Mangelhafte Lehrerausbildung:Ethik - das bayerische Desasterfach

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In Bayerns Schulen ist die Philosophie noch immer ein Stiefkind. (Foto: dpa/dpaweb)

Immer mehr Schüler belegen das Fach Ethik. Aber weil in Bayern der Religionsunterrricht noch als die Regel gilt, erhalten Lehrer dafür nur eine völlig unzureichende Ausbildung. Alle Versuche, den Zustand zu verbessern, scheiterten bislang am Desinteresse des Kultusministeriums.

Von Martina Scherf

Vor 40 Jahren wurde der Ethikunterricht in Bayern eingeführt - notgedrungen, denn immer mehr Schülerinnen und Schüler meldeten sich vom Religionsunterricht ab. Und für sie, so lautet der Auftrag der bayerischen Verfassung seit 1946, Artikel 137 Absatz 2, "ist ein Unterricht über die allgemein anerkannten Grundsätze der Sittlichkeit einzurichten".

Seither nimmt die Zahl dieser Schüler jedes Jahr zu. Doch das Kultusministerium behandelt die Ethik bis heute nur als Ersatz: Lehrer können sie lediglich als Drittfach belegen, ohne ordentliches Studium, wie es für alle anderen Disziplinen verlangt wird. Und 95 Prozent der Lehrer haben nicht einmal diese Voraussetzung: Sie unterrichten fachfremd. Ein Misstand, der für wachsenden Unmut sorgt.

"Überall ist die Rede davon, wie wichtig Werteerziehung und Urteilsfähigkeit bei Schülern sind", sagt Christoph Schröer, Philosophieprofessor an der Universität Augsburg, der am Wochenende den zweiten bayerischen Ethik-Gipfel in München organisiert. "Um dies zu fördern, ist Ethik das geeignete Fach. Doch es gibt kaum Standards und keine Didaktik."

Lehrer, die bisher wenigstens für die Ethik-Didaktik an Universitäten abgeordnet wurden, dürfen diesen Auftrag jetzt aus Spargründen nicht mehr erfüllen. "Ein unhaltbarer Zustand", meint Schröer. Andere Professoren gehen noch weiter: Von "absurd" bis "desaströs" lauten die Urteile über den Zustand des Unterrichtsfachs, das - weil Religionsunterricht hohen Rang genießt - als Ersatzfach mit einer ebenso hohen Stundenzahl ausgestattet ist: Schon in der Grundschule sind es drei Wochenstunden.

Von 1240 Gymnasiallehrern, die Ethik unterrichten, haben aber nur 40 die Lehramtsprüfung abgelegt. In der Realschule sind es fünf von 500, hat Irina Spiegel recherchiert. Sie ist Koordinatorin der Lehramtsstudiengänge Ethik an der philosophischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. Spiegel bemüht sich, mit einer befristeten halben Stelle, die Ausbildung voranzubringen.

Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen

Bis vor kurzem war damit ein als erzkonservativ bekannter Privatdozent der Theologie vom Kultusministerium beauftragt, der Wochenend-Kurse in Bad Wörishofen anbot und überraschend verstarb. Die fachfremd unterrichtenden Lehrer fühlen sich oft überfordert. Wie soll man auch vernünftig über Erkenntnistheorie, Freiheit und Verantwortung, Medizin-, Medien- oder Wirtschaftsethik diskutieren, wenn man dazu nur in einem Wochenendkurs ein paar Texte gelesen hat?

"Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen", gab Kant als wichtigste Botschaft der Aufklärung heraus. Christoph Schröer ist selbst Theologe, doch er ist überzeugt, dass man in einer immer komplizierter werdenden Welt den Schülern das Handwerkszeug der Logik und praktischen Philosophie zur Orientierung mitgeben muss: "Die Schüler brauchen mehr als private Moral."

Der Bedarf an Ethiklehrern sei in den letzten Jahren enorm gestiegen. Nicht nur weil immer mehr Menschen der Kirche den Rücken kehren, sondern auch, weil inzwischen die dritte Generation der Einwanderer an den Schulen ist. Da treffen Muslime und Angehörige verschiedenster Konfessionen auf Konfessionslose und Atheisten. Ihnen allen eine gemeinsame Basis zu geben, um sich über unterschiedliche Wertvorstellungen und Religionen zu verständigen, das sei der Bildungsauftrag.

Dass die Ethik in Bayern noch immer im Schatten der Religion steht, diese Haltung finden nicht einmal mehr alle Kirchenleute für opportun. "Kardinal Marx und die Mehrheit der Bischofskonferenz hat sich dafür ausgesprochen, das Fach als wichtige Ergänzung, nicht als Konkurrenz zu bewerten", berichtet Schröer. Nicht aber das Kultusministerium.

Obwohl seit 1998 ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vorliegt, das Ethikunterricht allen anderen Unterrichtsfächern gleichstellt, hält sich Bayern, im Gegensatz zu den meisten anderen Bundesländern nicht daran. Im Gegenteil: In den "Grundlagen des Religionsunterrichts und der religiösen Erziehung" heißt es als Hinweis für die Schulleiter: "Bei Elterninformationen ist der Eindruck zu vermeiden, dass Religionslehrer und Ethik zur Wahl gestellt sind."

Und während Jugendliche schon mit 14 Jahren über ihre Religionszugehörigkeit entscheiden dürfen, steht ihnen das Recht zur Abmeldung vom Religionsunterricht erst mit der Volljährigkeit zu. "Ein Widerspruch, der beweist, dass das Fach nicht als gleichwertig angesehen wird", meint Irina Spiegel. An ihrer Fakultät ist unter der Regie des Philosophen und Dekan Julian Nida-Rümelin in den vergangenen Jahren ein hochkarätig besetztes Ethikzentrum entstanden, das sich jetzt ebenfalls bemüht, dem Unterrichtsfach endlich zu seinem gebührenden Rang zu verhelfen.

Auch die Münchner Hochschule für Philosophie, vom Jesuitenorden getragen, wäre bereit, eine qualitativ hochwertige Ethik-Lehrer-Ausbildung aufzubauen. Dies sei dringend geboten, betont Präsident Michael Wallacher. "Wir können das aber nicht aus eigenen Ressourcen stemmen". Das Kultusministerium habe bisher jedoch Unterstützung abgelehnt und die finanzielle Verantwortung dem Wissenschaftsminister zugeschoben.

Minister Ludwig Spaenle hat das Thema Ethikunterricht offenbar gar nicht auf der Tagesordnung. Man habe allgemein über die Frage, wer sich der Ethiklehrerausbildung annehmen könnte, gesprochen, sagt er. Seine Teilnahme an einer Veranstaltung der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung vor drei Wochen mit dem Thema "Vom Ersatzfach zum Konkurrenten - 40 Jahre Ethikunterricht in Bayern", hatte Spaenle zurückgezogen. Aus rein terminlichen Gründen, wie er betont. Mit den Details sei er gar nicht befasst worden.

© SZ vom 07.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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