, die ihnen wirklich helfen könnte.

Aigner betont, er nehme das Wort Heilung nicht in den Mund. "Von Heilung spricht niemand in unserem Team." Frühestens 15 Jahre nach einer Krebsbehandlung könne man Patienten als geheilt bezeichnen, sagt er in Übereinstimmung mit der allgemeinen Fachmeinung. Deshalb habe er auch immer moniert, dass seine Patienten in Frauenzeitschriften als "geheilt" bezeichnet wurden. Verlinkt sind oder waren die Artikel, die ihm angeblich missfallen, trotzdem auf seiner Website.

Ob Aigner selbst an die Wirkung seiner Therapie glaubt? Er präsentiert Bücher und Fachartikel, die er zum Erfolg der RCT verfasst hat. Überzeugende kontrollierte Studien, die wissenschaftlich belastbar seien, gebe es jedoch nicht, sagt der Krebsspezialist Friedrich Theiss vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung in Bayern. Deshalb übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen üblicherweise auch nicht die Kosten der in ihren Augen fragwürdigen Therapie.

Dass die Krebsherde der Patienten nach der Behandlung in Burghausen oft schrumpfen, sei angesichts der hohen Dosierung der Zytostatika nicht überraschend, so Theiss: "Aber das ist nur ein vorübergehender Effekt. Leider." Aigner sagt, manche seiner Patienten, die von anderen Ärzten aufgegeben worden seien, hätten nach der RCT Jahre überlebt. So etwas gebe es in der Onkologie aber immer wieder bei einzelnen Patienten, ohne dass dies auf eine Therapie zurückzuführen sei, entgegnen Theiss und Hübner.

Wenn es genug echte Erfolgsgeschichten aus Burghausen gibt, weshalb wird dann mit Toten geworben? Rolf Dietrich K. aus Bargteheide musste auf der Facebook-Seite des Klinikums sogar wieder auferstehen: Ein Erfolgsbericht über die "Rettung" des Betriebswirts wurde Ende 2016 gepostet, da war K. schon seit mehr als zwei Jahren tot. "Ein Unglücksfall", sagt Aigner. In jeder Hinsicht.

Ein ausführlicher Bericht läuft am Dienstag, 18. April, um 21.15 Uhr auf NDR 3 in "Panorama 3".

© SZ vom 18.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Krebs
:Der Tod, Tragödie oder Triumph?

Ein unheilbarer Tumor drückt auf das Gehirn von Simon H., die Ärzte geben ihm nur noch wenig Zeit. Doch der Zwölfjährige sagt, nö, ich geh noch nicht.

Von Felix Hütten

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: