Süddeutsche Zeitung

Machtkämpfe:Der brutalste Gegner der CSU ist die CSU

  • Die Geschichte der CSU, die sich so gerne ihrer Geschlossenheit rühmt, ist eine Geschichte ewiger, oft erbitterter Streitereien.
  • Edmund Stoiber und Horst Seehofer können für sich in Anspruch nehmen, in alle drei Varianten verwickelt gewesen zu sein

Von Peter Fahrenholz

Sollte Horst Seehofer irgendwann einmal seine Erinnerungen aufschreiben oder von einem Ghostwriter aufschreiben lassen, wird es interessant sein, über wen sein Urteil abfälliger ausfällt, von wem er sich in seinem politischen Leben mehr gedemütigt gefühlt hat: von Angela Merkel oder von Markus Söder und dessen Getreuen in der eigenen Partei. Die CSU ist ja eine Partei, die viel von Inszenierung versteht, wahrscheinlich am meisten von allen Parteien.

Da kann das interne Klima noch so vergiftet sein, wenn es sein muss, wird eben ein kurzer Scheinfrieden inszeniert. So wie auf dem Parteitag vor zwei Wochen, als die Ex-Parteichefs Theo Waigel und Edmund Stoiber gemeinsam auftraten, von denen jeder weiß, dass sie sich nicht ausstehen können (wobei Waigel Stoiber noch ein bisschen weniger ausstehen kann als umgekehrt). Und wo Seehofer den "lieben Markus" mit warmen Worten lobte, obwohl er ihn in Wirklichkeit zum Teufel wünscht.

Die Geschichte der CSU, die sich so gerne ihrer Geschlossenheit rühmt, ist eine Geschichte ewiger, oft erbitterter Streitereien. Stoiber und Seehofer können für sich in Anspruch nehmen, in alle drei Varianten verwickelt gewesen zu sein: den Streit mit der Schwesterpartei CDU, den Kampf gegen die Bundesregierung, und zwar ganz egal, ob man ihr nun angehörte oder nicht und die brutalste der drei Varianten - den parteiinternen Dschungelkrieg, der oft mit schmutzigen Mitteln geführt wurde.

Was den ständigen Zwist zwischen CDU und CSU anlangte, war die vergiftete Beziehung von Franz Josef Strauß und Helmut Kohl die Mutter aller Probleme, wie Seehofer sagen würde. Strauß hat Kohl abgrundtief verachtet und nie verwunden, dass er jemandem dem Vortritt lassen musste, den er in allen Belangen für unterlegen hielt. Der ihm aber, wie sich zeigen sollte, an Brutalität, Machtwillen und taktischer Schläue überlegen war. Im November 1976 kündigte die CSU auf ihrer Klausurtagung in Wildbad Kreuth die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU auf, Helmut Kohl hatte kurz zuvor die Bundestagswahl nur denkbar knapp verloren.

Zu den Anekdoten jener Tage gehört, dass Strauß sich nicht traute, Kohl den Trennungsbeschluss mitzuteilen, sondern damit den neuen CSU-Landesgruppenchef Friedrich Zimmermann beauftragte. Der entzog sich dieser Aufgabe auf elegante Weise, wie er Jahre später verriet. Leider hätte er auf dem Weg vom Tegernsee zurück nach München keine einzige freie Telefonzelle gefunden, will er Strauß gesagt haben.

In der CSU löste der Trennungsbeschluss genau die gleichen Turbulenzen aus, die ein solcher Beschluss auch heute auslösen würde. Ein Sonderparteitag stand im Raum, Strauß geriet unter heftigen Druck. In dieser Situation hielt er vor dem Landesvorstand der Jungen Union eine Brandrede, die als "Wienerwaldrede" berühmt wurde, weil das Treffen in der damaligen Zentrale des Hendlbraters stattfand. Strauß prophezeite dem CSU-Nachwuchs damals, Kohl werde nie Kanzler werden, er sei "total unfähig" ihm fehle "alles" dafür. Vernichtender hat selten jemand über einen Rivalen aus der eigenen Parteifamilie geurteilt.

Strauß musste schließlich kleinlaut zurückrudern. Zwar gelang es ihm 1980, selber Kanzlerkandidat der Union zu werden, weil Kohl klug genug war, nicht noch einmal in ein Duell mit dem populären Amtsinhaber Helmut Schmidt zu ziehen. Aber als zwei Jahre später die sozialliberale Koalition zerbrach, schlug die Stunde Kohls und für Strauß fand sich kein Platz am Bonner Koalitionstisch, den er für angemessen gehalten hätte. Er musste als Ministerpräsident in Bayern bleiben. Von nun an stand praktisch ständig das Stück "Bayern gegen Bonn" auf dem Spielplan: Unablässig nörgelte Strauß an der Koalition aus Union und FDP herum, obwohl die eigene CSU ihr auch angehörte. "Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, lieber Helmut" - so begannen unzählige Brandbriefe von Strauß. Dass sie umgehend in Kohls Papierkorb landeten, ist vermutlich eine Legende, denn ein ordentlich geführtes Kanzleramt wird wohl ein Schubladisierungssystem für unerwünschte Zuschriften haben.

Nachdem Edmund Stoiber 1993 Ministerpräsident geworden war, trafen die ständigen Sticheleien aus München immer wieder den eigenen Parteichef Theo Waigel, Finanzminister im Kabinett Kohl. Die Feindschaft beider Herren wurde dadurch verlässlich vertieft. In der schwierigen Diskussion um die Abschaffung der D-Mark und die Einführung des Euro wiederholte Stoiber über Monate mantrahaft den Satz "Dreikommanull heißt Dreikommanull." Damit war das Defizitkriterium des Maastricht-Vertrags gemeint, das Waigel gefälligst zehntelgenau einhalten sollte. Kurzzeitig lag in der Luft, dass Bayern im Bundesrat den Maastricht-Vertrag ablehnen könnte. Waigel wäre noch am selben Tag zurückgetreten - ein Desaster für die CSU.

Wenn man vom notorischen Störfeuer aus München absieht, war die Ära Waigel die harmonischste Phase zwischen CDU und CSU, jedenfalls an der Parteispitze. Waigel war Minister in Kohls Kabinett und anders als Strauß und später Stoiber keineswegs von der Vorstellung besessen, er sei eigentlich der bessere Kanzler. Was vermutlich auch eine vernünftige Einstellung ist, wenn die Schwesterpartei nun mal viel größer ist. Bei Edmund Stoiber und später Horst Seehofer wurde es wieder schlimmer, viel schlimmer. Angela Merkel, die CDU-Chefin und Kanzlerin, hat sich für sie als unüberwindlich erwiesen. Wer von den beiden ihr politisches Ende inbrünstiger herbeisehnt, ist schwer zu sagen, wahrscheinlich beide ungefähr gleich.

Dabei sah es für Stoiber anfangs ganz gut aus. Auch die CDU-Granden (die Merkel dann später einen nach dem anderen abgeräumt hat) sahen in Stoiber, der von brennendem Ehrgeiz getrieben war, 2002 den besten Kanzlerkandidaten gegen Gerhard Schröder. Merkel hat ihm beim berühmten Frühstück von Wolfratshausen den Vortritt gelassen. Stoiber scheiterte, und bei den vorgezogenen Wahlen drei Jahre später war Merkel an der Reihe, was ihr die Gelegenheit gab, genüsslich Revanche zu nehmen. Stoiber zierte sich lange, ob er in ihr Kabinett eintreten sollte, beim Gerangel um seine Kompetenzen als Super-Wirtschaftsminister rührte sie keinen Finger für ihn. Entnervt ergriff Stoiber die Flucht aus Berlin, zum Entsetzen seiner Münchner Parteifreunde, die sich schon auf die Zeit ohne ihn gefreut hatten.

