Mädchenmörder könnte freikommen:Das Dorf, das nicht vergisst

Drei Mädchen hat Manfred W. getötet, 42 Jahre saß er dafür im Gefängnis. Nun könnte er bald entlassen werden. In seiner Heimatgemeinde, dem oberfränkischen Kaltenbrunn, sorgt man sich: Der soll bloß nicht wiederkommen, sagen sie im Ort - und so mancher findet noch drastischere Worte.

Katja Auer und Olaf Przybilla, Nürnberg

Es mag gar nicht recht hell werden an diesem Vormittag, der Nebel hängt über dem Itzgrund, und ein paar dünne Schneeflocken verirren sich in den Einkaufskorb des alten Herrn. "Wer Mädchen umbringt, dem gehört ein Strick um den Hals", sagt er.

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Nach 42 Jahren Haft könnte der Mädchenmörder Manfred W. freikommen.

(Foto: dpa)

Er hat gerade eingekauft, für sich und seine Frau, und plaudert noch ein bisschen vor dem Supermarkt in Kaltenbrunn, das liegt ganz im Süden des Landkreises Coburg. Der Mädchenmörder? Ja, der sei freilich wieder Dorfgespräch. Seitdem in der Zeitung etwas darüber gestanden hat, dass er vielleicht rauskommen soll. Eine Sauerei wäre das, finden sie in Kaltenbrunn.

1968 und 1969 hat Manfred W. drei Mädchen umgebracht, eine 14, zwei 16 Jahre alt. Der 27-jährige Bitumen-Mischer aus dem oberfränkischen Kaltenbrunn hatte sie gequält und schließlich "zur Befriedigung seines sadistischen Geschlechtstriebes" ermordet, so urteilte das Gericht.

Seit er wegen dreifachen Mordes verurteilt wurde, sitzt er in der Justizvollzugsanstalt. Seit inzwischen 42 Jahren. In diesen Tagen berät die Strafvollstreckungskammer Regensburg darüber, ob der Mann entlassen werden könnte - die Entscheidung soll voraussichtlich noch vor Weihnachten fallen.

"Da drüben, da ist sein Elternhaus", sagt der Mann vor dem Supermarkt in Kaltenbrunn und zeigt die Straße hinunter. Gleich neben der Brauerei. Den Manfred, den kenne er schon "seit er so groß" war, sagt er und macht eine Bewegung in Bauchnabelhöhe. Ein guter Tischtennisspieler soll er gewesen sein, er hat sogar die Jugend trainiert, und in der Feuerwehr war er auch.

Ein ganz normaler Kerl. "Der hat sogar mitgesucht", erinnert sich einer, der auch dazugekommen ist. Und im Wirtshaus habe er gesagt, dass man dem Kerl den Kopf abschneiden solle, wenn man ihn endlich finde. 1969 war das, als sie die Sieglinde suchten.

16 Messerstiche wies die Leiche auf

Die 16-Jährige war sein letztes Opfer, wie ihr Mörder stammte sie aus Kaltenbrunn. Er bot ihr an, sie im Auto mitzunehmen und dann fuhr er mit ihr zu seiner Arbeitsstelle, einem Bitumen-Werk. Dort presste er sie an einen 90 Grad heißen Tank und schlug sie mit Lederriemen. Danach erstach er sie.

Einer kann sich erinnern, wie sie damals im Wirtshaus zusammensaßen, als herausgekommen war, dass die Polizei den Manfred verdächtigte. Doch nicht der Manfred, haben sie da gedacht.

Er war es doch. Als er festgenommen wurde, führte er die Polizei dahin, wo er das Mädchen erstochen hatte. Die Hand soll sie nach oben gereckt haben, sagen sie in Kaltenbrunn, als ob sie noch habe aufstehen wollen. 16 Messerstiche wies die Leiche auf.

