Pioniere der Luftbildarchäologie:Bayerns Vergangenheit aus der Vogelperspektive

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Luftbild von einer Feldkapelle im jungen Maisfeld bei Thaldorf. (Foto: Klaus Leidorf)

Um das Jahr 1980 fingen Pioniere wie Otto Braasch und Klaus Leidorf an, von der Luft aus nach vor- und frühgeschichtlichen Überresten im Boden zu suchen. Die Filme von Gertrud Diepolder machten die Luftbildarchäologie populär. Trotz überragender Erfolge ist dieser Forschungszweig nun aber bedroht.

Von Hans Kratzer

Aus der Luft betrachtet wirken manche Landschaften in Bayern noch kurioser, als sie es eh schon sind.  Zu den Lieblingsmotiven des Luftbildarchäologen Klaus Leidorf zählt zum Beispiel die kleine Feldkapelle von Thaldorf bei Kelheim, die er mit seiner Cessna 172 regelmäßig überfliegt, weil sie wie verloren mitten in einem großen Acker steht. Aus dem Feld hebt sich das rote Dach der Kapelle ab, daneben erstreckt sich bisweilen ein gelber Streifen mit Raps, und stets präsent sind die Traktorspuren, die sich kunstvoll um die Kapelle legen. Und wenn der Mais wächst, dann verschwindet die Kapelle unter einem dichten Blätterwald. Solche Motive, auch Bauernmalereien genannt, sind quasi ein Abfallprodukt der Luftbildarchäologie, wie Leidorf sie seit Jahrzehnten betreibt.

Mithilfe dieser Disziplin wurden in den vergangenen Jahrzehnten spektakuläre Erkenntnisse über die Vergangenheit Bayerns gewonnen. Leidorf hat bis jetzt gut 30 000 archäologische Fundstellen entdeckt, seien es frühgeschichtliche Grabhügel, Friedhöfe, Siedlungen oder Römerstraßen. Vor dem Beginn der Luftbildarchäologie um das Jahr 1980 gab es in Bayern lediglich 5000 solcher Fundorte. Trotz dieser grandiosen Erfolgsgeschichte könnten die Tage dieser segensreichen Forschungsarbeit schon bald gezählt sein. Die Bereitschaft des Staats, diese zu finanzieren, lässt spürbar nach. „Es ist wie ein langsames Ausschleichen“, sagt der 68-jährige Leidorf, der fast sein ganzes Berufsleben der Luftbildarchäologie gewidmet hat.

Unzählige Male hat Klaus Leidorf Bayern überflogen und aus der Luft fotografiert. (Foto: privat)
Die Historikerin Gertrud Diepolder hat die Luftbildarchäologie populär gemacht. (Foto: oh)

Dass die Anfangserfolge einem breiten Publikum bekannt wurden, ist einer Frau zu verdanken, die in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag feiern könnte. „… damit Jahrtausende nicht spurlos vergehen“, so lautete der Titel einer wegweisenden Fernsehserie der Historikerin Gertrud Diepolder (1925–2016), die in den frühen 80er-Jahren ein immenses Interesse weckte. Es war etwas unerhört Neues, das frühe Bayern und die Spuren, die es in der Erde hinterlassen hat, in einer bis dahin unerreichten Anschaulichkeit im Fernsehen zu präsentieren. Es ist ein Rätsel, warum der Bayerische Rundfunk diese ruhmreiche Serie im Archiv vergräbt, statt sie noch einmal auszustrahlen.

Gertrud Diepolder hat in der Geschichtswissenschaft, in der Archäologie sowie im Genre Dokumentarfilm Pionierleistungen vollbracht. Von 1950 bis 1963 war sie als erste Historikerin überhaupt in der Kommission für Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften tätig. Aus der Fülle ihrer Publikationen ragt der „Bayerische Geschichtsatlas“ von 1969 heraus, immer noch ein Standardwerk. Von 1964 bis 1987 präsentierte sie als Redakteurin beim Bayerischen Fernsehen die Geschichte Bayerns mit großer Virtuosität.

Unter anderem erkannte sie sehr früh die Bedeutung der Luftbildarchäologie. Ihre Filme schärften ähnlich wie jene des Dokumentarfilmers Dieter Wieland das Bewusstsein, dass die Welt sich immer schneller dreht, dass viel Vertrautes verschwindet und dass es höchste Zeit ist, das jäh Vergehende mit der Kamera zu dokumentieren, bevor es zu spät ist.

