Ein Denkmal aus Rost:Die Arbeit in der Maxhütte war ein gefährlicher Knochenjob

Die Maxhütte.

Die Maxhütte wird abgerissen.

(Foto: Thilo Hierstetter)

Dort begann einst die Industrialisierung Bayerns, nun reißen Bagger das Stahlwerk in Sulzbach-Rosenberg ab. Der frühere Gewerkschafter Hans Thurner reagiert wehmütig, zumal es immer noch kein Konzept für ein Museum gibt.

Von Andreas Glas

Hans Thurner ist noch mal zurückgekehrt. An den Ort, über den er sagt: "Das war mein Leben." Er steht jetzt da, in einem kleinen Raum, zwischen nussbaumfurnierten Möbeln, unter einer nackten Glühbirne. Da war sein Büro. "Für die Kumpel war meine Tür immer offen", sagt Thurner, 82, weißes Haar, die rechte Hand auf eine Krücke gestützt. Er dreht den Kopf zum Fenster und schaut hinaus. Draußen krallen sich die Bagger ins Stahlwerk und reißen gewaltige Stücke aus dem Gebäude. "Das tut mir weh", sagt Thurner. Er dreht seinen Kopf schnell wieder weg.

Thurner war Betriebsrat in der Maxhütte, dem einst größten Stahlbetrieb in Süddeutschland. Ende der Achtzigerjahre hat er mitgeholfen, das Aus der Hütte abzuwehren. Als das Werk dann doch dichtmachen musste, im Juli 2002, war Thurner bereits in Rente. Den Kumpels, für die seine Tür immer offen war, konnte er nicht mehr helfen. "Ich war stocksauer, wie das alles über die Wupper gegangen ist", sagt Thurner. Und jetzt? Muss er wieder zuschauen, wie in Sulzbach-Rosenberg ein Stück Identität verschwindet.

Noch zwei, drei Monate, dann wird das Stahlwerk eine einzige, ebene Fläche sein, einen guten Hektar groß. Für die einen wird dann nur ein Gebäude verschwunden sein. Für die anderen wird dort gerade ein Wahrzeichen aus dem Stadtbild radiert. Über Jahrzehnte hinweg lebten die Menschen im Stadtteil Rosenberg im Schatten der monströsen Anlage. Man kann sich das noch gar nicht vorstellen: der Rosenberger Himmel ohne die markanten Hochfackeln. Nur Sonne, Wolken, sonst nichts. Schon komisch, oder?

Na ja, sagt Bernhard Dobler, "ich glaube, dass der Großteil froh ist, wenn es weg ist." Dobler ist ein drahtiger Mann mit Dreitagebart. Er steht auf dem Werksgelände, neben dem Stahlwerk, und beobachtet, wie die Bagger den Schutt in einen Container poltern lassen. Was dort Neues entsteht, wenn alles plattgemacht ist? "Gewerbe, im Randbereich auch Wohngebiete, das ist so der Plan", sagt Dobler, der Objektmanager der Maxhütte Verwertungs- und Verwaltungs GmbH, die zur Max Aicher Unternehmensgruppe gehört. Er ist, wenn man so will, der Hausmeister einer Ruine. Und neben einer Ruine, sagt Dobler, "da will keiner leben".

Ein Denkmal aus Rost: Hans Thurner gilt unter den früheren Kumpels als Legende. Seinem Einsatz war es zu verdanken, dass das Werk nicht bereits 1987 in Konkurs gehen musste.

Hans Thurner gilt unter den früheren Kumpels als Legende. Seinem Einsatz war es zu verdanken, dass das Werk nicht bereits 1987 in Konkurs gehen musste.

(Foto: Andreas Glas)

Es gibt zwei Sichtweisen in Sulzbach-Rosenberg. Da ist zum einen der Thurner-Blick der alten Kumpel, die in der Maxhütte ein schützenswertes Denkmal sehen, ein Symbol des Aufstiegs der Oberpfalz zur Industrieregion. Und es gibt den Dobler-Blick, nostalgiefrei, nach vorne gerichtet. Vor allem die Jüngeren sehen im Stahlwerk kein Denkmal, sondern einen rostigen Schandfleck, der nicht den Aufstieg, sondern den Niedergang der Stahlindustrie illustriert. Das ganze Werksgelände als Museum konservieren? Unwirtschaftlich, "ein Wunschgedanke", sagt Dobler. Konverterhalle und Kalksilos sind bereits weggerissen, auch die kleine Stranggussanlage. Nun arbeiten sich die Bagger und Kräne der Abrissfirma weiter in Richtung Osten des Geländes, auf dem mehr als 60 Fußballfelder Platz hätten.

