Sechs Wochen nach der aufsehenerregenden Flucht eines wegen Totschlags verurteilten Psychiatrie-Patienten ist im niederbayerischen Bezirksklinikum Mainkofen erneut ein Straftäter entkommen. Wie das Polizeipräsidium in Straubing auf SZ-Anfrage bestätigte, flüchtete ein männlicher Patient am Samstagabend während eines unbegleiteten Gruppenausgangs. Er habe sich kurz vor 20 Uhr „widerrechtlich vom Klinikgelände entfernt“, teilte ein Polizeisprecher mit. Er sei unvermittelt weggelaufen. Am Sonntagnachmittag habe er sich den Behörden freiwillig in Plattling gestellt und sei zurück nach Deggendorf gebracht worden. Für die Bevölkerung habe keine Gefahr bestanden, betonte die Polizei.
Nach Angaben der Polizei handelt es sich um einen verurteilten Straftäter, der wegen einer psychischen Erkrankung im sogenannten Maßregelvollzug in der geschlossenen Psychiatrie des Bezirksklinikums Mainkofen in Deggendorf untergebracht war.
Dem Bezirk Niederbayern zufolge war der Patient wegen räuberischer Erpressung verurteilt worden, bei ihm sei eine „hirnorganische Persönlichkeitsstörung“ diagnostiziert worden. Nach SZ-Informationen soll er bereits in der Vergangenheit zwei Versuche unternommen haben, aus einer geschlossenen Einrichtung zu fliehen. Eine offizielle Bestätigung dafür gab es bis Sonntagabend nicht.
Erst vergangene Woche war der Chefarzt der forensischen Psychiatrie in Mainkofen freigestellt worden, nachdem eklatante Fehler bei der Organisation von Lockerungsmaßnahmen bekannt geworden waren. So war es am 8. August während eines begleiteten Kinobesuchs zur Flucht eines wegen Totschlags verurteilten Mannes gekommen, der zunächst als „äußerst gefährlich“ eingestuft wurde. Wegen eines Missverständnisses zwischen zwei Klinikmitarbeiterinnen konnte der Patient ungehindert durch den Haupteingang des Kinos entkommen. Die Polizei startete eine Großfahndung, er wurde acht Stunden später widerstandslos gefasst. Zu Schaden kam niemand.
Es soll bereits der dritte Fluchtversuch des Betroffenen sein
Für zusätzliche Empörung sorgte, dass beim besagten Besuch eines Kinderfilms in den Sommerferien zwei weitere Straftäter dabei waren, darunter ein Mann mit diagnostizierter Pädophilie. Der dritte Mann war ausgerechnet jener Patient, der am Samstagabend aus dem Bezirksklinikum entwischt ist. Bei jenem Ausflug waren nur drei Mitarbeiterinnen und eine Praktikantin anwesend, was die Klinik im Nachhinein als Fehler bezeichnete.
Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) nannte die Vorgänge rund um den Kinobesuch „nicht akzeptabel“. Vergangene Woche kündigte die Klinikleitung professionellere Standards und mehr Kontrollinstanzen in Mainkofen an. Der Bezirk Niederbayern teilte mit, es gebe beim aktuellen Fall keine „Hinweise auf Planungsfehler“. Kritiker wie der Münchner Rechtsanwalt David Mühlberger, der selbst eine Reihe von Mandanten im Bezirksklinikum Mainkofen vertritt, fordern: „Das Haus muss komplett umstrukturiert werden.“
Er kritisiert „Willkür“ und mangelnde juristische Expertise bei der Vergabe und dem Entzug von Lockerungen. Seine Sorge ist, dass nun die Patientinnen und Patienten das Organisationsversagen ausbaden müssen. Er berichtet von pauschalen Lockerungsbeschränkungen sowie von aus seiner Sicht übertriebenen Sicherheitsvorkehrungen: So sei ein Mandant vor wenigen Tagen mit Fußfessel, Bauchgurt und Handfessel zu einer Anhörung gebracht worden. „Der sah aus wie Hannibal Lecter“, sagt Mühlberger.