Industriegeschichte:Fluch und Segen eines Jahrhundertbauwerks

Industriegeschichte: Am 26. März 1979 brach südlich von Nürnberg ein Teil des Damms am neu zu errichtenden Main-Donau-Kanal. Die laut Augenzeugen bis zu zwei Meter hohe Flutwelle zerstörte in Katzwang 14 Häuser, 120 weitere wurden beschädigt.

Am 26. März 1979 brach südlich von Nürnberg ein Teil des Damms am neu zu errichtenden Main-Donau-Kanal. Die laut Augenzeugen bis zu zwei Meter hohe Flutwelle zerstörte in Katzwang 14 Häuser, 120 weitere wurden beschädigt.

(Foto: imago stock&people/imago/ZUMA/Keystone)

Vor 30 Jahren wurde der Main-Donau-Kanal eröffnet. Kaum ein Projekt hat Bayern so in Befürworter und Gegner gespalten, schon während des Baus kam es zu einer Tragödie. Sind die alten Wunden geheilt?

Von Olaf Przybilla und Christian Sebald, Nürnberg

Der Tiefpunkt des Projekts war bereits erreicht, ehe der Main-Donau-Kanal eröffnet wurde. Am 26. März 1979 bildeten sich um die Mittagszeit Wasserlachen an der Kanalbaustelle im fränkischen Katzwang, wenig später brach der Damm des probeweise gefluteten Teilstücks auf einer Länge von zehn Metern. Durch die Wasserwalze verlor eine Zwölfjährige ihr Leben, acht Menschen erlitten Verletzungen. 120 Häuser wurden bei der Katastrophe beschädigt, 14 zerstört, der Gesamtschaden belief sich auf 21 Millionen DM.

Schien der Bau schon zu Beginn unter keinem glücklichen Stern zu stehen, so tönten die politischen Verheißungen umso hymnischer. Dem Jahrhundertbauwerk werde dereinst dieselbe Bedeutung zukommen wie Panama- und Suezkanal, verkündete 1986 Franz Josef Strauß. Immerhin sei schon bei Goethe nachzulesen, dass eine der großen Menschheitsleistungen die Verbindung vom Nordatlantik zum Schwarzen Meer sein werde. Und nicht nur das: Durch den Kanal, prophezeite er, würden die Rheinhäfen an Bedeutung gewinnen, so dass sich die Nordseehäfen an Elbe und Weser mächtig ins Zeug legen müssten, um konkurrenzfähig zu bleiben.

Menschheitsleistung? 30 Jahre nach der Kanaleröffnung dürften selbst Strauß-Verehrer keine solchen Lobpreisungen erwarten, dazu sind die immer weiter sinkenden Frachtzahlen zu ernüchternd. Auch da, wo man den Kanal in der Tendenz für eindeutig segensreich hält, überwiegt der nüchterne Ton. Am griffigsten formuliert das der Sprecher der Betriebsgesellschaft Bayernhafen, Daniel Brandt: "Der Kanal ist da - Punkt." Dass ökonomische Vorhersagen nicht erreicht wurden, liege gewiss auch am Realitätsgehalt dieser Prognosen. Die Schifffahrt könnte, richtig genutzt, einen eminenten Beitrag zur Verkehrswende leisten - und tue dies bereits. Zumal Bayernhafen für mehr als 40 000 Menschen Arbeitsplätze schaffe und sichere. Für Brandt mache schon insofern "ein Blick in die Zukunft mehr Sinn als das Heranziehen historischer Daten".

Aus Sicht des Bundes Naturschutz (BN) dagegen steht die Wasserstraße "beispielhaft für ein völlig unsinniges und naturzerstörerisches Prestigeprojekt" . Der BN-Ehrenvorsitzende, Hubert Weiger, sprach kürzlich bei einem Ortstermin von "einem ökologisch-ökonomischen Desaster". Vor allem im Altmühltal sind die Wunden, die der Kanal in eine alte Kulturlandschaft geschlagen hat, nicht geheilt. Allenfalls vernarbt.

Zwar leuchtet auch dort die Landschaft im Sommer grün. Aber die Altmühl und die Sulz sind keine mäandernden Flüsse mehr, sondern eine Kette aus Stauseen. Die Folgen für die vormals reiche Flora und Fauna sind katastrophal. Das Ottmaringer Tal zum Beispiel, das der Kanal durchschneidet, gehörte mit seinen Feuchtwiesen zu den ökologisch wertvollsten Gebieten der südlichen Frankenalb - mit Sumpfohreulen, Bekassinen und anderen seltenen Vogelarten. Die Moore und Feuchtwiesen sind alle kaputt. Auch andernorts beklagen die Naturschützer herbe Verluste. Erdkröte und Wasserspitzmaus - einst in der Region weit verbreitet - fehlen vielerorts. Rohrammer, Sumpfrohrsänger oder das Braunkehlchen sind selten geworden. All das obwohl die Rhein-Main-Donau AG als Bauträger seinerzeit viele Millionen Euro in ökologische Ausgleichsmaßnahmen gepumpt hat.

Industriegeschichte: Für Nürnbergs Wirtschaftsreferenten Michael Fraas (CSU) ist der Kanal - im Bild ist eine Schleuse im Abschnitt Altmühltal zu sehen - "ein voller Erfolg": So wurde etwa Nürnberg zur begehrten Flusskreuzfahrtdestination durch ihn - und Bayern habe ein "Tor zur Welt" bekommen.