Bereits in den Nullerjahren hat die Aicher-Gruppe angefangen, Teile des Inventars abzubauen oder auszuschlachten. Aber jetzt ist der Moment da, in dem die Bagger der Maxhütte das Herz rausreißen: das Stahlwerk. Auf dem Gelände kenne er "jedes Loch", sagt Hans Thurner. Angefangen hat er im Rohrwerk, im Jahr 1959 war das. Später hat er als Kranführer im Stahlwerk gearbeitet. Zwischenzeitlich schufteten 5000 Mann in der Maxhütte. Dort wurden die ersten bayerischen Bahnschienen gewalzt. Das Erz dafür holten Arbeiter aus Minen in der Region. Nach dem Krieg wurde in der Oberpfalz die Hälfte des bayerischen Eisen- und Stahlbedarfs erzeugt. Die Region war eine Industrieinsel im Agrarstaat, eine Festung der Arbeiterbewegung - 149 Jahre lang, bis zum letzten Abstich des Hochofens am 23. September 2002. Danach war die Maxhütte endgültig pleite. Und die letzten 850 Arbeiter verloren ihre Jobs.

"Da habe ich zum ersten Mal in meinem Leben kalt geschwitzt"

Dass die Hütte nicht schon in den Achtzigerjahren zusperrte, hat auch mit Hans Thurner zu tun. "Er hat geholfen, dass das endgültige Aus erst 15 Jahre später kam", sagt Hans Meßmann, 69, früher Industriemeister in der Maxhütte. Dann erzählt er vom 16. April 1987, als im Radio die Nachricht vom ersten Konkurs der Hütte lief. Das, sagt Meßmann, habe nicht nur die Kumpel aufgeschreckt, auch die Lieferanten am Werksbahnhof. Statt Schweröl, Kalk oder Blasformen abzuladen, wollten die Lieferanten kehrtmachen - aus Sorge, auf ihren Rechnungen sitzen zu bleiben. Hätten die Lieferanten das Öl und den Kalk wieder mitgenommen, "es wäre das sofortige Aus für die Maxhütte gewesen", da ist Messmann sicher.

"Da habe ich zum ersten Mal in meinem Leben kalt geschwitzt", erzählt Hans Thurner über jenen Gründonnerstag 1987. Als Thurner vom Konkurs erfuhr, saß er in seinem Betriebsratsbüro. Er rannte los, hinter zum Werksbahnhof. Der Kalklieferant "wollte schon ankuppeln, da bin ich zur Lok runter und habe gesagt: Schluss, der Kalk ist beschlagnahmt!" Als der Lieferant wissen wollte, wer Thurner überhaupt sei, da habe er gesagt: "Ich bin der Vorsitzende vom Arbeiterkomitee." Das habe den Lieferanten so "eingeschüchtert, dass er sich damit abfand", erinnert sich Hans Meßmann. Auch Thurner selbst freut sich immer noch über diese List: "Das Arbeiterkomitee war ja nur ich alleine."

15 000 Stahlarbeiter gegen Stilllegung der Maxhütte 1981 DEU Deutschland Sulzbach Rosenberg 15 00

1981 demonstrierten 15000 Stahlarbeiter gegen die Stilllegung der Maxhütte. Bis 2002 kämpften die Menschen in der Oberpfalz für ihre Arbeitsplätze. Inzwischen ist der Strukturwandel gelungen, die Arbeitslosigkeit ist auf weniger als drei Prozent gesunken.

