Süddeutsche Zeitung

Maristenkolleg Mindelheim:Die Lüge der Fratres

Der Internatsleiter der Mindelheimer Maristen wurde vor zwei Jahren wegen Missbrauchs verurteilt und versetzt - Eltern und Schüler erfuhren erst jetzt davon.

Stefan Mayr

Die Leitung des Maristeninternats in Mindelheim hat den sexuellen Missbrauch eines Schülers durch den ehemaligen Leiter der Einrichtung vertuscht und jahrelang verschwiegen. Die Maristenbrüder haben erst am Montag per schriftlicher Erklärung bestätigt, dass der ehemalige Internatsleiter im Jahre 2008 wegen sexuellen Missbrauchs rechtskräftig zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde.

Der geständige Frater G. wurde damals von einem Tag auf den anderen in ein Kloster nach Recklinghausen strafversetzt - die wahren Gründe des schnellen Abschieds wurden von den Vertretern des Internats verschwiegen, stattdessen wurde die Öffentlichkeit massiv belogen.

Albert Schuster ist seit Oktober 2009 Leiter des Internats im Unterallgäu, er kann die Nachrichten der vergangenen Woche kaum fassen: "Unsere Existenz ist gefährdet", sagt der 44-jährige Vater zweier Kinder. Er befürchtet einen massiven Imageverlust: "Diese schlimmen Vorfälle von früher beschädigen unsere gute Arbeit von heute."

Bislang musste er sich bereits mit Berichten über sexuelle Übergriffe aus den achtziger Jahren auseinandersetzen, die stets unter der Rubrik "Einzelfälle" eingeordnet wurden. Doch nun ist klar, dass der Maristenorden bis in die Gegenwart Straftaten in dem Internat verschwiegen hat. Selbst Schuster erfuhr erst am Montag von den Taten seines Vorgängers.

Verdachtsfall aus den achtziger Jahren

Am vorvergangenen Montag machte der Spiegel die ersten Vorwürfe öffentlich. Frater Alois Engel, der Beauftragte für alle deutschen Internate des Maristenordens, gab daraufhin eine Erklärung ab. Darin bestätigte er lediglich "die Nachfrage eines Reporters" wegen eines Verdachtsfalles aus den achtziger Jahren - und dass der damalige Internatsleiter von einem Missbrauchsfall nie etwas gehört habe.

Kein Wort verlor Frater Alois über die rechtskräftige Verurteilung des langjährigen Internatsleiters Frater G. Dieser war, wie erst jetzt bekannt wurde, im Jahr 2008 wegen sexuellen Missbrauchs zu zehn Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden.

Das Verfahren wurde nicht-öffentlich per Strafbefehl abgeschlossen. Der geständige Frater verschwand im September 2007 quasi über Nacht aus Mindelheim - ohne Ankündigung und ohne öffentliche Verabschiedung.

"Wir haben das damals sehr bedauert", sagt Christine Döring-Coen, die Vorsitzende des Elternbeirats des Maristengymnasiums. "Frater G. war immer sehr nett und konstruktiv." Mitbrüder und Eltern waren sich einig, dass Frater G. eine große Lücke hinterlasse - zumal er 1993 die "Maristenfeuerwehr" gründete und die Notfallseelsorge im Unterallgäu aufbaute.

Versetzung aus "besonderer Wertschätzung"

Später wurde er gar zum bischöflichen Beauftragten für die Notfallseelsorge der Diözese Augsburg ernannt. "Nach dem schnellen Abschied habe ich mich über die Hintergründe erkundigt", sagt Elternbeirätin Döring-Coen, "aber ich habe nichts erfahren." Es gab zwar Spekulationen, "dass was gewesen sein muss", so Döring-Coen. Aber die Vertreter des Internats zerstreuten die Gerüchte, indem sie ihren scheidenden Mitbruder über den grünen Klee lobten und falsche Behauptungen verbreiteten.

Ein Frater beschrieb die Strafversetzung des Täters sogar als "besondere Wertschätzung" durch den Orden. In der Lokalzeitung sagte ein Frater, er glaube, "dass der Provinzial schon längere Zeit mit dem Gedanken gespielt hat, einen so fähigen Mann wie Frater G. an noch verantwortungsvollerer Stelle einzusetzen". Außerdem habe er gesundheitliche Probleme und müsse andernorts wieder Kraft tanken.

Diese Lüge glaubten die Internatsschüler und ihre Eltern mehr als zwei Jahre lang - bis die Maristenbrüder am Montag in ihrer schriftlicher Erklärung die Wahrheit aussprachen. Demnach hätten zwei Internatsschüler Frater G. angezeigt, weil er 2004 sexuellen Kontakt mit ihnen hatte. Der Beschuldigte legte ein Geständnis ab. "Es tut Frater G. leid, was er getan hat. Wir Maristenbrüder bedauern dies ebenfalls aufrichtig", heißt es in der Mitteilung.

Sorge um die Einrichtung

Immerhin haben sie nun zwei externe Anprechpartner benannt, an die sich Opfer wenden können. Einer davon ist Rechtsanwalt Marco Erhart aus Bad Wörishofen. Der ehemalige Schüler des Maristengymnasiums hat Verständnis für die Tatsache, dass die Hintergründe des Falles G. verschwiegen wurden: "Das geschah nur aus Überforderung und aus Sorge um die Einrichtung und um die Kinder." Bislang habe sich noch kein Opfer bei ihm gemeldet. "Ich glaube auch, dass es bei Einzelfällen bleiben wird."

Die Staatsanwaltschaft Memmingen bearbeitet inzwischen drei weitere Fälle: Die Vorwürfe, die ein Opfer via Zeitschrift erhob, sowie eine Anzeige, über deren Details die Ermittler nichts sagen. Am Montag meldete sich ein weiteres mutmaßliches Opfer.

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SZ vom 03.03.2010/liv
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