Literaturpreis:Der Nachlass

Der Literaturprofessor Eberhard Dünninger vermachte der Staatlichen Bibliothek Regensburg ungeöffnete Briefe. Daraus ist inzwischen eine "Stiftung zur Förderung der Essayistik" entstanden

Von Hans Kratzer

Dass Regensburg, wie jetzt bekannt wurde, einen eigenen Literaturpreis erhält, ist eigentlich überfällig. Nicht nur, weil sich die Stadt im Laufe ihrer 2000-jährigen Geschichte als ein bedeutender Schauplatz des literarischen Lebens ausgezeichnet hat. Überdies stammen, angefangen bei der Dollingersage aus dem 10. Jahrhundert, viele namhafte Autorinnen und Autoren von hier, andere haben in dieser Region ihr Domizil genommen. Ungeachtet dessen zeigt der neue "Regensburger Preis für Essayistik", welche Überraschungen doch das Leben immer wieder bietet. Letztlich geht die künftige Auszeichnung aus einer ganz kuriosen Geschichte hervor, die es verdient hat, kurz erzählt zu werden.

Literaturpreis: Wertvolle Bücher finden sich in der altehrwürdigen Staatlichen Bibliothek in Regensburg.

Wertvolle Bücher finden sich in der altehrwürdigen Staatlichen Bibliothek in Regensburg.

(Foto: OH)

Dreh- und Angelpunkt ist dabei der renommierte Bibliothekar und Literaturprofessor Eberhard Dünninger (1934-2015), der lange Jahre Generaldirektor der Staatlichen Bibliotheken in Bayern und Stadtrat in Regensburg war. In seinen letzten Lebensjahren suchte er als Ruheständler gerne die altehrwürdige Staatliche Bibliothek in der Regensburger Gesandtenstraße auf, wo er einen regen Gedankenaustausch mit dem dortigen Leiter Bernhard Lübbers pflegte. Gelegentlich erwähnte Lübbers im Gespräch, dass Regensburg aufgrund seiner Bedeutung doch dringend eine literarische Stiftung bräuchte. "Bei diesem Thema aber lächelte Dünninger immer nur", erinnert sich Lübbers, "er sagte dazu nie etwas."

Literaturpreis: Im Ruhestand ging Eberhard Dünninger, lange Jahre Generaldirektor der Staatlichen Bibliotheken in Bayern, gerne in die Regensburger Bibliothek.

Im Ruhestand ging Eberhard Dünninger, lange Jahre Generaldirektor der Staatlichen Bibliotheken in Bayern, gerne in die Regensburger Bibliothek.

(Foto: Privat)

Lübbers wunderte sich zwar über Dünningers Zurückhaltung bei diesem Thema, machte sich aber keine intensiveren Gedanken. Erst einige Zeit nach dem Tod Dünningers im Jahr 2015 wurde ihm klar, dass hinter dem Schweigen seines väterlichen Freunds mehr steckte, als er geahnt hatte. Dünningers Tochter hatte Lübbers damals im Auftrag ihres verstorbenen Vaters mitgeteilt, er solle doch dessen Nachlass abholen und ihn an geeignete Institutionen übergeben. Zudem hatte ihr der Vater aufgetragen, sie solle Lübbers besonders auf zwei Schachteln hinweisen, er wisse dann schon, was zu tun sei. "Danach gingen ein paar Monate ins Land", sagt Lübbers, in denen der Nachlass sortiert und geordnet worden sei. Vor dem Gedenksymposium für Dünninger im Oktober 2015 wurden die Papiere dann zur Auswertung an Experten und Institute versandt. "Übrig blieben nur jene Ordner, auf die Dünninger explizit hingewiesen hatte", sagt Lübbers.

Bernhard Lübbers

"Prüfe alles, behalte das Gute. Daran hielten wir uns."

Der Bibliotheksleiter fand in diesen Ordnern zu seinem Erstaunen eine große Zahl ungeöffneter Briefe vor. "Ich wollte sie nach Recht und Gesetz loswerden und wandte mich deshalb an das Wissenschaftsministerium", erinnert sich Lübbers, der zwar als engagierter Problemlöser bekannt ist, aber einigermaßen ratlos vor dieser Situation stand. Bis ihm das Ministerium die Erlaubnis erteilte, die Briefe zu öffnen.

Lübbers traute seinen Augen nicht. "Ich bekam beinahe Schnappatmung", erzählt er. Unter anderem stellte sich heraus, dass hier ein fünfstelliger Geldbetrag im Spiel war, ein auf einer Bank deponiertes Stiftungsvermögen, das in Vergessenheit geraten war. Dünninger hatte darüber geschwiegen, warum auch immer. Die juristische Prüfung des Sachverhalts ergab, dass nichts Unrechtes geschehen war. "Die Stiftung, der das Geld gehörte, war eine nicht rechtsfähige Stiftung", erklärt Lübbers, sie unterlag deshalb keiner finanzbehördlichen Aufsicht.

Literaturpreis: Leiter der Regensburger Bibliothek ist Bernhard Lübbers.

Leiter der Regensburger Bibliothek ist Bernhard Lübbers.

(Foto: OH)

Als "Stiftung zur Förderung des Schrifttums" war sie nach dem Krieg von dem Schriftsteller Friedrich Märker (1893-1985) gegründet worden. Nach seinem Tod wurde der Friedrich-Märker-Preis für Essayistik eingerichtet, der bis zum Jahr 2002 vergeben wurde, unter anderem an Carl Amery, Rüdiger Safranski und Hans Krieger. Nach dem Ende von Dünningers Präsidentschaft im Jahr 2002 war die Stiftung nicht mehr aktiv, der Preis schlief ein, und Dünninger öffnete nicht einmal mehr die Post.

Inwieweit die Person Märkers eine Rolle für Dünningers Passivität spielte, bleibt ungeklärt. "Märker hatte auch problematische Schriften verfasst", sagt Lübbers. 1934 erschien ein rassentheoretisches Werk, in dem er die Überlegenheit der nordischen Rasse nachzuweisen versuchte. Später distanzierte sich Märker aber vom Nationalsozialismus. Nach 1945 machte er sich um den Aufbau von Schriftsteller-Organisationen verdient, 1956 gründete er die Vorgängergesellschaft der VG Wort, von 1952 an war er Mitglied des deutschen Pen-Clubs.

Lübbers ließ ein 80-seitiges Gutachten über Märker erstellen und fasste dann den Plan, nach Absprache mit alten Stiftungsmitgliedern auf dem vorhandenen finanziellen Fundament eine neue Stiftung ins Leben zu rufen, die ihren Sitz in Regensburg haben sollte. Um etwaige Widersprüche zu lösen, richtete sich Lübbers, wie er selber sagt, nach dem biblischen Paulus: "Prüfe alles, behalte das Gute. Daran hielten wir uns."

Die neue "Stiftung zur Förderung der Essayistik", der Lübbers als ehrenamtlicher Präsident vorsteht, will künftig im Sinne Märkers Autoren von stilistisch herausragenden Essays auszeichnen, die "der Verwirklichung der Grundidee des Grundgesetzes dienen". "Damit wird die Literaturgattung der Essays als eigenständige literarische Form ebenso gewürdigt wie eine Haltung, die mit den Werten des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland übereinstimmt", sagt Lübbers.

Der mit 5000 Euro dotierte "Regensburger Preis für Essayistik" wird am 29. März erstmals verliehen (19 Uhr, Historischer Reichssaal, Details: www.regensburger-preis-fuer-essayistik.de). Ausgezeichnet wird der Schriftsteller Raoul Schrott, und zwar für sein essayistisches Werk, "in dem er die Werte des Grundgesetzes überzeugend vertritt", zuletzt in dem Essayband "Politiken & Ideen" (2018), wie Lübbers die Entscheidung begründet. Die Stadt Regensburg unterstützt die Preisverleihung mit weiteren 5000 Euro.

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