Süddeutsche Zeitung

Lobbyismus:Wie Ex-Umweltminister Huber der Ofen-Industrie gehorchte

  • Ein Kachelofen ist längst mehr als ein romantisches Feuer in der guten Stube.
  • Moderne Anlagen können das ganze Haus beheizen - und setzen dabei gefährlich viel Feinstaub frei.
  • Trotzdem hat Ex-Umweltminister Marcel Huber offenbar strengere Kontrollen verhindert - auf Druck der Ofen-Lobby aus Niederbayern.

Von Lisa Schnell

Als unbedarfter Politik-Laie könnte man meinen, so ein Umweltminister kümmere sich, na ja, um die Umwelt. Man könnte gar davon ausgehen, seine Aufgabe sei es auch den Menschen zu schützen, etwa vor schlechter Luft. Schließlich steht es so auf der Internetseite des Umweltministeriums.

Unterlagen aus genau jenem Ministerium legen aber einen ganz anderen Schluss nahe. Sie stammen aus dem Jahr 2012, als es von Marcel Huber, dem jetzigen Staatskanzleichef, geleitet wurde. Glaubwürdig, solide - das sind die Etiketten, die Huber am Revers stecken.

Die neu aufgetauchten Unterlagen lassen ihn aber als einen erscheinen, der sich mehr von Lobby und Partei als von dem Sachverstand des eigenen Ministeriums leiten lässt. Zumindest hat er es wohl zugelassen, dass im Interesse der Industrie unkontrolliert Feinstaub in die Luft gepustet wird.

Im Interesse der Industrie

Die Umwelt verliert öfter mal gegen die Interessen der Wirtschaft. Das ist nichts Neues. Dass aber ausgerechnet der Umweltminister für die Wirtschaft eintritt, ist durchaus bemerkenswert. Marcel Huber, von Parteifreunden "Massl" genannt, ist ein Mann, der sonst immer alles für alle richtet. Ein erprobter Krisenmanager. Hat er es diesmal vermasselt?

Seine Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel - wegen nichts weniger als Kachelöfen. Im Behördendeutsch heißen die "Einzelraumfeuerungsanlagen". Ein sperriges Wort für die flackernde Gemütlichkeit in der Bauernstube, aber auch ein praktisches, zumindest aus Sicht der Ofenhersteller.

Denn in diesem Wortungetüm steckt der Grund, weshalb Kachelöfen nicht den verschärften Messwerten für Feinstaub unterliegen, wie sie 2010 erlassen wurden. Anders als Heizkessel müssen sie nicht alle zwei Jahre kontrolliert werden. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass Kachelöfen die Luft nicht nennenswert verschmutzen, weil sie nur sporadisch angefeuert werden und überwiegend nur den Raum beheizen, in dem sie aufgestellt sind - den "Einzelraum" eben.

Die Ausnahmeregelung scheint für die Ofenindustrie aber zum Schlupfloch geworden zu sein, um die verschärften Emissionsbegrenzungen zu umgehen. Ein Schlupfloch, das die Sacharbeiter des Umweltministeriums bemerkten und stopfen wollten, ihr Minister aber offenbar nicht.

So heißt es in einem Vermerk des Ministeriums, die "Grenze zwischen Einzelraumfeuerung und Zentralheizung" sei in der Bundesverordnung "nicht ausreichend deutlich formuliert". Es sind Öfen auf dem Markt, die zwar als Einzelraumfeuerungsanlage beworben werden, mit einem Feuerchen im schnuckligen Kachelofen aber nur wenig zu tun haben.

Der Kessel als Zentralheizung

Etwa der "Stubenkessel" der Firma Brunner aus Niederbayern. Schon der Name weist darauf hin, dass es sich eher um einen Heizkessel in der guten Stube als um einen Kachelofen handelt. Er liefere "Wärme fürs ganze Haus", heißt es im Werbevideo. Solche "Quasi-Zentralheizungen" können also weit mehr als einen Raum beheizen und laut Ministerium auch dauerhaft betrieben werden.

Für sie dürfe die Ausnahmeregelung, gedacht für gewöhnliche Kachelöfen, nicht gelten, meinten Mitarbeiter des Ministeriums. "Ob ein solcher Kessel, hübsch verkleidet, in einem Wohnraum steht oder in schlichterer Optik im Keller, ist von der Umweltrelevanz her gesehen ohne Bedeutung", heißt es in einem Vermerk.

Es sei deshalb "notwendig", sie "als Zentralheizung einzustufen" und alle zwei Jahre zu kontrollieren. Passiere das nicht, komme es zu "ernst zu nehmenden Luftverunreinigungen" und einer unzulässigen Belastung "durch gesundheitsschädlichen Feinstaub und krebserzeugende PAK". Die Abkürzung steht für polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe.

Höheres Risiko für Schlaganfälle und Herzinfarkte

Wie gefährlich Feinstaub sein kann, zeigt eine aktuelle Studie des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz: Durch Ozon oder Feinstaub belastete Luft sei der Grund für 35 000 Todesfälle in Deutschland. Die Feinstaubpartikel kommen über die Lunge ins Blut und erhöhen das Risiko von Schlaganfällen und Herzinfarkten.

