Süddeutsche Zeitung

Löwe als Wappentier:Bayerns Urviech

Als typisch bayerische Tiere gelten Milchkuh, Dackel, Bräuross. Trotzdem führt der Freistaat seit 800 Jahren ein Raubtier im Wappen. Der bayerische Löwe ist ein Zugereister, dennoch wäre ohne ihn sogar die Staatsregierung handlungsunfähig.

Von Hans Kratzer

Als typisch bayerische Tiere gelten die Milchkuh und der Dackel, dazu das Bräuross. Und doch ist das bekannteste Sinnbild für den Freistaat ein Raubtier, das sich nicht am Fuße der Alpen, sondern in der afrikanischen und indischen Wildnis herumtreibt. Der Löwe ist in Bayern trotzdem omnipräsent, sei es auf Werbeartikeln, auf Ordensauszeichnungen oder auf Denkmälern. Ohne Löwen wäre sogar die Staatsregierung handlungsunfähig, zumindest bei festlichen Anlässen.

Als Ministerpräsident Horst Seehofer vor wenigen Tagen dem Chef des Erdinger Weißbräus, Werner Brombach, zum 75. Geburtstag gratulierte, überreichte er ihm einen bayerischen Löwen. Die Porzellanfigur ist das Repräsentativgeschenk der Staatsregierung schlechthin. Überdies ist der Löwe ein dominierender Bestandteil des Bayerischen Staatswappens.

Viele kluge Köpfe haben sich Gedanken über die herausragende Stellung des Löwen im bayerischen Staatswesen gemacht. Zu den lehrreichsten zählen nach wie vor die Überlegungen des Münchner Denkers Karl Valentin, dem partout nicht einleuchten wollte, dass ein Löwe das Sinnbild Bayerns abgeben soll. Dieses Problem hat ihn so beschäftigt, dass er mit seiner Partnerin Liesl Karlstadt in einen Disput geraten ist.

Das Bräuross als besseres Wappentier

Frau Karlstadt versicherte Valentin in diesem Zwiegespräch, der Löwe symbolisiere eben die Kraft des bayerischen Volkes. "Ja schon", pflichtete Valentin bei, "aber warum hat man da ausgerechnet an ausländischen wilden Löwen aus Afrika dazua gnommen? A Bräuross hat doch mehr Kraft als wia a Löw." Valentins Überlegungen münden letztlich in die Frage: "Spannens amal zwei Löwen vor einen Bierwagen an, ob die den Wagen über einen Berg ziehen können?"

Karlstadt blieb nur der Hinweis, dass es einst im 13. Jahrhundert, als der Löwe in Bayern populär wurde, halt noch keine Bräurösser gegeben habe, "sonst hätten die damals sicherlich ein Bräuross hergenommen als Sinnbild von Bayern."

Ob das wirklich so eingetreten wäre, bleibt fraglich. Als der Löwe in Bayern populär wurde, herrschte tiefstes Mittelalter, das bayerische Bier war noch gar nicht erfunden. Der Löwe aber galt schon damals als der Inbegriff von Macht und Stärke. Nicht umsonst war er das zentrale Tier in den Wappen vieler Adelsfamilien und Länder.

Der bayerische Löwe ist praktisch ein Zugereister

Auch zoologische Unwissenheit mag dabei eine Rolle gespielt haben, wie die Münchner Historikerin Cornelia Oelwein vermutet. "Die damaligen Menschen wussten eben noch nicht, dass der männliche Löwe eigentlich ein fauler und ziemlich feiger Pascha ist." Nur die weiblichen Löwen schaffen das Futter heran, während der Herr Löwe lediglich brüllt.

Als Wappentier ist der bayerische Löwe praktisch ein Zugereister. Der goldene Löwe im schwarzen Feld war ursprünglich das Symbol der Pfalzgrafen bei Rhein. Nach der Belehnung des bayerischen Herzogs Ludwig mit der Pfalzgrafschaft (1214) sprang der Löwe gleichsam in das Wappen der Wittelsbacher, und später von dort aus in das Wappen des Freistaats.

