Süddeutsche Zeitung

Machtkampf in der CSU:Stammbaum der Streithanseln

Seit Jahrzehnten stellt die CSU den Ministerpräsidenten in Bayern, doch bei der Nachfolge hapert es. Mancher Streit lässt sogar den zwischen Seehofer und Söder verblassen.

Von Peter Fahrenholz

Von Franz Josef Strauß stammt das hübsche Bonmot: "Ich habe alles schon erlebt, und das Gegenteil davon". In diesem Fall hätte aber auch Strauß vermutlich passen müssen. Denn dass die CSU-Landtagsfraktion im Alleingang den Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2018 bestimmen will, über alle sonstigen Gremien in der Partei hinweg, ist ein Novum in der Geschichte der Partei. Normalerweise wird in demokratischen Parteien das Führungspersonal auf Parteitagen bestimmt, alternativ ist eine Urwahl durch alle Mitglieder ein mögliches Verfahren.

So paradox es klingt: Obwohl die CSU schon seit Jahrzehnten den Ministerpräsidenten stellt, hat sie keinerlei Übung darin, den Übergang von einem Regierungschef zu seinem Nachfolger in einem geregelten Prozess zu organisieren. Die letzte diesbezügliche Erfahrung liegt fast 40 Jahre zurück. Das war 1978, als Strauß aus Bonn nach Bayern zurückkehrte und nach der Landtagswahl zum neuen Ministerpräsidenten gewählt wurde - als Nachfolger von Alfons Goppel, der nicht mehr kandidiert hatte.

Auch Goppel musste allerdings heftig bekniet werden, aufzuhören und den Weg frei zu machen. Der Abschied wurde ihm damals mit der Spitzenkandidatur zur Europawahl versüßt. Verdiente Politiker aufs Altenteil nach Brüssel zu schicken, war lange Zeit durchaus üblich, was zu dem Spruch geführt hat: "Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa."

Seither hat es in der CSU aber kein geordnetes Verfahren der Nachfolgeregelung mehr gegeben, und in den meisten Fällen erst recht kein gesittetes. Denn seither hat kein Ministerpräsident mehr einen friedlichen, freiwilligen Abschied zum Ende einer Legislaturperiode erlebt. Entweder er starb im Amt (Franz Josef Strauß), wurde nach langen Querelen zum Rücktritt gezwungen (Max Streibl), wurde von den eigenen Leuten weggeputscht (Edmund Stoiber) oder nach einem Wahldebakel am Weitermachen gehindert (Günther Beckstein).

In allen Fällen wurde die Nachfolge auf mehr oder minder rustikale Weise geregelt, für die es in der Parteisatzung noch nicht einmal den Hauch eines Paragrafen gegeben hat. In keinem Fall war jedoch die Landtagsfraktion der alleinige Akteur.

Verglichen mit späteren Streitereien verlief die Aufteilung des Erbes nach dem Tod von Strauß noch am friedlichsten, wenngleich auch nicht ohne Opfer. Damals einigten sich die Granden relativ rasch auf eine Ämterteilung an der Spitze: CSU-Chef wurde Theo Waigel, Ministerpräsident Max Streibl. Eine Aufteilung, die Strauß selber vermutlich nie so vorgenommen hätte, wenn er es noch hätte bestimmen können, denn auf der Strecke blieb Gerold Tandler, einer seiner engsten Vertrauten.

Den Sturz von Stoiber Anfang 2007 führten die Landtagsabgeordneten auf ihrer Klausurtagung in Kreuth herbei, auch wenn ihm dabei eine neunmonatige Abschiedstournee im Amt konzediert wurde, was sich im Nachhinein als schwerer Fehler erwies. Damals rangelten Günther Beckstein und Erwin Huber um die Nachfolge, Beckstein hatte als Ministerpräsident die besseren Karten, Huber setzte sich auf einem Parteitag gegen Horst Seehofer durch, gegen den zuvor Details aus seinem Privatleben an die Medien durchgestochen worden waren, um ihm zu schaden.

Stoiber war schon damals für Seehofer, weil er dem Duo Beckstein/Huber die Schuld an seinem Sturz gab. Das sollte sich für beide schon ein Jahr später rächen, denn nach der Wahlschlappe von 2008 war Stoiber hinter den Kulissen eine der treibenden Kräfte, dass beide ihre Ämter verloren. Seehofer hatte damals keineswegs von Anfang an vor, neben CSU-Chef auch Ministerpräsident zu werden, kam aber zum Zuge, weil sich die potenziellen Landes-Kandidaten gegenseitig blockierten.

Berichte über vorzeitige Siege können immer verfrüht sein

Am interessantesten aber war der Nachfolgestreit bei Max Streibl Anfang 1993. Er wurde mindestens so erbittert geführt wie der jetzige Machtkampf zwischen Seehofer und Söder und zog sich über Monate hin. Protagonisten waren Stoiber und Waigel. Auch damals gab es einen klaren Liebling der Landtagsabgeordneten: Stoiber. Aber die Landtagsfraktion konnte ihn keineswegs aus eigener Kraft auf den Schild heben, obwohl sie mitten in der Legislaturperiode für die Neuwahl des Regierungschefs zuständig war.

Es gab unzählige Krisengespräche, Vermittlungsversuche, ein gescheitertes Versöhnungstreffen zwischen Stoiber und Waigel. Ein Bezirksparteitag der Nürnberger CSU demütigte Waigel in dessen Beisein, indem er sich klar für Stoiber aussprach. Auch eine siebenstündige Sitzung zwischen Parteivorstand und Fraktionsvorstand blieb zunächst ohne Ergebnis. Erst eine weitere Mammutsitzung beider Gremien, die sonst nie zusammen tagen, führte schließlich zum Verzicht Waigels. Berichte über einen endgültigen Sieg Söders könnten deshalb verfrüht sein.

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SZ vom 30.11.2017/bhi
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