Malerei:Der Entdecker der Landschaft

Johann Georg von Dillis hat zu Beginn des 19. Jahrhunderts als einer der ersten Künstler das alte Bayern auf seinen Gemälden verewigt. Ein großer Teil seiner 8000 Werke lagert immer noch in Depots und ist bis heute nicht ausgewertet

Von Hans Kratzer

Dass der Tegernsee eine bayerische Vorzeigelandschaft ist, tut ihm nicht immer gut. Leider bewirkt seine Anmut, dass die Umgebung zersiedelt, verschandelt und zubetoniert wird. Eine Ahnung, wie friedlich und romantisch es dort früher einmal ausgesehen hat, verschafft ein Gemälde des Malers Johann Georg von Dillis aus dem Jahre 1825. Weil es ein Geschenk für König Max I. Joseph werden sollte, malte Dillis dieses Bild allerdings im heimeligen Stil mit glatten Wiesen-, Berg- und Seeflächen. Damit hoffte er den Geschmack des Königs zu treffen. Motiv und Malweise dieses Gemäldes aber haben seinen künstlerischen Errungenschaften geradezu widersprochen, schreibt die Kunsthistorikerin Barbara Hardtwig in einem neuen Sammelband über Dillis, der viele bis dato unbekannte Seiten dieses faszinierenden Menschen beleuchtet.

Das Land Bayern hat dem Visionär Dillis (1759-1841) viel zu verdanken. Ohne ihn hätte die Kunststadt München niemals ihren vorzüglichen Rang erworben. Als Museumsdirektor und königlicher Kunstsammler füllte er die Münchner Schatzkammern mit wertvollsten Bildern und Skulpturen wie dem Barberinischen Faun, der heute die Glyptothek ziert. Nicht zuletzt plante Dillis gemeinsam mit Leo von Klenze die Alte Pinakothek.

Leider ist diesem Mann, der auch als Maler neue Maßstäbe setzte, niemals die Wertschätzung zuteil geworden, die ihm zusteht. "Sein 250. Geburtstag im Jahr 2009 verging von der Fachwelt fast unbeachtet", klagt der Museumsexperte Albrecht A. Gribl, der sich deshalb mit einer Arbeitsgruppe daran gemacht hat, das Wissen über Dillis zu mehren. Schon deshalb, weil er ein Pionier der Landschaftsmalerei in Deutschland war. Als einer der ersten Künstler überhaupt stellte Dillis Landschaft und Bauernleben realistisch dar und nicht nur als Staffage für Herrscherporträts, Schlachtengemälde und Mythen. Wer sich mit Dillis beschäftigt, begibt sich auf eine spannende Entdeckungsreise durch das alte Bayern. Er hat als einer der ersten Maler überhaupt im Freien gearbeitet, er erkannte schon früh die später von den großen Fotografen eingefangene magische Wirkung des Lichts auf die Natur. Und er sah den reichen Motivschatz der heimischen Gegend. Es dauerte immerhin bis 1782, bis in Bayern erstmals ein Satz zu lesen war, mit dem heute jeder Politiker und jeder Touristiker hausieren geht: "Wir haben die herrlichsten Gegenden..."

Damals haben die Menschen die Reize der Landschaft kaum wahrgenommen, sie war ihnen mehr Feind als Freund. Der romantisch verklärte Misthaufen war in Zeiten ohne Kanalisation lediglich ein Quell des Gestanks und ein Herd für Krankheiten wie dem Typhus. Als Dillis erstmals "die interessantesten Gegenden des baierschen Gebirges" in Aquarellen festhielt, galt dies als revolutionär.

Sein Drang, die Zeit und das Schöne auf Bildern einzufrieren, rührte vielleicht daher, dass er in einfachen Verhältnissen auf dem Land aufgewachsen ist. Nach einem Theologiestudium absolvierte er eine Ausbildung an der Zeichenakademie. 1822 stieg er zum Direktor der Zentralgemäldegalerie auf, das war der Vorläufer der heutigen Staatsgemäldesammlungen. Dillis begleitete König Ludwig I. auf vielen Kunstreisen. Die lebhafteste Erinnerung an ihn blüht indessen im Dorfener Land (Landkreis Erding), wo Dillis einst in ein Jägeranwesen hineingeboren wurde. Die Arbeitsgruppe, die sich dort formiert hat, speist sich zum Großteil aus der dortigen Lehrerschaft, die sein Andenken unbedingt retten will. Dass er als Pfarrer nicht auf die Sprünge kam und sich lieber der Kunst zuwendete, trug wohl dazu bei, dass sein Ruf in der Heimat etwas litt. Der Lehrer Alois Lehrhuber erfuhr selber noch von einer alten Bäuerin, dass deren Tante Dillis noch abschätzig beurteilte: "Ach, der ausgesprungene Pfarrer . . . "

Welch ein Glück, dass Benjamin Thompson, der spätere Graf Rumford, Dillis stattdessen beauftragte, die Schönheiten des Englischen Gartens und des Gebirges festzuhalten. Das beschert uns heute einen ungeahnten Bilderschatz, dessen Wert mehr und mehr erkannt wird. Vor einigen Jahren wurde ein Dillis-Aquarell für eine Summe von 33 000 Euro versteigert. Vor 30 Jahren wurden seine Bilder noch für 40 Mark verschleudert, wie sich der Dorfner Kunsterzieher Anton Empl erinnert.

Portrai von J.G. Dillis

Das Porträt zeigt Dillis im Jahr 1793.

(Foto: oh)

Künftig wird man an dem 288 Seiten starken und reich bebilderten Buch der Arbeitsgruppe, an dem elf der besten Dillis-Experten mitgearbeitet haben, nicht mehr vorbeikommen. Nicht zuletzt sind darin Skizzen, Aquarelle und Zeichnungen zu finden, die bislang unbeachtet in den Archiven des Münchner Lenbachhauses und der Staatlichen Graphischen Sammlung lagerten. Es sind berührende Momentaufnahmen des Lebens im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Dillis hatte den Drang alles festzuhalten, was er sah. Da er weder auf einen Fotoapparat noch auf ein Smartphone zurückgreifen konnte, zeichnete er alle Beobachtungen adhoc in Reiseblöcke.

Der große Goethe erkannte die Dimension des Werkes von Dillis: Nachdem er einige Dillis-Landschaften zugeschickt bekommen hatte, notierte er: "Herrn Inspector Dillis bitte für die mitgetheilten Radierungen verpflichtet zu danken. Gerade solche kaum bedeutend scheinende Gegenstände, glücklich aufgefasst und mit Geschmack wiedergegeben, setzen mich in die angenehmste Empfindung."

Das Buch der Dillis-Arbeitsgruppe (Johann Georg von Dillis - Familie, Leben, Schaffen) ist im Landratsamt Erding (Tel. 08122/580) sowie in der Dorfener Buchhandlung (Tel. 08081/2622) erhältlich.

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