Gleichwohl sind Mitglieder der Staatsregierung noch nie mit lebenden Löwen im Landtag aufgekreuzt, um auf diese Weise ihre Macht zu demonstrieren. Die bayerischen Herzöge und Kurfürsten des 16. und 17. Jahrhunderts waren diesbezüglich anders gestrickt. Sie brachten ihre herrschaftliche Repräsentation mit sogenannten Menagerien zum Ausdruck.

Im Tiergehege des Herzogs Wilhelm V. fanden sich neben Affen und Krokodilen auch Löwen, die im Alten Hof gehalten wurden, wie wir einem Bericht des Augsburger Patriziers Philipp Hainhofer von 1614 entnehmen können: "Gleich vor dem Hof draussen hat es ein hauss, darinn ein schöner grosser Löw und Löwin, die speiset man täglich mit 22 pfund rindflaisch . . ."

Lebende Löwen und deren Gebrüll wurden den Mächtigen irgendwann aber zu anstrengend. Fortan setzten sie zur Repräsentation auf steinerne Löwen. Seit 400 Jahren werden die beiden Haupteingänge der Münchner Residenz von je zwei Löwen bewacht. Auch der "Bavaria" über der Theresienwiese ist der Bayerische Löwe zur Seite gestellt. Weitum bekannt ist überdies die Löwenstatue, welche die Lindauer Hafeneinfahrt begrenzt. Eines der imposantesten Löwendenkmäler in Bayern steht seit 1905 im oberbayerischen Waakirchen, das an die Opfer der Sendlinger Mordweihnacht von 1705 erinnert.

2015 wird zum Jahr des bayerischen Löwen

Überhaupt sendet der bayerische Löwe starke politische Signale aus. Streitigkeiten seinetwegen werden oft bis in die feinsten Ziselierungen hinein ausgetragen. In den 90er Jahren erreichte die Staatskanzlei eine Anfrage, warum auf dem bayerischen Staatswappen der linke Löwe seinen linken Fuß vorgestellt habe, "obwohl wir doch in einem Rechtsstaat leben." Die Staatskanzlei erklärte dem Ratsuchenden, dass es ihm sicher nicht recht wäre, wenn ihm einer der bayerischen Löwen nur wegen einer rechten Fußstellung die Kehrseite zudrehen würde.

Lediglich der Fußballsport wirft einen dunklen Schatten auf die Herrlichkeit des bayerischen Löwen. Jener Verein, der sich den Beinamen "die Löwen" zugelegt hat, geriert sich eher wie ein verwirrtes, willenloses Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. Als der Löwe anno 1911 in das Vereinswappen aufgenommen wurde, besaßen die Sechzger noch Mut und Ausdauer.

Sogar einen Rechtsstreit mit der Münchner Löwenbrauerei überstanden sie. Die führte einen ähnlichen Löwen im Wappen, wie Cornelia Oelwein recherchiert hat. 1914 einigte man sich, das Problem am Schwanz zu packen: Der goldene Bier-Löwe trägt seither die beiden Schwanzquasten hocherhoben, während der schwarze Sechzger-Löwe diese nach links hinten abfallen lässt - ein durchaus visionäres Symbolbild für die Fußball-Löwen, die schon lange nicht mehr brüllen.

Auch das Finanz- und Heimatministerium sowie die Schlösserverwaltung identifizieren sich innig mit dem bayerischen Löwen, der ja praktisch in jeder ihrer Liegenschaften omnipräsent ist. Die Behörden haben deshalb das Jahr 2015 zum Jahr des bayerischen Löwen erklärt. Eine große Wanderausstellung soll das Thema "Löwen in bayerischen Schlössern, Burgen und Residenzen" in seiner ganzen Pracht und Vielfalt präsentieren, das Konzept soll im Februar vorliegen.

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Quelle:
SZ vom 03.01.2015/mmo
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