Süddeutsche Zeitung

Hilfsbereitschaft:"Wir können den Kerl doch nicht erfrieren lassen"

Ein Lastwagenfahrer bleibt in Marktschorgast liegen und schläft zwei Nächte im eiskalten Fahrzeug. Bis Bürgermeister Marc Benker etwas mitbekommt - und sofort die Hilfsbereitschaft im Ort anläuft.

Interview von Katja Auer

Marc Benker (CSU) ist seit 2020 ehrenamtlicher Bürgermeister von Marktschorgast im Landkreis Kulmbach. Im Hauptberuf ist der 45-Jährige Polizist. Am Sonntagabend gab es einen ungewöhnlichen Sondereinsatz - für den Bürgermeister und den Polizisten.

SZ: Herr Benker, Sie haben einen Lastwagenfahrer vor dem Erfrieren gerettet. Was ist denn da passiert?

Marc Benker: Der Mann ist am Freitagabend zu spät angekommen bei einer Firma in Marktschorgast, bei der er eigentlich ein Wohnmobil abladen und dann weiterfahren wollte. Weil aber keiner mehr da war, hat er beschlossen, das Wochenende da zu bleiben und erst am Montag abzuladen.

In seinem Lastwagen?

Ja, die Idee war ja gut, aber er hat nicht mit der technischen Anfälligkeit von seinem Lastwagen gerechnet. Der hat den Dienst versagt. Also die Batterie hat versagt, dann ist auch die Standheizung zusammengebrochen und starten konnte er auch nicht mehr.

Und es war kalt am Wochenende.

Ja, bei uns hatte es von Freitag auf Samstag minus 17,5 Grad, Samstag auf Sonntag auch und Sonntagabend immer noch minus elf. Der Mann hat richtig gezittert, als wir ihn aufgegabelt haben.

Wieso ist er denn nicht in den Ort gegangen und hat Hilfe geholt?

Der Mann ist absolut ortsunkundig, seine Firma kommt aus Nordrhein-Westfalen und er ist rumänischer Staatsbürger und spricht gebrochen Deutsch. Da ist alles zusammengekommen. Geld hatte er auch keins und uns hat er dann erzählt, dass er seit drei Monaten keinen Lohn bekommen hat. Ein armer Kerl.

Stattdessen hat er die zweite Nacht wieder draußen verbracht.

Ja, er hat dann in dem Wohnmobil geschlafen, das er auf seinem Lkw geladen hatte. Aber da war dann auch der Tank leer und es wurde kalt.

Irgendwann kam die Polizei.

Genau. Ein Fußgänger ist auf den frierenden Lastwagenfahrer gestoßen, dessen Handy-Akku auch noch leer war. Der Passant hat dann die Polizei informiert. Und dann haben die Kollegen am Sonntagabend bei mir angerufen.

Sie sind nämlich nicht nur Bürgermeister.

Genau, ich bin hauptamtlich Polizist und da haben sich die Kollegen aus Stadtsteinach bei mir gemeldet. Das hat gut gepasst, wir waren grad bei einer Weihnachtsfeier vom Bauernverband in unserem Gasthof Regina und da hab ich den kurzen Draht zum Wirt genutzt.

Sie haben ihm ein Zimmer organisiert?

Ja, wir können den Kerl doch nicht erfrieren lassen. Geld hat er keins, also übernehmen wir das erst mal als Gemeinde. Vielleicht können wir es von der Firma zurückfordern, das sehen wir dann. Das ist jetzt unsere ganz eigene Weihnachtsgeschichte. Und heute hat sich ein Spediteur aus dem Landkreis gemeldet, der die Kosten für Unterkunft und Verpflegung des Mannes übernehmen will.

Gibt offenbar Schlimmeres als in Marktschorgast zu stranden.

Es gibt schon eine große Hilfsbereitschaft bei uns. Als der Krieg in der Ukraine ausgebrochen ist, haben wir acht Tonnen Hilfsgüter gesammelt und hingefahren. Und am Sonntagabend saß der Stammtisch noch im Gasthof, die haben den Lastwagenfahrer gleich aufgenommen und ihm ein Bier und einen Glühwein spendiert. Hat ihm ganz gut gefallen bei uns, glaube ich.

Und wo ist er jetzt?

Er ist immer noch da, sein Lastwagen ist bisher noch nicht repariert, es fehlt noch der Auftrag von der Firma. Aber wir hoffen, dass er im Lauf des Tages wieder starten kann.

Und Sie?

Ich komme gerade von der Frühschicht als Polizist und schlafe jetzt ein wenig. Dann habe ich Schicht bis morgen früh um sechs und dann bin ich wieder drei Tage Bürgermeister. Und wenn es nötig ist, halt auch mal zwischendurch.

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