Es gibt Bücher, die einen wie alte Freunde durchs Leben begleiten. Man trifft sie immer wieder mal auf einen Ratsch, wenn man sie alle paar Monate aus dem Regal zieht, den Staub wegbläst und darin schmökert: Bildbände von Magnum oder Sebastiao Salgado, die vergilbten Ausgaben von Hermann Hesse oder die beiden Anthologien „Lyrik des Abendlands“ und „Lyrik des Ostens“.
Der Gedichtband „Mei Sprouch“, erschienen im Lichtung Verlag, hat beste Chancen, dass er in diese exklusive Runde der allerbesten Buchfreunde aufgenommen wird, die man nicht mehr missen möchte. Auf 120 Seiten ist darin eine Werkschau der Oberpfälzer Mundartdichterin Margret Hölle versammelt, die 2023 im Alter von 96 Jahren starb. Sie hat ein Werk hinterlassen, das zum Eindringlichsten zählt, was die bayerische Lyrik hervorgebracht hat. Kein Wort zu viel, kein Wort zu wenig, schlicht und archaisch wie die Oberpfalz und deren erdschwerer Dialekt, so kommen auch die Gedichte von Margret Hölle daher.
Die Süddeutsche Zeitung besuchte sie im Jahr vor ihrem Tod in einem Münchner Altenheim. Da rezitierte sie noch einmal „Mei Sprouch“, eine Liebeserklärung an den Dialekt ihrer Heimat, wie es sie schöner kaum geben könnte:
Auf ihre Herkunft aus armen Verhältnissen in Neumarkt blickte Margret Hölle zeitlebens weder mit Verbitterung noch mit romantischer Verklärung zurück – ein Wesenszug, den ihr früherer Verleger Hubert Ettl besonders an ihr geschätzt hat. Der langjährige Chef des Lichtung Verlags in Viechtach hat auch die Auswahl der Gedichte in dem Sammelband übernommen. In seinem Nachwort schreibt er, dass Margret Hölle von der Grunderfahrung des Weggehens geprägt worden sei: Wie für viele andere gab es in der Oberpfalz keinen Platz für sie und ihr Leben. Aber ihre Sprache und das Gefühl der Verbundenheit trug sie mit sich: „Mir is mei Kindasprouch/nouchglofa/nouchglofa wöi a Hund/sie hold se niad/vadreim loun/an de Ferschn is khengt/wou e aa gewinn bi“

SZ Bayern auf Whatsapp:Nachrichten aus der Bayern-Redaktion – jetzt auf Whatsapp abonnieren
Von Aschaffenburg bis Berchtesgaden: Das Bayern-Team der SZ ist im gesamten Freistaat für Sie unterwegs. Hier entlang, wenn Sie Geschichten, News und Hintergründe direkt aufs Handy bekommen möchten.
Margret Hölle war 43 Jahre lang mit dem Zeichner und Illustrator Erich Hölle verheiratet, mit dem sie zwei Kinder hatte. Anfangs arbeitete sie als Schauspielerin, später als Sprecherin beim Bayerischen Rundfunk. Als 1976 ihr erster Gedichtband „A weng wos is aa vüi“ erschien, war sie bereits fast 50 Jahre alt. Auf den Reisen mit der Familie durch Europa verfasste Margret Hölle auch Gedichte auf Hochdeutsch, die wie aquarellhafte Skizzen wirken: „Paestum/Am Mittag/stürzen Vögel/aus der Sonne/Ihre Flügel/ durchschneiden/Jahrtausende“
Mit dem Sammelband „Mei Sprouch“ hat der Lichtung Verlag der großen Mundartdichterin ein Denkmal gesetzt. Hohe Auflagen und entsprechende Gewinne sind gerade für Lyrik nicht zu erwarten. Aber die Gedichte zeugen von der Ausdruckskraft des Oberpfälzischen, das allenfalls noch auf Kabarettbühnen größeres Publikum erreicht, und da meistens als Persiflage seiner selbst. Die Mundartdichtung scheint mit Margret Hölle verstummt zu sein, jedenfalls fällt selbst einem wie Hubert Ettl niemand ein, der ihr in der Oberpfalz nachfolgen könnte.
Umso eindrücklicher sind die Audioaufnahmen, die über einen QR-Code im Buch aufgerufen werden können. Sie lassen Margret Hölle als versierte Sprecherin aufleben und als Frau, die mit ihrer spröden Heimat eine innige Verbindung eingegangen ist. Man glaubt fast ihre Stimme zu hören, wenn man im Herbst durch die Oberpfalz fährt: „Über das windgefegte Feld/schreit die Krähe vom Tod/Über dem modernden Laub/spricht die Schneebeere vom Leben/Schwarze Krähe/weiße Beere/euch vertrau ich“
Margaret Hölle, Mei Sprouch, Lichtung Verlag, 14,90 Euro

