Mathe-Prüfung:Abiturienten kündigen Widerstand an

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Nur 50 bis 60 Prozent der Deutschen können drei einfache Fragen zu Zinsen, Inflation und Risikostreuung an der Börse richtig beantworten. (Foto: AndreyPopov/imago/Panthermedia)
  • Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) will den Notenschlüssel des Mathe-Abiturs nicht anpassen. Zuvor hatten Abiturienten in einer Petition beklagt, die Prüfungen seien schwieriger als in den Jahren zuvor gewesen.
  • "Wenn es nicht an den Aufgaben gelegen hat, frage ich mich, wieso diese als so schwer empfunden wurden", sagte Joshua Grasmüller, der Sprecher für Gymnasien.
  • Die Schüler wollen das Thema noch nicht aufgeben. Der Philologenverband sieht die Entscheidung von Piazolo dagegen positiv.

Von Anna Günther und Jasmin Siebert, München

Zwar könnten die Noten etwas schlechter ausfallen, dennoch will Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) nicht nachträglich in die Bewertung des Mathe-Abiturs eingreifen. Zum aktuellen Zeitpunkt gebe es keinen Grund dafür, sagte er am Donnerstag in München. Die Aufgaben seien "lehrplankonform und ambitioniert, aber machbar gewesen". Abiturienten hatten in einer Petition beklagt, dass die Prüfungen deutlich anspruchsvoller gewesen seien als in den Jahren zuvor und Piazolo aufgefordert, den Notenschlüssel anzupassen. Angesichts der vorliegenden Zahlen hält der Minister es aber nicht für "angebracht", in ein laufendes Abitur einzugreifen. Eine Wiederholung der Prüfung schloss er aus.

Konkrete Zahlen wollte Piazolo allerdings nicht nennen. Nur so viel: Die Ergebnisse seien nicht einmal eine Notenstufe schlechter als sonst und bewegten sich im normalen Schwankungsbereich. Jährliche Unterschiede in den Abi-Durchschnittsnoten seien normal. Bei der schriftlichen Matheprüfung schwankten diese in den vergangenen acht Jahren zwischen 2,8 und 3,1 - diese Daten des Ministeriums veröffentlichte die Landtags-FDP am Donnerstag. Im Langzeitvergleich sind die bayerischen Abiturschnitte sogar besser geworden und die Einser-Abis haben zugenommen.

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Piazolo appellierte an die Schüler, Ruhe zu bewahren und sich auf die Prüfungen zu konzentrieren. Das Mathe-Abitur mache nur 6,6 Prozent der Gesamtnote aus. Am kommenden Montag beginnen die Kolloquiumsprüfungen, danach folgen die mündlichen Nachprüfungen. Erst mit Beginn der Pfingstferien werden wohl endgültige Noten vorliegen. Das Kultusministerium hatte in den vergangenen Tagen an einigen der 430 Gymnasien vorläufige Korrekturergebnisse der Matheprüfung abgefragt, um festzustellen, ob die Aufgaben tatsächlich abweichen. Dafür sieht Piazolo nun keinen Anhaltspunkt, er versicherte aber, "die weiteren Entwicklungen im Auge" zu behalten. "Wir haben die Petition von Anfang an sehr ernst genommen", sagte er. Dass sich das Ministerium Ergebnisse der Erstkorrektur liefern lasse, sei aber eine "absolute Ausnahme".

Der Landesschülerrat hat das Thema damit noch nicht abgehakt. "Wenn es nicht an den Aufgaben gelegen hat, frage ich mich, wieso diese als so schwer empfunden wurden", sagte Joshua Grasmüller, der Sprecher für Gymnasien. Er regte an, die Vorbereitung auf das Abitur zu verändern und den Fokus der Aufgabenstellungen wieder mehr auf die Mathematik zu richten. "Wir respektieren Piazolos Entscheidung", sagte Grasmüller, der 2020 Abitur macht. Er verstehe aber auch die Enttäuschung seiner Mitschüler, die sich mehr erhofft hatten. "Ich bin aber schon froh und dankbar, dass überhaupt ein Schülerthema berücksichtigt wurde und tatsächlich die Überprüfung stattfand." Eine eigene Pressekonferenz hätten große Proteste von Eltern oder Lehrern bisher nie erreicht, bestätigt einer, der lange dabei ist.

Bayerische Abiturienten hatten kurz nach der Matheprüfung am 3. Mai eine Petition initiiert, die mittlerweile 73 000 Menschen unterzeichnet haben. 37 000 Schüler schreiben gerade ihr Abitur. Die Petenten kritisieren, dass die Aufgaben viel zu schwierig gewesen seien und dass sie nicht auf diese Art von Textaufgaben vorbereitet worden seien. Sie stoßen sich besonders an Geometrie und Stochastik mit langen Textaufgaben. Die Schüler beklagen zudem, dass das bayerische Abitur ohnehin anspruchsvoller sei als in anderen Bundesländern, 2019 seien sie im Kampf um Studienplätze also doppelt benachteiligt.