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Der studierte Vor- und Frühgeschichtler Klaus Leidorf begann 1989, im Auftrag des Landesamts für Denkmalpflege von der Luft aus nach Indizien für vor- und frühgeschichtliche Bodendenkmäler zu suchen. Zu diesem Zweck fliegt er bis heute regelmäßig über die bayerischen Gebirge, Täler und Fluren, um dort nach Spuren Ausschau zu halten, die der Mensch in der Vergangenheit im Boden hinterlassen hat. Das können zum Beispiel Kreise sein, die auf Grabhügel hindeuten oder rechtwinklige Flächen, die Gräberfelder markieren oder auch einen alten Gutshof.

Ausgebildet wurde Leidorf von Otto Braasch (1936–2021), einem Starfighter-Piloten bei der Bundeswehr, der nebenbei schon seit 1974 mit dem Archäologen Rainer Christlein (1940–1983) zusammenarbeitete. Braasch revolutionierte die archäologische Methodik und erkundete als Erster mit Propeller-Maschinen aus der Luft Reste des Limes, Grabhügel und keltische Viereckschanzen. In der Landshuter Außenstelle des Landesamts für Denkmalpflege, das Christlein damals leitete, entstand damals eines der größten  archäologischen Luftbild-Archive der Welt.

Luftbild von Bewuchsmerkmalen eines hallstattzeitlichen Herrenhofes bei Regensburg. (Foto: Klaus Leidorf)

Im Ruhestand widmete sich Braasch dann ganz der Archäologie und entdeckte Tausende Fundstätten, etwa das Ringheiligtum von Künzing-Unternberg (Kreis Deggendorf), eine 6800 Jahre alte Kultstätte. Aber schon Braasch litt unter der von ihm wahrgenommenen Geringschätzung der Archäologie in Bayern und flog dann lieber in Italien, Tschechien und Polen. Die Freie Universität Berlin verlieh ihm 1999 die Ehrendoktorwürde.

Auch Klaus Leidorf hat eigentlich das Ruhestandsalter erreicht. Ans Aufhören denkt er trotzdem nicht, auch wenn die Umstände immer schwieriger werden und weit und breit kein Nachfolger in Sicht ist, der bereit ist, wie Leidorf viel Zeit zu investieren sowie ein Flugzeug zu kaufen und die damit einhergehenden Folgekosten zu tragen. Überdies muss man als Luftbildarchäologe kunstvoll eine Maschine steuern, dabei die Landschaft mit dem Auge scannen und zugleich fotografieren können, was Leidorf mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung virtuos beherrscht.

Nebenbei bemerkt, dokumentiert er mit seinen Luftaufnahmen auch die sich durch den Flächenverbrauch dramatisch verändernde Landschaft. Außerdem gelingen ihm bei seinen Erkundungsflügen faszinierende künstlerische Aufnahmen. Vor allem die abstrakten Strukturen zeigen eine Welt, die einem sonst verschlossen bleibt.

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Als Leidorf vor 36 Jahren als Luftbildarchäologe anfing, wurden ihm amtlicherseits noch 500 Flugstunden im Jahr zugestanden. Mit der Sparpolitik in der Ära Stoiber aber begann dieses Kontingent wegzuschmelzen. Mittlerweile sind es noch 80 Stunden, die ihm bezahlt werden. Manche suchen deshalb mithilfe von Google Earth und mit Drohnen nach archäologischen Relikten. „Aber diese können das Fliegen niemals ersetzen“, sagt Leidorf, der bestens weiß, dass das Land nur vom Flieger aus in verschiedenen Perspektiven und in einem größeren Zusammenhang betrachtet werden kann. „Die Bilder aus dem Flieger sind viel aussagekräftiger als alles andere.“

Es kommt freilich noch ein Problem dazu. Für die Millionen Fotos, die mittlerweile vorliegen, fehlt eine amtliche Datenbank, die einen schnellen Zugriff ermöglichen würde. Gerade mit Hilfe der Künstlichen Intelligenz könnte hier viel erreicht werden, sagt Leidorf der zumindest auf seiner Homepage eine Reihe von Bildern zugänglich macht. In den Ämtern aber fehlen dafür die Mittel und die Leute. Dabei gäbe es noch so viel zu entdecken und zu erfahren über ein Land, das die Forderung von Gertrud Diepolder, Jahrtausende dürften nicht spurlos vergehen, zurzeit nicht mit dem allergrößten Eifer erfüllen mag.

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