Internet-Phänomen:Das Pop-Wunder aus Otterskirchen

Luna

Keine rosa Kleidchen: Alina Striedl weiß schon früh, dass sie lieber Sängerin statt Prinzessin werden will.

(Foto: Calvin Müller)

Alina Striedl ist 18 Jahre alt und lebt in der niederbayerischen Provinz. Über Nacht wurde Luna, wie sie sich als Sängerin nennt, auf Tiktok berühmt und schaffte es in die Charts - mit einem Lied über die Liebe zu anderen Frauen.

Von Stefan Sommer

Seit am 10. April 1969 ein Meteorit über Otterskirchen gesichtet wurde, bedachte die Weltöffentlichkeit die niederbayerische Gemeinde nicht direkt überschwänglich mit ihrer Aufmerksamkeit. Das könnte sich nun ändern: die Otterskirchenerin Alina Striedl hat im Keller ihres Elternhauses auf einem umfunktionierten Billardtisch einen Pophit geschrieben. Ihre Piano-Ballade "Verlierer" stand Ende 2020 auf Platz 3 der deutschen Charts. Ein Handyvideo, von ihr selbst spät nachts bei Tiktok hochgeladen, hatte das Stück in den sozialen Netzwerken vor die Augen von Millionen Menschen gespielt. Mit einer Akustik-Version des Songs "Highway" hat es Luna, wie sie sich als Künstlerin nennt, aktuell wieder in die Youtube-Trends geschafft. In Trainingsjacke und Basecap sitzt die Teenagerin im Musikvideo an einem Flügel und singt von schnellen Autos mit getönten Scheiben.

"Schon im Kindergarten war ich kein typisches Mädchen. Ich habe keine rosa Kleidchen getragen und anstatt Barbies, Autos bevorzugt", erzählt sie stolz. Am liebsten hätte sie aber damals schon, erinnert sie sich, auf dem Keyboard des Großvaters "rumgeklimpert". Zum Beweis zeigt sie ein Foto aus dem Familienarchiv, auf dem sie mit breitem Zahnspangenlächeln in der großelterlichen Garage zur Tat schreitet. Alina Striedl weiß früh, dass sie nicht Prinzessin, sondern Sängerin wer-den will. Als Zehnjährige nimmt sie Klavierunterricht. Mit Tutorials bringt sie sich neben der Schule bei, wie man Berge an Boxen, Monitoren und Mischpulten zu einem Studio verkabelt.

Jeden 24. Dezember bekommt sie neue Arbeit. "Zu Weihnachten habe ich mir jedes Jahr Equipment gewünscht - und so kam mit der Zeit immer mehr dazu." Trotz harter Arbeit, bleibt Lunas großer Durchbruch lange aus. Mit ihrem Song "Verlierer" ändert sich das im Dezember 2020 über Nacht. Das wacklige Handyvideo eines Mädchens am Klavier, das sie ohne jede Werbekampagne beim chinesischen Videoportal Tiktok hochlädt, geht um die Welt. Typisch für die Plattform singen Tausende ihre Zeilen in eigenen Videos anschließend nach. Den Hashtag #lunaverlierer nutzten Millionen User.

Luna Screenshot

Ein Handyvideo mit einem Mädchen am Klavier bringt Luna bei TikTok den Erfolg. Tausende singen ihre Zeilen nach.

(Foto: Screenshot/www.tiktok.com/@lunamusicc)

Luna spricht vielen an der Liebe Leidenden aus der Seele. Ihr düsteres Stück erzählt von einer toxischen Beziehung, die sie überwinden will. Das Helle, Flehende in ihrer Stimme trifft das Gefühl, jemanden gehen lassen zu müssen, den man nicht gehen lassen will, in diesen fünfzig Sekunden perfekt. Der Twist: Das Lied handelt nicht von der Trennung von einem Mann, sondern von einer Frau.

Alina Striedl ist lesbisch und setzt sich mit "Verlierer" für die LGBTQ-Community ein. "Das erste Mal habe ich mich bei meiner besten Freundin geoutet - das fiel mir sehr schwer", verrät sie und macht eine Pause. "Aber als es raus war, fiel mir ein Stein vom Herzen." Vor knapp drei Jahren habe sie gemerkt, dass sie nicht auf Jungs stehen würde. Während ihre Freundinnen sich damals in Typen verliebten, ergänzt sie, hätte sie sich in ein Mädchen verliebt. In einer kleinen Gemeinde sei das nicht unkompliziert gewesen: "Auf dem Land aufzuwachsen ist anderes als in einer Großstadt - jeder kennt jeden. Meine Sexualität ist für einige hier ein unbekanntes Themengebiet."

Da könnte sie es in Berlin leichter haben. Nach ihrem Abitur, für das sie in diesen Wochen coronabedingt von Zuhause paukt, will sie aus der niederbayerischen Provinz in die Hauptstadt ziehen. Ihr Team und ihr Label seien vor Ort, so die junge Sängerin, außerdem wäre es in Berlin auch musikalisch leichter den nächsten Schritt zu machen. Auch wenn manche aus ihrem Umfeld, ihr etwas "Sicheres", eine "vernünftige Ausbildung" empfehlen würden, sei ihr Entschluss längst gefasst. Mit den rosa Kleidchen hat es sich dann wohl endgültig erledigt: "Immer wenn ich in Berlin bin, habe ich ein wahnsinniges Freiheitsgefühl, was ich sonst nirgends habe. Man kann so sein wie man ist und auch mal mit Jogginghose durch die Stadt laufen. Mit Jogginghose!"

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