SZ-Serie: "Familientreffen":Familiengeschichte - spannend wie ein Krimi

Familienforscher Anton Mayr und zwei Gäste stehen vor einem kleinen Brunnen.

Familienforscher Anton Mayr (rechts) zeigt seinen amerikanischen Gästen jene Anwesen nahe Altomünster, in denen deren Vorfahren einst vor der Auswanderung gelebt hatten.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Anton Mayr ist Familienforscher: Mehr als 2000 direkte Vorfahren hat er schon ausgemacht, mit Ausdauer und bisweilen kriminalistischem Spürsinn.

Von Hans Kratzer

Eines Tages, nachdem sich der Familienforscher Anton Mayr im Staatsarchiv München wieder einmal in armdicke Folianten vertieft hatte, stieß er auf handschriftliche Aufzeichnungen, die ihn unversehens mit dem alten Russland konfrontierten. Familiengeschichte ist manchmal spannend wie ein Krimi, und nicht selten öffnet sie das Tor in eine faszinierende und obendrein von den eigenen Vorfahren geprägte Welt.

Der in Maisach lebende Anton Mayr stieß beim Blättern in den Akten auf zwei interessante Verwandte aus der Einöde Oberhaslach bei Altomünster. "Sie hießen Franz Xaver und Leonhard Asum", erzählt er über die beiden Männer, die schon lange vor der Globalisierung erstaunlich europäisch agierten. Leonhard Asum zählte zur Schar jener 35 000 bayerischen Soldaten, die im Schicksalsjahr 1812 mit Napoleons Grande Armée den russischen Feldzug mitmachten, um dann in den winterlichen Weiten jämmerlich zu krepieren.

Das letzte Lebenszeichen seines Vorfahren stammt vom August 1812 aus Polozk, hat Mayr herausgefunden. Dort wollte er sich mit seinem Bruder Franz Xaver treffen, der nach dem Besuch des Augsburger Jesuitenkollegs 1803 in Dünaburg (Lettland) in den Jesuitenorden eintrat und schließlich zum Studium der Philosophie und Theologie nach Polozk geschickt wurde. Nach der Priesterweihe kam er 1811 als Seelsorger nach St. Petersburg.

Der Feldzug hätte, Wunder genug, ein Zusammentreffen der Brüder in Russland ermöglicht. Ehe aber Leonhard Asum in Polozk eintraf, weilte sein Bruder Franz Xaver bereits in St. Petersburg. "Eine Begegnung fand nicht mehr statt, sicher zur großen Enttäuschung des Soldaten Leonhard", resümiert Mayr. Der kam dann recht bald im russischen Winter um, der Jesuit Franz Xaver gelangte nach etlichen Vertreibungen über Tarnopol (Galizien), Graz und Innsbruck nach Linz, wo er im April 1847 als Rektor des dortigen Jesuitenkollegs starb. Vor Jahren habe er dessen Grab auf dem dortigen Friedhof besucht, sagt Mayr.

Spurensuche

Das Anwesen Thalhausen.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Solchen Geschichten nachzuspüren, den oft abseitigen Spuren der Vorfahren zu folgen, das erfordert Ausdauer, historisches Wissen und bisweilen auch einen kriminalistischen Spürsinn. Schon seit 1979 betreibe er Familienforschung, erzählt der 1943 geborene Mayr an dem mit Akten schwer beladenen Tisch im Lesesaal des Staatsarchivs. Beruflich hat er sich als Diplom-Sparkassenbetriebswirt ausgezeichnet, die dafür erforderliche Akkuratesse nützt ihm auch bei seinen Forschungen.

Rein äußerlich erfüllt Mayr jederzeit das Klischee des Heimat- und Familienforschers, das gibt er selber zu: "Lange Zeit waren es überwiegend alte Männer und Lehrer, die Ortschroniken und Stammbäume erstellt haben." Nun aber sei ein Wandel im Gange. "Frauen sind jetzt sogar in der Überzahl", hat Mayr festgestellt, speziell bei den Stammtischen, zu denen sich Familienforscher regelmäßig treffen. Es gibt gute Gründe dafür. Familienforscher müssen sich längst nicht mehr wochenlang in finsteren Archivsälen durch alte Papiere wühlen; mittlerweile sind viele Quellen auch im Internet zugänglich.

"Stirbt ein Mensch, dann geht viel Wissen auf einen Schlag verloren"

Einfach am Küchentisch loslegen, ist aber auch nicht anzuraten. Wer Interesse spürt, dem rät Mayr, sich zuerst mit erfahrenen Familienforschern auszutauschen, etwa bei einem der familiengeschichtlichen Stammtische, die es in ganz Bayern gibt. Auch der Bayerische Landesverein für Familienkunde ist ein zentraler Ort für Treffen und Gleichgesinnte (München, Metzstraße 146). "Ohne einen zielgerichteten Plan stößt man sehr schnell an Grenzen", weiß Mayr aus langer Erfahrung.

