Martin Wiese:Ein Mann schreckt Landshut auf

Nach dem Zuzug des Rechtsextremisten Martin Wiese fürchtet die Stadt das Erstarken der Neonazi-Szene - der Terrorist sieht sich als Opfer.

Petra Hemmelmann

Ein kugelrunder Kopf, ein grinsender Mund, fast wie ein Smiley. Und ein schwarzer Schnauzbart. Verwechslung ausgeschlossen: Es war Hitler, der da im Oktober an der Wand des Carossa-Gymnasiums in Landshut prangte. Landshut gilt nicht als Hochburg des Rechtsextremismus, ein Hitler-Smiley für sich ist auch noch kein Grund für große Aufregung. Doch seit einigen Monaten herrscht Verunsicherung.

Martin Wiese: Eine konkrete Gefahr gehe von Wiese nicht aus, sagt Verfassungsschützer Feiler: "Nur wegen Martin Wiese (Bild) wird keiner, der sonst nicht zum Rechtsextremismus gekommen wäre, rechtsextrem werden."

Eine konkrete Gefahr gehe von Wiese nicht aus, sagt Verfassungsschützer Feiler: "Nur wegen Martin Wiese (Bild) wird keiner, der sonst nicht zum Rechtsextremismus gekommen wäre, rechtsextrem werden."

(Foto: ddp)

Das ungute Gefühl ist im September 2010 in Gestalt eines neuen Einwohners nach Landshut gezogen: Martin Wiese, verurteilter Terrorist und bekennender Rechtsextremer. Ein überzeugter: Noch während seiner Haft hat er im Nazi-Blatt JVA-Report angekündigt, seine "Erfahrungen mit so vielen Kameraden wie möglich zu teilen und neue Wege im nationalpolitischen Kampf zu gehen". Mit Wiese ziehen auch Misstrauen und Furcht in die niederbayerische Hauptstadt ein.

Die Stadträte beschließen sogar eine "Resolution gegen Extremismus und Rassismus". Die Bürger sehen sich schnell bestätigt in ihrer Überzeugung, dass nun der Nationalsozialismus in ihrer beschaulichen Stadt angekommen ist. Im Oktober beschmieren Unbekannte Wände des Hans-Carossa-Gymnasiums mit Hakenkreuzen, Hitlerbildern und rechten Parolen. In die Tartanbahn ritzen sie Hakenkreuze. Die "Schule ohne Rassismus"-Plakette am Eingang wird übermalt.

Wiese ist ein Schwergewicht in der rechtsextremen Szene. Bis 2003 führte er die "Kameradschaft Süd" in München, dann wurde er wegen eines geplanten Anschlags bei der Grundsteinlegung für das Jüdische Gemeindezentrum verhaftet. Das Oberlandesgericht München verurteilte ihn als Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung zu sieben Jahren Haft.

Mehrmals unterzeichnete der 35-Jährige Briefe aus dem Gefängnis mit "Heil Hitler". "Er ist nach wie vor überzeugter Rechtsextremist", sagt Michael Feiler vom Verfassungsschutz. Ein Antrag auf vorzeitige Haftentlassung scheiterte, das Gericht erkannte "keinen charakterlichen Wandel".

Nach Verbüßung der vollen Strafe wurde Wiese am 8. September aus dem Gefängnis in Bayreuth entlassen. Ende des Monats tauchte er in Landshut auf. Kopfsteinpflaster, gotische Fassaden, bunte Wände - dort, wo Landshut am beschaulichsten ist, an der Grenze zwischen Alt- und Neustadt, da zog Wiese zu seiner Freundin in einen Altbau und bekam ein Praktikum in einer Transportfirma.

Aufgeschreckt lud Oberbürgermeister Hans Rampf im Oktober Vertreter des Staatsschutzes in die Stadtratssitzung ein. Sie sollten den Zuzug des Neu-Landshuters einordnen. "So wollten wir übertriebenen Ängsten und Gerüchten vorbeugen", sagt ein Sprecher der Stadt.

Die Veranstaltung endete damit, dass der Stadtrat besagte Resolution beschloss. Im Landshuter Wochenblatt, einer Gratiszeitung, erschien wenige Tage nach der Sitzung ein Artikel. Wieses Konterfei prangte auf der Titelseite, dazu die Schlagzeile: "Landshut in Sorge: Neonazi Wiese ist in der Stadt".

Die Kritzeleien am Carossa-Gymnasium waren nur ein Auftakt: Fast wöchentlich tauchten danach in der Innenstadt neue Schmierereien auf. Hakenkreuze und Hitlerköpfe prangten unter Klingelschildern, in Fußgängerunterführungen, am Isarufer. Insgesamt 15 Kritzeleien dokumentierte der "Runde Tisch gegen Rechts" bislang.

Der Verfassungsschutz warnt davor, als Urheber automatisch Rechtsextreme zu vermuten. "Das könnten auch unpolitische Jugendliche gewesen sein, die provozieren wollten", sagt Feiler. Seiner Meinung nach hat Wieses Anwesenheit die Rechten in der Stadt nicht beflügelt: "Die Szene war vorher inaktiv und ist es nach wie vor." Mitglieder des Runden Tischs halten es dagegen keineswegs für Zufall, dass die Serie von Schmierereien mit Wieses Zuzug zusammenfällt. Sie fürchten, dass die zerstreute rechte Szene durch die "Leitfigur" vereint wird. Kenner sprechen von etwa 20 Rechtsextremen in Landshut.

Wiese selbst sieht sich als Opfer

Wiese selber sieht sich nicht als Täter sondern Opfer. Durch den Wochenblatt-Artikel sei es für ihn schwierig geworden, außer Haus zu gehen, ohne angesprochen zu werden, sagt er . "Die Sache mit dem normalen Leben war nach zwei Wochen schon gegessen." Er habe sich nach seiner Haft nichts zuschulden kommen lassen. "Wenn ich etwas tue, dann kann ich dafür belangt werden. Aber nur dafür, dass ich etwas tun könnte, kann man mich doch jetzt nicht steinigen."

Mitte Januar berichtet Wiese auf einer Veranstaltung der "Kameradschaft München" über seine Verhaftung und das "perfide Spiel" von Politik und Medien. Bis 2015 steht der 35-Jährige unter Führungsaufsicht, der Kontakt zu seinen Mitverurteilten aus der "Kameradschaft Süd" ist ihm untersagt. Der Kontakt zur Szene allgemein kann ihm nicht verboten werden.

Auch außerhalb rechtsextremer Kreise versteckt sich Wiese nicht. Robert Andreasch vom Antifaschistischen Informationsarchiv Aida sagt: "Wiese ist in Landshut aufgefallen, weil er in Gaststätten und Kneipen das große Wort geführt hat." In der antifaschistischen Szene heißt es, er sei auch mit dem Transportunternehmer, bei dem er sein Praktikum machte, unterwegs gewesen und habe mit ihm judenfeindliche Witze gerissen.

Der Unternehmer bestreitet dies vehement. Einmal sei er mit Wiese in ein Lokal gegangen, um ihn kennenzulernen. Die Arbeitsagentur hatte ihn als Praktikanten vermittelt. Judenfeindliche Äußerungen seien keine gefallen. "Mir war am Anfang gar nicht klar, wer das ist", sagt der Unternehmer. Wiese habe sich dann selbst vorgestellt. Wenige Tage nach Praktikumsbeginn sei der Staatsschutz zu ihm gekommen. Da sei ihm klar geworden, welch große Probleme eine Festanstellung Wieses für seine Firma und ihn bedeuten könnte. - er verwarf sie.

Wiese nennt den Vorwurf, er hätte in Kneipen einschlägige Witze gerissen, absurd: "Wenn einer weiß, wie er sich rein rechtlich artikulieren darf, dann bin ich das." Er mache keine breite Werbung für politische Dinge. "Wenn, dann kommen die Leute auf mich zu", sagt Wiese. Daraus, wer er ist und welche Gesinnung er habe, mache er keinen Hehl: "Meine politische Einstellung ist nach wie vor nationalsozialistischer Natur."

Eine konkrete Gefahr gehe von Wiese nicht aus, sagt Verfassungsschützer Feiler: "Nur wegen Martin Wiese wird keiner, der sonst nicht zum Rechtsextremismus gekommen wäre, rechtsextrem werden." Dennoch kann Feiler die Landshuter Verunsicherung nachvollziehen. "Als verurteilter Terrorist hat er in der Szene einen gewissen Märtyrerstatus", räumt er ein.

Vor wenigen Tagen erscheint im Internet ein Artikel der Deutschen Stimme. Darin wird gerügt, wie Staatsschutz und Medien Wiese das Leben nach der Haft schwer machen. Um ein Konto bei der Sparkasse habe er kämpfen müssen. Der 35-Jährige klagt: "Ein bekennender Nationalist, der keinem Menschen Schaden zufügte, wird durch die Presse gehetzt wie ein wildes Tier."

Man wolle Wiese nicht aus Landshut verjagen, beteuert ein Vertreter des Runden Tischs: "Wir wollen ihm nur seine politische Arbeit möglichst schwer machen." Für Mitte Februar lädt die Vereinigung zu einer Lichterkette gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ein. Ohne seinen Namen zu nennen, wird Wiese auf dem Flugblatt zum Anlass der Veranstaltung erklärt: "Sein Agieren ist eine ernste Gefahr für das friedliche Zusammenleben in unserer Stadt."

Martin Wiese ist am 1.Januar aus Landshut weggezogen. Doch weit dorthin zurück hat er es nicht - er wohnt nur gute zehn Autominuten entfernt.

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