Martinszell:Auf den Geschmack gebracht

Martinszell: Küchenmeister Ulrich Scheider zeigt den Jugendlichen die Zubereitung von Béchamel-Sauce. Ibrahim aus Gambia (Zweiter v. r.) hat schon eine Lehrstelle.

Küchenmeister Ulrich Scheider zeigt den Jugendlichen die Zubereitung von Béchamel-Sauce. Ibrahim aus Gambia (Zweiter v. r.) hat schon eine Lehrstelle.

(Foto: Maximilian Gerl)

Bei einem Sommerlager sollen junge Asylbewerber für eine Ausbildung in der Gastronomie gewonnen werden

Von Maximilian Gerl, Martinszell

Als seine Mutter starb, war Ibrahim Jurju zehn Jahre alt und allein. Eine befreundete Familie nahm ihn und seinen Bruder auf, doch sie waren nur Familienmitglieder zweiter Klasse. Nach ein paar Jahren durfte Jurju nicht mehr zur Schule, stattdessen musste er Geld verdienen. Die Brüder beschlossen, Gambia zu verlassen und in Europa ein neues Leben zu beginnen. Ibrahim sollte als Erster gehen. In Libyen harrte er fast ein Jahr aus, bis er in einem wackeligen Boot die Fahrt übers Mittelmeer wagte. Jurju überlebte. In Italien folgte die Ernüchterung: Niemanden schien das zu interessieren.

Heute ist Ibrahim Jurju 19 Jahre alt und schnippelt Äpfel. Die Sonne scheint, auf der Wiese des Nachbarhauses weiden Kühe. Im Allgäu hat die Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwaben in den vergangenen Tagen etwas Ungewöhnliches ausprobiert. Für eine Woche versammelte sie 30 junge Flüchtlinge in Martinszell in einem ehemaligen Hotel, das jetzt eine Flüchtlingsunterkunft ist. Die Idee: den Jugendlichen Lust auf eine Ausbildung in der Gastronomie zu machen. Dazu fuhren Betreuer und Flüchtlinge gemeinsam in die Berge, besuchten Hotelbetriebe in der Region und kochten täglich zusammen.

Ibrahim Jurju ist einer der Teilnehmer. "Ich habe in Gambia gern mit meiner Mutter gekocht", erzählt er. In Italien hielt er es sechs Monate aus, dann versuchte er sein Glück woanders. Im August 2014 kam er in Bayern an. In Augsburg besuchte er einen Deutschkurs, machte seinen Hauptschulabschluss, jobbte als Aushilfe in einem vegetarischen Lokal. "Das macht Spaß", sagt er. Jetzt wird Jurju selbst Koch: Das Restaurant, in dem er bislang jobbte, hat ihn als Azubi übernommen.

Jedes Jahr bleiben viele Ausbildungsstellen in der bayerischen Wirtschaft unbesetzt. Unternehmer hoffen, dass Flüchtlinge diese Lücke schließen könnten. Theoretisch eine Win-Win-Situation. Denn die Integration in den Arbeitsmarkt gilt als Königsweg der Integration. Nur wer arbeitet, kann sich voll in die Gesellschaft einfügen. Praktisch gibt es dabei viele Probleme, fehlende Sprachkenntnisse und Qualifikationen etwa, störrische Behörden. Und, nicht zuletzt: Die jungen Flüchtlinge müssen Lust auf den Job haben. Technische Ausbildungsberufe stehen bei ihnen hoch im Kurs - die Gastronomie eher weniger. "Alle in meinem Deutschkurs wollten Mechaniker werden", sagt Jurju.

Bei Jurju hätte es die IHK-Sommerakademie nicht gebraucht, er hatte schon seinen Ausbildungsvertrag in der Tasche. Er fuhr trotzdem gerne mit: Man ist unter Leuten, kocht gemeinsam, genießt das Allgäu. Martinszell ist ein Ortsteil von Waltenhofen, das Dorf liegt idyllisch im Seenland. Bei anderen Teilnehmern muss Ulrich Schneider noch Überzeugungsarbeit leisten. Er ist Kochmeister, Ausbilder und Sozialpädagoge, hat mehr als 20 Jahre an einer Berufsschule unterrichtet. Unter seiner Aufsicht haben die Jugendlichen gerade Gemüselasagne und Obstsalat zubereitet. Jetzt backen sie Brot. "Von denen wird nicht jeder Koch", sagt Schneider. "Aber sie helfen sich gegenseitig - das ist das Wichtigste." Dann gibt er ein paar Anweisungen. Schneider pflegt einen rauen, aber freundschaftlichen Umgangston. "Mir ist es wichtig, dass sie sehen, wie es in einer Küche zugeht", sagt er. Wenn von zehn Leuten neun ihre Ausbildung abbrächen, sei niemandem geholfen.

Die IHK Schwaben startete bereits im Dezember 2014 ihr Programm "Junge Flüchtlinge in Ausbildung". Darüber wurden allein in diesem Jahr mehr als 100 Flüchtlingen eine Ausbildungsstelle vermittelt. Die Sommerakademie bedeutet zwar zusätzlichen Aufwand, aber Josephine Steiger sagt: "Man muss einfach mal machen." Steiger leitet bei der IHK Schwaben das Projekt. Sie und ihre Kollegen halten einerseits den Kontakt zu den Betrieben, andererseits zu den Flüchtlingen. Als es an die Planungen der Sommerakademie ging, fragten sie rum, wer gerne teilnehmen würde. "Die Resonanz war viel größer als erwartet", sagt Steiger. Wem das Kochen im Allgäu Spaß macht und das auch mitteilt, bei dem kann es schnell gehen: Steiger klemmt sich dann gleich hinters Telefon. Mit einem Teilnehmer der Sommerakademie fuhr sie schon am nächsten Tag in zwei Hotels in Oberstdorf, um ihn dort als potenziellen Azubi vorstellen.

Drei Jahre dauert die Ausbildung zum Koch. Jurju könnte sich vorstellen, später einmal ein Restaurant zu führen und Spezialitäten aus Gambia anzubieten. Am liebsten mit seinem Bruder, der ihm nach Europa folgen wollte. Er schaffte es bis nach Libyen. Seitdem hat Jurju von ihm nichts mehr gehört. "Ich rufe ihn manchmal an, aber es geht niemand ran", sagt er. "Ich hoffe, dass er lebt."

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