Süddeutsche Zeitung

Bayerns Neue für die Wissenschaft:Talkshowaffine Professorin als große Überraschung

Marion Kiechle gilt in der Gynäkologie als Koryphäe. Dass sie komplexe Sachverhalte gut erklären kann, dürfte ihr als neuer Ministerin für Wissenschaft und Kunst in Bayern zugutekommen.

Von Christian Mayer

Es gibt Wissenschaftler und Ärzte, die fachlich brillant sind, aber größte Schwierigkeiten haben, ihre Kenntnisse den Laien verständlich zu machen. Die Medizinerin Marion Kiechle hat das Problem nicht: Die Direktorin der Frauenklinik am Münchner Klinikum rechts der Isar gilt in ihrem Fachbereich, der operativen Gynäkologie, als Koryphäe; sie hat aber auch die Gabe, komplexe Sachverhalte anschaulich zu erklären. Man muss ihr nur mal zuhören, wie sie in Talkshows spricht, dann weiß man: Da sitzt eine Frau, die es nicht nötig hat, mit zungenbrecherischem Expertenwissen anzugeben. Den badischen Dialekt hat Kiechle, geboren in Oberkirch bei Offenburg, dabei nie ganz abgelegt.

Für den neuen bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder war wohl der Gedanke verführerisch, eine solche Frau in sein Kabinett zu holen. Seine neue Wissenschaftsministerin verbindet die langjährige Erfahrung als Professorin und Managerin im bayerischen Wissenschaftsbetrieb mit der Gabe, ohne Umschweife zur Sache zu kommen. In diesem Punkt ist Kiechle das Gegenteil ihres Vorgängers Ludwig Spaenle, der nun die ganze Brutalität seines Parteifreundes Söder erfahren muss: Spaenle, ein promovierter Historiker, neigt zur rhetorischen Weitschweifigkeit, eine Eigenart, die schon Söders Vorgänger Horst Seehofer genervt hat.

Quereinsteiger in leitender Politikfunktion haben immer den Reiz des Unverbrauchten, sie versprechen erst einmal Originalität, selbst wenn sie dann schnell die normative Kraft des ministeriellen Apparats kennenlernen. Der Charmefaktor spielt bei der Berufung Kiechles sicher eine Rolle, genauso wie der Glamourfaktor: Die 57-Jährige, in vierter Ehe mit dem Fußballkommentator Marcel Reif verheiratet, findet sich so ziemlich überall zurecht.

Egal ob beim Münchner Filmfest, beim Charity-Ball für krebskranke Frauen oder bei der Promi-Hochzeit von Boris Becker in St. Moritz: Es gibt hinterher nie peinliche Bilder der stilbewussten Professorin. Mag sein, dass auch diese Parkettsicherheit Söder imponiert, der bisher noch nicht als Salon- und Partylöwe bekannt ist. Genauso wichtig aber ist das Signal, das von dieser Berufung ausgeht: Frauen, die mehr geleistet haben als manche Männer in vergleichbarer Position, die beherrscht und durchsetzungsstark sind, haben einen Platz im bayerischen Kabinett. Selbst wenn sie, wie Kiechle, noch nicht mal Mitglied der CSU sind; wobei die neue Staatsministerin bei ihrem ersten Auftritt im Landtag angedeutet hat, dass sie nun ruckzuck Parteimitglied werden will.

Bei der Vorstellungsrunde gab sie sich selbstbewusst: "Gemischte Teams sind erfolgreicher als reine Frauen- oder Männerteams", sagte sie zur Tatsache, dass im Kabinett Söder künftig sechs Frauen vertreten sind, eine mehr als bisher.

Zuletzt hatte man das Gefühl, dass Marion Kiechle mit ihren streng wissenschaftlichen Themen nicht ganz ausgelastet ist. Ihr Buch "Tag für Tag jünger" stand 2017 auf der Bestsellerliste, die Medien rissen sich um sie. Ganz schön clever, Beauty- und Gesundheitstipps mit Erkenntnissen aus der Fachmedizin zu garnieren. Gerne betont Kiechle, dass man mit dem alternden Körper "intelligent und pfleglich" umgehen sollte, um seine Leistungsfähigkeit zu erhalten. Auch positive Sozialkontakte seien enorm hilfreich, wenn man den Alterungsprozess verzögern möchte. Ob Markus Söder das Buch gelesen hat? Dann wüsste er jetzt, wie man dem Alter nahezu faltenfrei und in Harmonie mit sich selbst die Stirn bietet.

Zellteilung ist ein Lieblingsthema der Professorin. Insofern wird sie wohl ganz froh darüber sein, dass sie keinem Superministerium mehr vorsteht wie ihr Vorgänger Spaenle, der Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst vertrat und sich das locker zutraute. Kiechle wird im Kabinett für Wissenschaft und Kunst zuständig sein, der heikle Bereich Schule bleibt ihr erspart. Man muss eben wissen, wo seine Grenzen liegen.

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SZ vom 22.03.2018/infu
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