Horst Seehofer wiederum ist von Merkel erstmals 2004 zur Strecke gebracht worden, beim Streit um die sogenannte Kopfpauschale im Gesundheitssystem, die die CDU wollte und die Seehofer vehement ablehnte. Er zog nach langem Streit den Kürzeren und warf sein Amt als Unionsfraktionsvize hin. Es schien das Ende seiner politischen Karriere zu sein, begleitet von schäbiger Häme aus der CDU. Als der Kompromiss im Gesundheitsstreit auf einem CSU-Parteitag abgesegnet wurde, lief der damalige CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer im Pressebereich herum und erzählte jedem: Der Seehofer sei doch ein Fall für den Arzt. Welche Art von Arzt Meyer meinte, war allen klar. Die Erbitterung, mit der Seehofer seit 2015 Merkels Flüchtlingspolitik bekämpft, ist ohne diese Vorgeschichte nicht erklärbar.

Ist der Wahlsieg nicht mehr garantiert, macht sich Panik breit

Aber alle diese Auseinandersetzungen sind nichts gegen die brutalen Machtkämpfe, die sich die CSU in den eigenen Reihen liefert. Nach dem kläglichen Ergebnis bei der Bundestagswahl wurde Seehofer von seinem machthungrigen Rivalen Markus Söder und dessen Hintersassen in der CSU-Landtagsfraktion systematisch aus dem Amt als Ministerpräsident gemobbt. Er sei "ordentlich von Parteifreunden demontiert worden", beklagte Seehofer im März in einem SZ-Interview. Seine Partei fand nichts dabei, ihn in Bayern zu filetieren, während er in Berlin bei den Koalitionsverhandlungen für die CSU die Kohlen aus dem Feuer holen sollte. "In Bayern nicht mehr tragbar, aber im Bund unbedingt gebraucht - das ist eigenartig" - nicht nur Seehofer findet diese Art von Logik schwer nachvollziehbar.

Einzigartig ist der Kampf um die Staatskanzlei zwischen Seehofer und Söder indessen nicht. Knapp 25 Jahre zuvor war es mindestens so raubeinig zugegangen - zwischen Waigel und Stoiber. Ministerpräsident Max Streibl war in eine Affäre um Gratisreisen verstrickt und in seinem Amt heillos überfordert. In der CSU machte sich die Angst vor dem Verlust der absoluten Mehrheit bei der nächsten Landtagswahl breit - ein verlässlicher Auslöser für Putschpläne.

Waigel entschloss sich damals sehr spät, den Rücktritt Streibls herbeizuführen und selber dessen Nachfolger zu werden. Zu spät, denn Stoiber hatte in der Landtagsfraktion seine Bataillone längst in Stellung gebracht, genauso wie es Söder später gemacht hat. Es folgte ein erbitterter Kampf zwischen Stoiber und Waigel, Brüllduelle der beiden und mehrfache stundenlange Krisensitzungen diverser Gremien und Kleingruppen inklusive. Am Schluss zog Waigel den Kürzeren.

Aber auch Stoiber bekam die Brutalität seiner Partei zu spüren. Mit seiner Flucht aus Berlin hatte er sein politisches Ende eingeläutet und wieder wuchs die Angst, die nächste Wahl zu verlieren. Also wurde er Anfang 2007 zum Rücktritt gezwungen, ausgerechnet von seinen Getreuen in der Landtagsfraktion. Dafür war Stoiber dann in vorderster Front dabei, seine Nachfolger Günther Beckstein und Erwin Huber abzusägen, als die CSU bei der Wahl 2008 die absolute Mehrheit verlor.

Diesmal dürfte es noch viel schlimmer kommen, darauf deuten alle Umfragen hin. Und so wie es aussieht, soll die Schuld dann bei Horst Seehofer abgeladen werden. "Der Sündenbock", wusste Erwin Huber vor Jahren, "ist kein Herdentier."

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SZ vom 29.09.2018/infu
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