Die Initiatoren der Petition forderten Piazolo auf, den Notenschlüssel zu senken, wie es 2016 in Niedersachsen der Fall war. Das macht den Fall so diffizil: Hätte Piazolo nachgegeben, würde es einen Präzedenzfall geben, der jede zentrale Prüfung anfechtbar machen könnte. Das schloss Piazolo nun quasi aus. Bayern habe diese Entscheidung auch nicht mit anderen Bundesländern abgesprochen. Nach den bayerischen Jugendlichen hatten Schüler in anderen Bundesländern ebenfalls Petitionen initiiert.

Hintergrund ist, dass zwei Arten von Aufgaben Teil der Matheprüfung sind: Unter die von bayerischen Lehrern erdachten Aufgaben werden solche gemischt, die aus einem Pool der Bundesländer stammen. Dieser wurde vor zwei Jahren geschaffen, um die Noten bundesweit vergleichbarer und die Ergebnisse somit etwas gerechter zu machen. Aus diesem Pool wählen die Kultusministerien der Länder Aufgaben, die sie dann aber noch umarbeiten dürfen, was Bayern beispielsweise getan hat, Hamburg nicht. Eine einzelne Aufgabe, gegen die sich der Protest der Schüler richtet, will man im bayerischen Ministerium allerdings nicht ausmachen können. Wäre das der Fall gewesen, hätte das wohl Folgen für andere Bundesländer gehabt.

Eine dieser Pool-Aufgaben war womöglich Ursache dafür, dass viele Abiturienten die Matheprüfung nun als deutlich schwieriger empfanden als die Prüfung 2018: Einbrecher hatten 2018 in Niedersachsen einen Schultresor geknackt und die Aufgaben geklaut. Daraufhin mussten die Matheaufgaben in mehreren Bundesländern ausgetauscht werden. Den Ersatz nennen Mathelehrer "sehr schülerfreundlich". Dieses Jahr seien die Aufgaben wieder auf normalem Niveau gewesen.

Lehrer begrüßen Piazolos Entscheidung

Während die Schüler sich ernstgenommen fühlten, hatte Piazolo bei Lehrern anfangs Irritationen ausgelöst. Er habe suggeriert, dass es beim Abitur Probleme geben könnte, hieß es. Dabei gilt das Abitur als Heiligtum der Gymnasiallehrer und bevor es am Prüfungstag vor den Schülern landet, durchlaufen die Aufgaben diverse Kontrollschleifen. Dass das Ministerium nun "nicht aktionistisch und vorschnell eingreift", sieht Michael Schwägerl, der Chef des Philologenverbands positiv. "Noch liegen die Prüfungen auf den Schreibtischen der Kollegen, die Rückmeldungen sind heterogen und auch die Äußerungen des Ministers lassen keine umfassende Beurteilung zu", sagte er. Die Philologen hatten ihre eigene Untersuchung durchgeführt und sogar die Worte der Textaufgaben vergangener Jahre nachgezählt. Das Ergebnis: kein großer Unterschied. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Matthias Fischbach (FDP) mit seinen Zahlen.

Dagegen stellen sich die Landtags-Grünen auf die Seite der Jugendlichen: "Das Bauchgefühl der Schüler hat nicht getrogen, die Kritik der Petition lässt sich nach der Auswertung erster Korrekturen nicht völlig wegwischen", sagte Gabriele Triebel. Sie fordert einen Bericht des Ministeriums und eine Diskussion über weitere Schritte, "damit 2020 beim Abitur alles ordnungsgemäß abläuft". Dass auch einige Erwachsene das bayerische Abitur zu schwer finden, lässt sich an Klickzahlen und Kommentaren der Petition ablesen. Lehrer und Professoren beklagen dagegen Bedeutungs- und Niveauverlust. "Wer diese Aufgaben nicht rechnen kann, braucht sich gar nicht bei uns zu bewerben", sagte etwa Wolfgang Herrmann, Präsident der TU München.

In der Kommentarfunktion der Online-Petition formiert sich derweil der Widerstand: "Liebe Schüler und Eltern ihr solltet euch wehren. Das ist einfach nicht gerecht!!!!!", schreibt eine Unterzeichnerin und ruft die Schüler zu Demonstrationen auf. Ein Unterstützer spricht von "absoluter Frechheit" und geht noch weiter: "Ein Anwalt hat bereits erklärt, dass die Entscheidung des KuMis juristisch anfechtbar ist, sollte man ein Klage einreichen."

© SZ vom 17.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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