Jugendliteratur:Liz Truss und "Die Wolke"

Jugendliteratur: Der Rauch aus den Kühltürmen des Kernkraftwerks Grafenrheinfeld umwölkt scheinbar die Kirche von Röthlein in Unterfranken. Derartige Bilder lösen bei so manchem Erinnerungen der unguten Art aus.

Der Rauch aus den Kühltürmen des Kernkraftwerks Grafenrheinfeld umwölkt scheinbar die Kirche von Röthlein in Unterfranken. Derartige Bilder lösen bei so manchem Erinnerungen der unguten Art aus.

(Foto: Imago)

Wer als Heranwachsender am Main Gudrun Pausewangs Roman über ein Reaktorunglück ganz in der Nähe lesen musste, war nicht nur beglückt. Nun stellt sich heraus, dass auch die britische Premierministerin bei einem Besuch in Franken von schweren Gedanken befallen wurde.

Glosse von Olaf Przybilla

Geschenke sind etwas Wunderbares und an der Stelle also noch einmal einen herzlichen Dank an jene junge Dame, die einem Heranwachsenden in Mainfranken seinerzeit den ersten Roman geschenkt hat - weil bekannt geworden war, dass der Bub immer nur Zeitung liest und Fiktionales irgendwie doof findet.

In den Achtzigerjahren muss das gewesen sein und der gute Wille bei der Schenkenden war da, gar keine Frage. Nicht verheimlicht werden soll allerdings, dass es für den Geschmack des Beschenkten sogar noch eine Spur fiktionaler hätte sein dürfen.

Der Roman hieß "Die Wolke", das klang schon mal gut, so luftig-leicht. War dann aber kein reines Vergnügen. Schüler werden vom Katastrophenalarm überrascht, den ein schwerer Unfall in einem Atomreaktor auslöst. Panik bricht aus, also im Buch. Andererseits war da eben dieser abendliche Blick aus dem eigenen Kippfenster, im Sommer, bei strahlender Sonne. Über der wunderschönen fränkischen Erde zeichnete sich da mitunter so ein Wölkchen ab.

Zur Idylle wurde dieses freundlicherweise beigesteuert von einem Stromproduzenten, beheimatet im spitzenmäßig restaurierten Mainörtchen Grafenrheinfeld. Was wiederum als Sitz jenes Kraftwerkes bekannt war, in dem sich im besagten Buch jener Zwischenfall zuträgt, der dann für Chaos, Mord und Totschlag im Land sorgt. Hübsch, so als Einschlaflektüre und Einschlafaussicht.

Jahrelang hat man später immer nur gehört, was für ein fabelhaftes Jugendbuch das doch sei, aufklärerisch, mutig, toll, toll, toll. Und ein klein wenig traumatisierend, hat man im Stillen immer hinzugefügt.

Wie schön ist es da, wenn das offenbar in der Tendenz auch anderen so ging. Der neuen britischen Premierministerin Liz Truss etwa. Die war Anfang der Neunzigerjahre als 17-Jährige zu Besuch bei ihrem deutschen Brieffreund Achim Winkelmann, der heute BR-Journalist im Studio Mainfranken ist. Und Winkelmann hat dieser Tage erzählt, wie man gemeinsam gefeiert hat beim Weinfest in Frankenwinheim, wie die junge Liz begeistert vom Erdbeerkuchen ihrer Volkacher Wirtsleute kostete und überhaupt äußerst angetan war von fränkischer Kultur an der Mainschleife.

Nicht ausschließlich allerdings. Er berichtet auch, "wie beeindruckt und auch ein wenig schockiert" seine Besucherin war, "als sie in wenigen Kilometern Entfernung die Kühltürme des Atomkraftwerks Grafenrheinfeld dampfen sah". Kurz zuvor hatte sie als Schullektüre im Fach Deutsch Gudrun Pausewangs "Die Wolke" gelesen.

Eine gemeinsame Lektüre also und ein gemeinsamer, nun ja, kleiner Schock. Mit dem Unterschied, dass die junge Liz dann bald wieder nach Hause durfte.

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