Die Klimaaktivistin Lisa Poettinger will Klage gegen den Freistaat Bayern einreichen und sich so den Zugang zur praktischen Lehramtsausbildung erstreiten. Das bayerische Kultusministerium hatte Poettinger Mitte Februar nicht zum Referendariat zugelassen. Das verstößt aus Sicht ihrer Anwältin gegen das Grundrecht auf freie Berufswahl, denn der Staat hat beim Lehramt das Ausbildungsmonopol.
Ein Eilantrag der Anwältin Adelheid Rupp, ehemals SPD-Landtagsabgeordnete, dann Landesvorsitzende der Linken, war Mitte März vom Verwaltungsgericht abgewiesen worden. Ohne die praktische Lehramtsausbildung nach ihrem Studium und das anschließende zweite Staatsexamen kann Poettinger weder an staatlichen, noch an kommunalen oder privaten Schulen als voll ausgebildete Lehrerin arbeiten. Ihr bleiben niedriger dotierte Angestelltenverträge oder Aushilfsjobs.
Derzeit etwa arbeitet Poettinger in einem Kindergarten und als Schulbegleiterin an einer Privatschule. „Aber das ist nicht das, wofür ich qualifiziert bin“, sagte sie am Freitag bei einer Pressekonferenz der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Die Klimaaktivistin gab sich insgesamt kämpferisch, aber das Warten scheint sie zu ermüden. „Ich lebe in totaler Ungewissheit, wie mein Leben weitergeht, und das alles wirkt sich auch auf die Rente aus.“
Die Einschätzungen zum Fall Poettinger gehen auseinander: Ihre Unterstützer propagieren, dass die Staatsregierung ein Exempel statuiert, in dem sie eine engagierte Kämpferin für das Allgemeinwohl und den Klimaschutz bestrafen sowie politische Aktivisten einschüchtern will. GEW-Bayernchefin Martina Borgendale und die Bildungspolitikerin Nicole Gohlke (Linke) bemühten sogar den jüngst gestorbenen Papst Franziskus, der „niemals in Bayern Lehrer geworden wäre“. Auch Franziskus hatte Kapitalismus kritisiert, den Kampf gegen den Klimawandel beschworen und Worte wie „Profitmaximierung“ benutzt. Dieses Wort wurde Poettinger im Ablehnungsbescheid vorgehalten, weil es in der kommunistischen Ideologie verwendet werde.
Im Kultusministerium erklärte man, dass der Einsatz für den Klimaschutz gar nicht das Problem sei. Dieser gilt sogar als oberstes Bildungsziel der bayerischen Schulen. Es gehe viel mehr um die „mangelnde charakterliche Eignung“ Poettingers. Man belegte das mit der Mitgliedschaft in einer „linksextremistischen Gruppierung“ und mit laufenden Strafverfahren gegen die junge Frau. Zudem gibt es Schreiben des Verfassungsschutzes, die ihr eine Verfassungsfeindlichkeit attestieren.
Akteneinsicht habe die Anwältin bisher nicht bekommen
Was Poettinger genau vorgeworfen wird, wisse sie aber nicht, sagte Anwältin Rupp. Die erwünschte Akteneinsicht habe sie bisher nicht bekommen. Aber „die charakterliche Nichteignung ist damit definitiv nicht festgestellt“, sagte Rupp. Das Verfahren entspreche weder den höchstrichterlich vorgesehen Kriterien dafür, noch sieht sie inhaltliche Anhaltspunkte. „Was erlaubt sich das Ministerium, meinen Charakter zu beurteilen, soweit ich weiß, kennt mich dort niemand persönlich“, sagte Poettinger.
Am Freitag wollte sich das Kultusministerium wegen des laufenden Verfahrens nicht konkret zum Fall äußern.
Eines der beiden Strafverfahren gegen Poettinger ist mittlerweile entschieden. Sie muss 20 Tagessätze bezahlen, weil sie im Sommer 2023 in München ein AfD-Plakat abgerissen hat. „Das ist Sachbeschädigung, eine Straftat, aber rechtfertigt keine charakterliche Nichteignung fürs Referendariat“, sagte Anwältin Rupp, „zumal die ganze Stadt diese Plakate abgerissen“ habe. Vor Gericht habe es sogar ein gewisses Verständnis für den Groll gegen „derartige hetzerische Darstellungen“ gegeben.
Das AfD-Plakat hatte zu einer Demonstration gegen die Kinderbuch-Lesung einer Dragqueen in einer Münchner Stadtteilbibliothek aufgerufen. Die Art der Darstellung auf dem Plakat hatte im Juni 2023 in ganz Deutschland Kritik ausgelöst. Ein Pfarrer hatte sogar gegen die AfD Anzeige erstattet.

Drag-Lesung für Kinder in München:Die Eskalation
Wie eine Lesung mit Drag- und trans Personen in der Münchner Stadtbibliothek zur Katastrophe für alle Beteiligten wurde. Ein Lehrstück.
Das andere Strafverfahren läuft noch. Die Aktivistin hatte sich 2023 an den Protesten gegen den Kohleabbau im nordrhein-westfälischen Lützerath beteiligt. Vorgeworfen wird ihr Widerstand gegen und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte.
Für Poettinger gilt die Unschuldsvermutung. Allerdings gibt es Juristen, die sich mit der Materie auskennen und die „beamtenrechtliche Eignungsvermutung“ strenger sehen. Auch das Verwaltungsgericht war laut Anwältin Rupp der Argumentation des Ministeriums gefolgt, wonach von Lehrkräften regelkonformes Verhalten zu erwarten sei.
Entmutigen lassen Rupp und Poettinger aber sich weder von der Niederlage im Eilverfahren, noch von einem Drohschreiben. Dessen Inhalt überbiete an „Widerwärtigkeit alles, was ich bisher erhalten habe“, sagte Rupp. Sie habe Anzeige erstattet. Poettinger sieht sich darin bestätigt, „wie wichtig es ist, gegen Nazis vorzugehen“. Die beiden Frauen gaben sich am Freitag betont kampfeslustig: „Die Chancen sind hervorragend, wenn man die Entscheidungen der Bundesgerichte ansieht und wie andere Bundesländer mit solchen Fällen umgehen“, sagte Rupp. Sie werde den Fall bis zur höchsten Instanz durchfechten. Und Poettinger rief zu Demonstrationen am 1. Mai auf, „weil ich jetzt sehe, wie existenziell es ist, wenn einem der Beruf genommen wird“.