Naturmedizin:Wie sich Salus in der Welt der Pharmakonzerne behauptet

Made in Bayern - Salus

Mit 91 Jahren ist Otto Greither noch jeden Tag in der Firma, doch nun übergibt er die Verantwortung, an Florian Block, 36, den Mann seiner Enkelin.

(Foto: Ralph Furtner)

Seit 100 Jahren stellt die Firma Tees und Tropfen her - der Firmenchef hat mit 91 Jahren noch immer die Zügel in der Hand. Doch bald steht ein Umbruch an.

Von Maximilian Gerl, Bruckmühl

An die Nacht erinnert sich Otto Greither gut. "Das Feuer der Bomben hat man bis nach Tegernsee gesehen", sagt er. Am kommenden Morgen radelte er nach München, 50 Kilometer, um zu überprüfen, was die Bomben von der Firma seines Vaters übrig gelassen hatten: "Alles kaputt", fasst Greither die Schäden zusammen.

61 Jahre später steht die Firma seines Vaters nicht nur wieder, sie steht sogar besser da als vor dem Zweiten Weltkrieg. "So weit haben wir damals gar nicht gedacht", sagt Greither über das Jahr 1945, "damals ging es ja ums Überleben." Mehr als 400 Mitarbeiter arbeiten heute für die Salus-Gruppe, der Umsatz lag 2015 bei rund 100 Millionen Euro.

Normal für einen Mittelständler. Für ein führendes Pharmaunternehmen eher ungewöhnlich, Konzerne beherrschen die Branche. Salus aber hat eine Nische gefunden: Naturarzneimittel.

Greither ist 91 Jahre alt, ein Patriarch alter Schule, der nicht von seinem Lebenswerk lassen will und kann. Jeden Tag fährt er mit dem E-Auto vor, nimmt auf der Treppe zum Büro zwei Stufen auf einmal. "Wenn es nicht schnell geht, ist es mir zu langsam", sagt er. Seine Firma ist nur wenig älter als er: Vor wenigen Wochen feierten sie bei Salus das 100. Jubiläum. Am Samstag wird dann groß gefeiert, mit einem Tag der offenen Tür, dem ersten in 100 Jahren.

Otto Greither senior gründete die Firma. Er war Arzt, entwickelte eine Kur, die sogenannte Salus-Kur, dazu Gesundheitstees, Heilmoore und Öle, die er in eigenen Reformhäusern verkaufte. Die gibt es heute nicht mehr, dafür ein größeres Sortiment. Rund 1 500 Artikel bietet Salus an, vor allem Tees und Tonika. Ein Bestseller heißt Floradix, ein Stärkungsmittel bei Eisenmangel.

Networking im Nudistenheim

Als Otto Greither junior die Firma nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufbaut, ist er 20 Jahre alt und Vollwaise. Salus fehlt es an vielem, an Geld, an unzerstörten Produktionshallen, an Partnern. Um neue Geschäftskontakte herzustellen, fährt Greither nach Frankfurt zu einem Treffen von Reformwarenherstellern. Das findet in einem Nudistenheim statt. Also ziehen Greither und seine Kollegen die Kleider aus und halten die Konferenz nackt ab - so erzählt er es jedenfalls Jahrzehnte später einem Magazin.

Im Zuge des Wirtschaftswunders wird es Salus in München schnell zu klein. In den späten Sechzigerjahren verlagert Greither den Firmensitz nach Bruckmühl bei Rosenheim, wo er Land und ein Wasserkraftwerk kauft. Er habe eine "Vorliebe für Elektrizität", scherzt er: Nach dem Krieg habe Salus nur vormittags produzieren können, weil nachmittags regelmäßig das Netz zusammenbrach. Seitdem schätzt Greither Autarkie, er will von nichts und niemandem abhängig sein, nicht mal beim Strom.

Alles rein pflanzlich

In den Lagerhallen riecht es wie im Gewürzschrank. Die klassische Pharmaindustrie arbeitet synthetisch, die notwendigen Stoffe werden in Tanks produziert. Salus hingegen zieht die Wirkstoffe direkt aus Pflanzen, vor allem aus getrockneten Kräutern. Tonnenweise liefern die Bauern und Händler sie in Bruckmühl an. Maschinen zerkleinern Blätter, entziehen Pflanzensäften Wasser, sieben Sprossen aus. In großen Bottichen werden die verschiedenen Stoffe im richtigen Verhältnis gemischt. Roboter verpacken Teebeutel oder füllen Tropfenfläschchen ab. Frauen und Männer in weißen Kitteln überwachen im Labor die Qualität.

Made in Bayern - Salus

Bis in die späten Sechzigerjahre war es üblich, dass Kräuter mit der Hand sortiert wurden, danach setzte schrittweise die Automatisierung ein.

(Foto: Ralph Furtner)

Naturarzneien, das klingt zunächst nach Homöopathie. Die ist unter Medizinern stark umstritten, viele sagen, die Wirksamkeit homöopathischer Mittel lasse sich wissenschaftlich nicht belegen. Bei Salus legen sie daher Wert darauf, dass sich ihre Produkte ans Lebensmittel- und ans Arzneimittelgesetz halten, dass sie medizinische Wirkstoffe verwenden. Neue zu entwickeln, überlässt man aber anderen. Trotzdem führt der Rückgriff auf pflanzliche Rohstoffe dazu, dass Salus-Produkte vergleichsweise teuer sind. Greither sagt, er setze eben auf Qualität und Natur, nicht auf Umsatz: "Der Vorstand eines Aktienunternehmens ist eigentlich arm dran, der muss seinen Aktionären ständig bessere Zahlen liefern."

Wenn Unternehmer von Nachhaltigkeit schwärmen, klingt das oft nach PR. Greither hingegen wirkt überzeugend. Ihm gehört ein rund drei Hektar großer Auwald hinter dem Salus-Gelände. "Bevor die Gemeinde etwas damit anstellt, erhalte ich den lieber selbst", sagt Greither. Wer sich länger auf dem Firmengelände aufhält, hört ähnliche Anekdoten: etwa, wie der Chef fürs Labor eine klimaneutrale Wasserkühlung entwerfen ließ. Eine Installation, die wirtschaftlich bestimmt nicht klug gewesen sei, mutmaßen die Mitarbeiter, dafür umweltfreundlich.

Auf einem eigenen Versuchsfeld studieren Botaniker, wie sich Heilpflanzen am besten züchten und ernten lassen, kreieren manchmal sogar neue Sorten. Für das Unternehmen ist das hier gewonnene Wissen Gold wert. Beispiel Pfefferminze: Je nach Boden, Wetter oder Erntezeitpunkt schmeckt die Pflanze anders - und damit auch der Pfefferminztee. Deswegen geben die Salus-Botaniker den Bauern Tipps für den richtigen Anbau. Eine Win-Win-Situation: Die Landwirte wissen, dass sie ihre Ernte bei Salus loswerden, weil sie sich an die Vorgaben halten. Und Salus weiß, dass die Qualität der Ware stimmt.

Otto Greither kontrolliert alles in seinem Unternehmen. Aber damit sein Lebenswerk zukunftsfähig bleibt, braucht er einen Nachfolger. Den fand er mit Florian Block in der Enkelgeneration. "Ich lerne jeden Tag von ihm, durch Zuschauen, durch Zuhören", sagt der 36 Jahre alte Block. Konflikte mit dem Senior-Chef gebe es keine, man liege auf einer Wellenlänge. Greither selbst befindet über seinen jungen Nachfolger: "Er kann Bairisch. Das war ein sehr wichtiges Kriterium."

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