Für Nürnbergs Wirtschaftsreferenten Michael Fraas (CSU) ist der Kanal - im Bild ist eine Schleuse im Abschnitt Altmühltal zu sehen - "ein voller Erfolg": So wurde etwa Nürnberg zur begehrten Flusskreuzfahrtdestination durch ihn - und Bayern habe ein "Tor zur Welt" bekommen.

(Foto: dpa/SZ Photo)

Die Zerstörungen wiegen aus BN-Sicht auch deshalb so schwer, weil sich die wirtschaftlichen Erwartungen an den Kanal nicht im Ansatz erfüllt haben. Weiger erinnert an Prognosen aus dem Eröffnungsjahr 1992. Demnach hätten bis 2002 pro Jahr 18 Millionen Tonnen Güter auf dem Kanal transportiert werden sollen. Die Menge wurde nicht nur nie erreicht. Die tatsächliche Frachtmenge ist vielmehr von Jahr zu Jahr gesunken. Im Abschnitt zwischen Nürnberg und Kelheim waren 2002 gerade mal 6,2 Millionen Tonnen Fracht unterwegs. 2020 hatte sich die Menge auf nur noch 3,1 Millionen Tonnen halbiert.

Bayernhafen dementiert die Zahlen nicht - und auch nicht, dass die Tendenz weiter sinkend ist. Warum das so ist? Als wichtigsten Grund nennt Beatrix Wegner, Leiterin der Geschäftsstelle des Deutschen Wasserstraßen- und Schifffahrtsvereins Rhein-Main-Donau (DWSV), den weltweiten Siegeszug der Großcontainer, den die Kanalbauer nicht vorhergesehen hatten. Auf dem Rhein etwa floriert der Container-Frachtverkehr, in den Main-Donau-Kanal dagegen finden solche Schiffe selten. Die niedrige Höhe der Kanalbrücken macht Containerfracht weithin unrentabel - können die Schiffe doch nur maximal zwei Containerlagen übereinander transportieren, ganz anders als im Rhein.

Droht dem neuen Kanal auf lange Sicht gar das Schicksal des Alten Kanals: als Industriedenkmal für Freizeitgestaltung? "Niemals", sagt Wegner, "ich glaube fest an die Zukunft der Wasserstraße". Für ihren DWSV-Chef, Nürnbergs Wirtschaftsreferenten Michael Fraas (CSU), ist der Kanal gar "ein voller Erfolg". So wurde etwa Nürnberg zur begehrten Flusskreuzfahrtdestination durch ihn - und Bayern habe ein "Tor zur Welt" bekommen.

Industriegeschichte: Umweltminister Thorsten Glauber nennt den Kanal die "wasserwirtschaftliche Lebensversicherung Frankens", weil er das trockene Franken mit Wasser aus Südbayern versorgt. Das Bild vom Sonnenuntergang am Main-Donau-Kanal entstand 2017 bei Hilpoltstein.

Umweltminister Thorsten Glauber nennt den Kanal die "wasserwirtschaftliche Lebensversicherung Frankens", weil er das trockene Franken mit Wasser aus Südbayern versorgt. Das Bild vom Sonnenuntergang am Main-Donau-Kanal entstand 2017 bei Hilpoltstein.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Umweltminister Thorsten Glauber (FW) wiederum betont die Bedeutung des Kanals als Wasserüberleitung vom wasserreichen Südbayern ins trockene Franken. "Für den Wasserhaushalt in Franken hat der Kanal elementare Bedeutung", sagt er. Und das nicht nur als Wasserspender für die Flüsse dort, sondern auch fürs Grundwasser und den Wasserhaushalt insgesamt in Nordbayern. Mit Hilfe der Überleitung, zu der auch das fränkische Seenland zählt, flossen bislang mehr als vier Milliarden Kubikmeter Wasser gen Norden. Im Zuge der Klimakatastrophe dürfte das immer wichtiger werden. Glauber nennt den Kanal gar die "wasserwirtschaftliche Lebensversicherung Frankens".

Auch das aber wollen Naturschützer so nicht anerkennen - auch wenn sie die Wasserüberleitung selbst nicht in Frage stellen. "Aber für eine Wasserüberleitung hätte man den Kanal nicht bauen müssen", sagt Weiger. Eine Wasserleitung hätte es seiner Ansicht nach auch getan, wäre wesentlich günstiger gekommen - und hätte Natur und Landschaft geschont.

Und zum Teil auch die Menschen. Die Suche nach Verantwortlichen der Katastrophe von Katzwang jedenfalls ist zwei Jahre nach dem Unglück eingestellt worden. Niemand sei dafür persönlich haftbar zu machen, stellte die Staatsanwaltschaft fest. Hauptursächlich für das Unglück war wohl das unterspülte Rohr einer Trinkwasserleitung.

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:"Wenn du als Person vollends doof bist, kannst du keinen Dummen spielen"

Volker Heißmann ist Komiker, Theaterchef und Präsident von Greuther Fürth. Die meisten kennen ihn in der Rolle als "Mariechen", aber wer ist der Mensch unter der Perücke? Ein Gespräch über Franken, Gott und die Frage, wie er einmal sterben will.

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