Als der Prozess vor dem Schwurgericht Coburg begann, demonstrierten aufgebrachte Menschen vor dem Gebäude. Sie forderten die Todesstrafe, der damals 27-Jährige musste von Uniformierten in Mannschaftsstärke vom Zorn der Bürger abgeschirmt werden.

Die da schrien und Plakate in die Höhe reckten, das seien nicht nur Arbeitslose und Rentner gewesen, sagte Oberstaatsanwalt Horst Hans Frank damals dem Spiegel. Er habe sich mit Ärzten und Akademikern unterhalten, für die der Fall ebenfalls Grund gewesen sei, die Wiedereinführung der Todesstrafe zu fordern. Zu dreimal lebenslänglich wurde der Bitumen-Mischer schließlich verurteilt.

In Kaltenbrunn ist das Leben weitergegangen, irgendwie. Keiner will seinen Namen in der Zeitung lesen, keiner will offiziell etwas sagen. Schließlich leben die Verwandten der Opfer und des Täters noch immer in der gleichen Gegend. Probleme gebe es da keine, heißt es, und das soll auch so bleiben. Angst haben sie zwar nicht mehr vor dem heute fast 70-Jährigen, aber blicken lassen solle er sich besser nicht mehr. Dick soll er geworden sein, haben sie in Kaltenbrunn gehört, und an zwei Stecken laufen.

Blut auf dem Beifahrersitz

Das ist alles nicht vergessen", sagt auch Bürgermeister Werner Thomas. Zu traumatisierend war das Verbrechen für das ganze Dorf. Gut 500 Menschen leben in Kaltenbrunn, es hat sie geschockt, dass einer von ihnen der Mörder war. "Man hat gelernt, damit zu leben", sagt der Bürgermeister.

Deswegen will er auf keinen Fall, dass sich der Mann, sollte er tatsächlich freigelassen werden, wieder in Kaltenbrunn niederlässt. Er sei schon angesprochen worden, drei-, viermal, ob die Gemeinde da denn nichts machen könne. Könne sie aber nicht. Er hofft, dass es soweit gar nicht kommen wird.

Sicher sein kann er sich aber nicht: Das Gutachten eines Sachverständigen kommt zu dem Ergebnis, dass W. unter bestimmten Auflagen entlassen werden könnte. Die Staatsanwaltschaft Coburg hat dem widersprochen. Der Leitende Oberstaatsanwalt, Anton Lohneis, sagt, W. kenne das Leben inzwischen nur noch "aus dem Fernsehen".

Auch die Persönlichkeitsstruktur des Mädchenmörders spreche gegen eine Entlassung. Zwar sei der Versuch unternommen worden, den inzwischen 69 Jahre alten Häftling in der Haft zu therapieren - ob allerdings erfolgreich, sei ungewiss. Der Staatsanwalt befürchtet, dass W. mit dem Leben draußen nach 42 Jahren Haft nicht mehr zurechtkommen könnte. Egal, ob in seiner alten Heimat oder sonstwo.

Schon allein deswegen sei nicht auszuschließen, dass W. abermals straffällig werden könnte. Die zuständige Strafvollstreckungskammer in Regensburg werde "wohl noch in diesem Jahr entscheiden", sagt die Vorsitzende Richterin, Birgit Eisvogel.

In Kaltenbrunn sagt einer, er wolle gar nichts mehr hören davon. Daheim hat er einen dicken Ordner, da drin ist alles gesammelt, was so geschrieben wurde damals. Viel Schmarrn sei da in der Zeitung gestanden. Das mit dem roten Auto zum Beispiel, niemals habe der Manfred ein rotes Auto gefahren.

Aber die rote Isetta eines Bekannten habe die Polizei damals auch kontrolliert, erzählt ein anderer. Einen anderen hätten sie 1969 angehalten, weil Blut auf dem Beifahrersitz zu sehen war. Dabei war das nur von einer Gans, die gerade geschlachtet worden war.

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