Laut dem Umweltbundesamt stoßen gerade Holzheizungen wie Kachelöfen "besonders gesundheitsgefährdende Stoffe" aus. Den strengeren Grenzwerten für Zentralheizungen, die mit Holz betrieben werden, käme deshalb besondere Bedeutung zu. Auch "Quasi-Zentralheizungen" wie der Stubenkessel sollten in Bayern kontrolliert werden - doch es kam anders.

Im Januar 2012 ging zwar ein Schreiben mit dem entsprechenden Hinweis an die Bezirksregierungen raus. Nicht mal ein Jahr später folgte aber ein zweiter Brief. Der Hinweis sei "ausgesetzt", heißt es darin. Wieso änderte sich die Politik des Umweltministeriums um 180 Grad? Was ist passiert in diesem Jahr? Huber selbst will sich dazu derzeit nicht äußern.

Die Staatskanzlei, deren Chef er seit gut einem Jahr ist, verweist an das Umweltministerium. Dort erklärt ein Sprecher, die Kehrtwende basierte "auf fachlichen Argumenten" und bilde "die positiven Weiterentwicklungen auf technischer Seite ab". Ein Blick in Papiere des Ministeriums von 2012 vermittelt allerdings einen anderen Eindruck.

Der scharfe Kurs der Fachabteilung sei in Gesprächen mit Experten und Interessenverbänden "voll umfänglich bestätigt" worden, heißt es dort. Auch andere Bundesländer wie Baden-Württemberg, Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen würden es ebenso sehen, schreibt ein Mitarbeiter.

Auch heute, drei Jahre später, bestätigt ein Verwaltungsgericht in Lüneburg diese Auslegung und in wichtigen Teilen auch das Bundesamt für Umwelt. Ob es wirklich nur sachliche Argumente waren, die zum Umdenken im Ministerium führten? In der Ofenbranche herrsche "ein massives geschäftliches Interesse am Verkauf der teuren wasserführenden Feststoffheizungen" wie dem Stubenkessel, stellten die Mitarbeiter des Ministeriums damals fest.

Bei den geplanten zweijährigen Kontrollen wären die "Quasi-Zentralheizungen" aber durchgefallen. "Die Ofenbranche wollte es mit Gewalt nicht wahrhaben", sagt Herbert Wazula, Kaminkehrermeister und damals bei den Gesprächen im Ministerium dabei. Die Fachabteilung habe "alles gegeben", am Schluss habe dann aber "die Politik noch ein Wörtchen mitgeredet".

Etwa die CSU-Landtagsabgeordneten Erwin Huber und Reserl Sem. Ihre Stimmkreise haben sie in Niederbayern, zufällig auch Firmensitz von Brunner, Hersteller der vom Ministerium zunächst so kritisierten Stubenkessel und führender Ofenproduzent in Bayern.

Druck aus Niederbayern

Anfang September 2012 schrieben die beiden Abgeordneten einen Brief an den Umweltminister. Es wäre nicht vertretbar, auf die Bundesverordnung noch "zusätzliche Reglementierungen draufzusatteln" - im Interesse "des Mittelstandes".

Sie sind nicht die einzigen, die dem Ministerium die Interessen der Wirtschaft nahe legten. So tat es auch ihr Kollege Hans Herold, der Briefe eines Ofenherstellers ans Ministerium weiterleitete.

"Im Groben geht es darum, dass unserer Branche für die Zukunft ein Großteil unserer Umsätze sprich Einkommen wegbrechen wird", schreibt der Ofenproduzent im Juni 2002. Anfang Oktober legt er nach: "Müssen wir unsere Hoffnungen begraben?" Ende Oktober gibt er, im Hinblick auf die Landtagswahl im folgenden Jahr, zu bedenken: Die CSU müsse im Wahlkampf erklären, warum sie "ein Stück Kulturgut (Kachelofen) ausgerechnet in Bayern abschaffen will".

Heute heißt es aus den Verbänden der Ofenhersteller, die anfängliche Kritik aus dem Ministerium sei "Humbug"gewesen. Auch wenn Öfen wie der Stubenkessel es theoretisch könnten, würden sie nicht als "Quasi-Zentralheizung" benutzt. Ein Schaden für die Umwelt bestehe nicht.

Es habe viel "Druck und Geduld" gebraucht, bis sich das "Ministerium entsprechend bewegt" habe. Huber entscheidet sich für die Bedenken von Parteifreunden und Wirtschaft. So wie es seine Fachabteilung wollte, "können wir's nicht machen", soll er zu Reserl Sem gesagt haben.

Ende Dezember 2012 informiert er sie und Erwin Huber, dass die ungeliebte Verordnung "ausgesetzt" sei. Den Briefentwurf seiner Fachabteilung, in dem vor "ernst zu nehmenden Luftverunreinigungen" gewarnt wird, ignoriert er.

Man könne zwar der Ansicht sein, es sei eine Sauerei, wenn Verordnungen aufgrund von Lobbyinteressen geändert würden, rechtlich sei daran allerdings nichts auszusetzen, sagt ein Experte.

So etwas sei zwar bedauerlich, aber gang und gäbe in der Politik. Und so hat der Politik-Laie wieder etwas gelernt: Marcel Huber ist wohl auch nichts weiter als ein ganz gewöhnlicher Politiker.

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SZ vom 02.11.2015/doen
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