Er selber begann sich für die Materie zu interessieren, nachdem er seine Mutter über ihre Vorfahren befragte und sie nichts Genaues wusste. "Ich war erstaunt, dass dieses grundsätzliche Wissen nach so kurzer Zeit schon verloren war. Also machte ich mich auf die Suche", erzählt Mayr, und er kam gut voran. Mehr als 2000 direkte Vorfahren hat er schon ausfindig gemacht, Onkel, Tanten und die anderen Verwandten sind da gar nicht mitgerechnet. Die großen Linien in seiner Familie reichen dabei in die Oberpfalz und nach Tirol; als Verwandte fand er sogar bekannte Familien wie die Sedlmayr (Spatenbrauerei München), Dall'Armi sowie Bischof Sailer von Regensburg und Gregor Rottenkolber, den letzten Abt von Tegernsee. Mayr will damit aber keinen falschen Eindruck erwecken. "Wir sind keine besondere Familie", sagt er, "aber wer viel forscht, der wird zwangsläufig solche Verbindungen feststellen."

SZ-Serie: "Familientreffen": Anton Mayr begab sich auf die Spuren seines Onkels Roman Mayr, der 1916 in Rumänien den Tod fand.

Anton Mayr begab sich auf die Spuren seines Onkels Roman Mayr, der 1916 in Rumänien den Tod fand.

Wo aber fängt man mit der Forschung an? Mayr rät, möglichst bald Daten der eigenen Familie aufzuschreiben. "Stirbt nämlich ein Mensch, dann geht viel Wissen auf einen Schlag verloren." Neben der mündlichen Überlieferung enthalten auch Fotografien, Sterbebilder, Grabinschriften und alte Briefe sowie Feldpost wichtige Daten und Informationen, ebenso Geburts- und Heiratsurkunden sowie Kaufverträge und Gerichtsprotokolle. Eine unverzichtbare Quelle bilden die Kirchenbücher, die bis zur Einführung der Standesämter im Jahr 1876 ein stabiles Gerüst mit Geburts-, Heirats- und Sterbedaten beinhalten.

Wie weit kommt man überhaupt zurück? "Realistisch bis ins Jahr 1550", sagt Mayr. Auf dem Konzil von Trient wurde anno 1563 das Führen von Kirchenbüchern beschlossen, um Taufen und Eheschließungen zu dokumentieren, Sterbebücher folgten 60 Jahre später. "Es hing aber vom Willen des Pfarrers ab, ob er solche Bücher führen wollte", erklärt Mayr. Viele Bücher wurden jedoch verschlampt oder gingen bei Kriegen und Feuersbrünsten verloren. Für manche Pfarreien setzt die Überlieferung deshalb erst von 1800 an ein, was die Forscher oft frustriert. "Ohne eigenes Verschulden kommt man dann nicht mehr weiter." Zum Glück lagern in den staatlichen Archiven noch Heirats- und Übergabeverträge sowie Gerichtsprotokolle, die bis zum Dreißigjährigen Krieg zurückreichen.

SZ-Serie: "Familientreffen": Sippen, Sitten, Soziotope - wie Familien heute leben, SZ-Serie.

Sippen, Sitten, Soziotope - wie Familien heute leben, SZ-Serie.

Mayr rät aber jedem Familienforscher, sich hinaus in die Welt zu begeben. Er selber ist weit herumgekommen, um sich jene Gegenden anzuschauen, in denen einst seine Vorfahren gelebt hatten. Und er besuchte zum Beispiel jenen Soldatenfriedhof in Rumänien, auf dem sein Onkel Roman Mayr ruht. Als Soldat des bayerischen Infanterie-Leibregiments ist er im Kriegsjahr 1916 fern der Heimat gefallen.

Selbst im Vatikan hat Mayr geforscht, und erst heuer, sagt er, "habe ich ein Kirchenbuch in der Pfarrei Potsdam eingesehen, wohin es einen Altomünsterer Landsmann bereits im 18. Jahrhundert verschlagen hatte, der Hofmaler beim Preußenkönig Friedrich Wilhelm wurde." Umgekehrt landet die weite Welt aber auch bei ihm. Vor wenigen Tagen besuchten ihn Celm und Jamie Barrere aus Houston (USA), deren Ururgroßvater 1850 aus der Gegend von Jetzendorf nach New Orleans ausgewandert war. Nun zeigte ihnen Mayr eben jenes Anwesen, in dem ihre Vorfahren einst gewohnt hatten. Auf den Friedhöfen fanden sich keine Spuren mehr, alle Gräber der Familie sind längst aufgelassen. "Immer mehr alte Gräber gehen immer schneller verloren", hat Mayr festgestellt, eine Folge des modernen Lebensstils. Mit dem Verschwinden der Grabsteine gehe auch ein Teil unserer Kultur zu Ende, sagt Mayr. "Aber das lässt sich nicht aufhalten."

Zur SZ-Startseite
Oberst Andreas Brendel, stellv. Kommandeur des Bundeswehr-Landeskommandos, und seinen Vater in der Fürst-Wrede-Kaserne.

SZ-Familienserie
:Der Bund fürs Leben

Andreas Brendel und sein Vater erlernten beide den Soldatenberuf, aber mussten nie in den Kampf ziehen. Sie hadern mit dem Ansehen der Armee: Die Gesellschaft heute habe "den Bezug zur Bundeswehr verloren".

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: