Literatur:"Kannste dir nicht besser ausdenken"

Literatur: Hummel, Zankl, Mader, Dosi - seine Roman-Kommissare hat Harald Kämmerer realen Vorbildern nachempfunden.

Hummel, Zankl, Mader, Dosi - seine Roman-Kommissare hat Harald Kämmerer realen Vorbildern nachempfunden.

(Foto: Christiane Lutz)

Krimiautor Harald Kämmerer lebt in München, holt sich seine Inspiration für Bücher wie "Heiligenblut" aber vor allem in Niederbayern. Denn die Realität ist häufig absurder als jede Fiktion.

Von Christiane Lutz

Die Aussicht vom Hohenbogen ist großartig: Im Tal liegt Rimbach, weiter nördlich ist die Wetterstation des Großen Arber zu sehen, und im Osten sieht man weit über den Bayerischen Wald in den Böhmerwald hinein. Trotz des Sommerwetters bläst der Wind recht frisch durch die Stahlträger des weißen Turms, wobei ein unheimliches Pfeifen entsteht.

Harald Kämmerer beugt sich über das Geländer, blickt hinunter auf verlassene Baracken und liegen gelassene Bauteile des "Sektor f", zwischen denen der ehemalige Nato-Turm steht. "Ich weiß nicht", sagt er, "ein bisschen mehr Betreuung hätte ich mir hier schon gewünscht".

Bei "Sektor f" handelt es sich um ehemalige "Aufklärungstürme", die die Bundeswehr während des Kalten Krieges an der Deutsch-Deutschen und der Deutsch-Tschechoslowakischen Grenze aufgestellt hatte, um die Streitkräfte des Ostblocks zu überwachen. Als Kämmerer vor fünf Jahren hier war, um für seinen Krimi zu recherchieren, kam er nur bis zum Maschendrahtzaun am Eingang des Geländes. Er hatte dran gerüttelt, nichts zu machen.

Also ließ er für "Heiligenblut" seine Kommissare Dosi und Hummel heimlich drübersteigen. Die beiden finden ein paar Hallen voller flauschiger Küken und im Inneren der Türme einen Umschlagplatz für illegalen Handel mit Heiligenfiguren.

Manchmal ist die Phantasie kreativer, häufig die Realität absurder

Seit 2012 ist "Sektor f" für Besucher zugänglich, und Kämmerer hatte gehofft, seine Nase wirklich mal in einen der Türme stecken zu dürfen. Aber nichts. Keine Erklärtafeln, keine freundlichen Erklärer. Nur die Treppe zur Aussichtsplattform öffnet sich gegen den Einwurf von ein paar Euro mit einem mechanischen Piepen. "Bei meinem ersten Besuch hatte mir ein Herr an der Bergbahnstation gesagt, hier solle mal ein Hotel entstehen, oder eine Begegnungsstätte", sagt Kämmerer leicht amüsiert. "Wird hier je ein Hotel stehen? Wohl eher nicht." In diesem Falle war Kämmerers Phantasie wohl kreativer als es die Ideen der Kommunalpolitik waren.

Häufig aber ist die Realität absurder als jede Fiktion, findet Harald Kämmerer, als er ein paar Stunden vor der Turmbesteigung im Auto Richtung Niederbayern sitzt. Kämmerer, 48, lebt seit vielen Jahren in Haidhausen und holt sich seine Inspiration vor allem dort. Der Haidhauser Metzger Ignaz Vogl zum Beispiel ist so ein Typ, wie er ihn gern in seinen Krimis verwurstet.

Oder der Olaf aus dem Johanniscafé, der mit seinem König-Ludwig-Bart hinterm Tresen thront. "Kannste dir nicht besser ausdenken", sagt Kämmerer. Auch für seine vier Roman-Kommissare Hummel, Zankl, Mader und Dosi hatte er reale Vorbilder: "Mit der echten Dosi, Tochter eines Pferdemetzgers, habe ich in Passau Tanzkurs gemacht."

In "Heiligenblut" stößt Dosi Roßmeier, eine niederbayerische Wuchtbrumme, zum Team um Karl-Maria Mader, Chef der Mordkommission I in München. Gemeinsam mit Klaus Hummel und Frank Zankl ermittelt sie im mysteriösen Mordfall um Bruder Wolfgang. Bald wir klar: Der Mönch führte, das darf man verraten, ein lukratives Doppelleben und war in illegalen Antiquitätenhandel verwickelt. So führen die Ermittlungen das Team durch Passau, auf die Fraueninsel im Chiemsee und hinein in die tiefste Oberpfalz eben, wo der Ort "Neukirchen beim Heiligen Blut" im Landkreis Cham tatsächlich existiert.

Gerechtigkeit und Moral interessieren ihn nicht - der Gute muss nicht gewinnen

Erste Station: die Wallfahrtskirche. Zahlreiche Pilgerkerzen und Rosenkränze schmücken den Kirchenraum. Man erzählt sich, dass der hussitische Anführer Krcma um 1450 über die bayerische Grenze kam und die Marienfigur in der Kirche entdeckte. Dreimal warf er sie in einen Brunnen - und dreimal kehrte die Statue auf ihren Platz zurück. Da zückte er sein Schwert und spaltete ihr das Haupt. Aus der Holzfigur floss frisches Blut. Heiligenblut. Klar, dass Kämmerer diese Marienfigur im Roman mal eben verschwinden lassen musste.

Draußen studiert er schon wieder ganz genau: den Devotionalienstand vor dem Kirchlein, der auf Marienverehrer wartet, die leer stehende Metzgerei im Dorf, die wohl so schnell keinen neuen Pächter findet und das "Haus Aussaat", eine "grenzüberschreitende Wallfahrts- und Begegnungsstätte", die auf Pilger hofft.

Kämmerer verortet die Handlung seiner Krimis stets liebevoll bis akribisch. "Das ist eher der Faulheit geschuldet. Was ich auf der Straße sehe, kann ich mir gut merken." Und auch hier wieder: Die Realität ist eben meist lustiger als alles, was er sich ausdenken könnte. Findet er. Dabei ist Kämmerer ein sehr komischer Autor. Mit kurzen Kapiteln, Parallelhandlungen und einem Personenregister, wie es in einem Stück von Tschechow nicht länger sein könnte, fordert er außerdem für einen Bayern-Krimi vom Leser große Aufmerksamkeit.

In der Schublade Unterhaltungsliteratur? Nur zu!

Mit dem Begriff "Bayern-Krimi" hat Kämmerer kein Problem. "Mein Anspruch ist es, Unterhaltung zu machen. Aber das mit Niveau." Es amüsiert ihn eher, wie viele Autoren der Münchner Szene wert darauf legen, nicht mit den Unterhaltungsliteraten in einen Schublade gesteckt zu werden. "Wenn ich was schreibe, dann möchte ich doch möglichst viele Menschen damit erreichen. Aber viele Autoren sind so verstiegen, die würden nie die dafür nötigen Kompromisse machen."

Zweite Station: Sesselbahn hinauf zum Hohenbogen. Man schwebt über juchzende Touristen hinweg, die die Sommerrodelbahn hinunterschießen. In "Heiligenblut" rutschen Dosi und Hummel in Ermangelung eines Bobs auf dem Hosenboden ins Tal hinab. Nachdem sie die Küken aus der Hühnerfarm bei den Nato-Türmen befreit haben. "Mir gefallen Bücher, in denen es drunter und drüber geht", sagt Kämmerer. "Was mich hingegen überhaupt nicht interessiert, sind Gerechtigkeit und Moral. Der Gute muss nicht unbedingt gewinnen."

Im Leben wie in der Literatur dürfen Enden auch mal offen bleiben

Wenn Kämmerer gerade keine Antiquitätenschmuggler durch Niederbayern jagt, arbeitet er beim Irisiana Verlag, einer Random-House-Tochter, in der vor allem Esoterikbücher, Kalender und Gesundheitsratgeber verlegt werden. Was ist der neue Trend im Ratgeberbereich? "Der Darm geht noch immer. Alles mit Ernährung auch. Das nächste große Ding sind aber Autoimmunkrankheiten." Harald Kämmerer hat auch schon Hörspiele für Kinder produziert und für Romanheftchen Geschichten wie "Rien ne va plus" oder "Der Junge mit der Zebra-Maske" geschrieben. Er sagt, er habe dabei das Handwerk gelernt und überdies eine Figur in seine Krimis hinüber retten können: Andrea Mangfall, die Hauptfigur im Krimi "Mangfall ermittelt".

Letzte Station: Sektor f. Harald Kämmerer kann es nicht lassen und rüttelt an verschlossenen Türen, und versucht, durch verhangene Fenster ins Innere der leeren Baracken zu linsen. "Manchmal ist es gut, wenn Enden offen bleiben", sagt er auf der Fahrt zurück nach München. Und manche Dinge eben unergründet.

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