(Foto: Klaus Rose/imago)

Die Heldengeschichte des Hans Thurner erzählen sich die früheren Kumpel bis heute. Nur, wie lange noch? Alle zwei Wochen treffen sich die Männer zum Stammtisch, reden über die alten Zeiten und ihren Kampf um die Arbeitsplätze. Sie tun das seit 17 Jahren, seit dem Aus der Maxhütte. Aber jetzt, sagt Karl-Heinz Utz, "sterben ja alle weg". Utz, 74, ist ein runder Mann mit Siebentagebart und ohne Daumen an der rechten Hand. Ein Arbeitsunfall. Utz und ein Kollege hoben gerade eine Stahlplatte in eine Stanzmaschine, als einer der zwei Kumpel aus Versehen den Fußschalter berührte. Die Maschine hat Utz den rechten Daumen zerquetscht, dem Kollegen den linken. Die Arbeit in der Maxhütte war ein gefährlicher Knochenjob.

Heute ist Utz im Vorstand des Hüttenvereins "Glück auf", der den Kumpel-Stammtisch organisiert. Er sitzt im Aufenthaltsraum des Vereins, am Ecktisch, vor ihm dampft ein Aschenbecher. Der Raum liegt direkt neben Thurners früherem Betriebsratsbüro. Über den Stammtisch sagt Karl-Heinz Utz: "Wir sind froh, wenn noch 15 Leute kommen." Demnächst wird sich der Hüttenverein auflösen, das ist beschlossene Sache.

Der Verein, das Stahlwerk, wird alles bald weg sein. Immerhin, der Hochofen soll stehen bleiben. Er soll in ein Museumskonzept integriert werden, auch die turmhohen Winderhitzer und die Gießhallen. Im Stadtrat reden sie seit Jahren über den Museumsplan, aber konkret ist noch immer nichts. Im Ruhrgebiet haben sie längst Museen gemacht aus ihren Kohlezechen und Stahlwerken, die so viel erzählen über die Industriekultur einer ganzen Region. Und in der Oberpfalz? Da frisst der Rost die Erinnerung auf.

Im Stadtrat wurde jetzt ein Nutzungskonzept für die verbleibenden Flächen vorgestellt - ein Konzept für das Museum fehlt aber immer noch. Strittig ist, wer es finanzieren und betreiben soll. Sulzbach-Rosenberg hat zwar einen wirtschaftlichen Aufschwung durchgemacht, zählt aber immer noch zu den am höchsten verschuldeten Kommunen Bayerns. SPD-Stadtrat Joachim Bender ärgert sich: "Wir machen nichts für die Industriegeschichte." Vor allem der Freistaat ist seiner Ansicht nach in der Pflicht, wenn es um die Gründung einer Betreibergesellschaft geht. Bender zufolge würde alleine die Sicherung des letzten verbliebenen Hochofens 1,2 Millionen Euro kosten. Das gesamte Museum könnte leicht auf sechs bis zehn Millionen Euro kommen.

Aber geht das überhaupt: die Stahlerzeugung ohne Stahlwerk zu dokumentieren, ohne das Herz der Maxhütte? Man müsse da eben einen Kompromiss machen, um "sowohl der Bevölkerung gerecht zu werden, die mit der Maxhütte aufgewachsen ist, als auch der Nachwelt", sagt Dobler, der Objektmanager. Man könne "nur einen kleinen Bereich erhalten, der auch finanzierbar ist". Allerdings wird es noch dauern, bis auf der Fläche des Stahlwerks die ersten Gewerbebauten und Wohnungen entstehen. Nach dem Abriss muss der ölverseuchte Boden saniert werden. Wer das zahlt, darüber verhandelt die Maxhütte Verwertungs- und Verwaltungs GmbH noch mit dem Freistaat, dessen Anteile die Aicher-Gruppe in den Neunzigerjahren übernommen hat.

In der Zwischenzeit wappnet sich Hans Thurner für den Moment, wenn das Stahlwerk aus dem Stadtbild von Sulzbach-Rosenberg verschwunden sein wird. Aus der Lokalzeitung schneidet er alle Artikel aus, die den Abriss der Maxhütte dokumentieren - und heftet die Ausschnitte in dicken Ordnern ab. Thurner macht das seit Jahrzehnten. Immer, wenn etwas über die Maxhütte in der Zeitung steht. Es ist seine Art, die Erinnerung an Bayerns letztes Stahlwerk festzuhalten.

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