Lindenberg im Allgäu:Wie eine Firma die Huttradition hochhält
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Von der stolzen Hutindustrie ist nur noch der Hersteller Mayser geblieben - und das auch nur, weil er sein Geld auf anderem Weg verdient.
Von Maximilian Gerl, Lindenberg
Hinter einer unscheinbaren Tür verbirgt sich die "Schatzkammer", wie mancher Mitarbeiter sie nennt: eine Sammlung von Hüten, die so nicht im bestsortierten Modegeschäft zu finden ist. Rund 15 000 Kopfbedeckungen aus verschiedenen Jahrzehnten liegen in den Regalen, versehen mit Nummern, um sie schneller wiederzufinden. Da Hüte mit breiter Krempe, dort mit schmaler; Freizeitkappen neben feinen Melonen; Mützen aus feinem Tuch, aus Filz oder so extravagant, dass die Chancen auf Aufmerksamkeit gut stehen - etwa bei dem grasgrünen Hut mit aufgesetztem Fußballdekor, inklusive Tor und Spielfeld.
Der Raum der tausend Hüte ist das Archiv des Hutherstellers Mayser aus Lindenberg (Landkreis Lindau) - und Zeugnis, welche bisweilen seltsamen Richtungen bayerische Firmen einschlagen mussten, um Krisenzeiten zu überstehen. Denn von der stolzen Hut-Tradition in Lindenberg, einst tituliert als "Klein-Paris der Hüte", ist heute wenig übrig. Im Ort selbst ist nur Mayser als letzter Fabrikant verblieben. Und das auch nur, weil der inzwischen sein Geld hauptsächlich mit Verformungs- und Sicherheitstechnik verdient.
Der Chef sitzt in der Münchner Innenstadt
Zum Wandel in Lindenberg gehört, dass der Chef oft in 170 Autokilometer Entfernung sitzt, in der Münchner Innenstadt im Zechbauer-Haus. Im Keller hängen Hüte, im Erdgeschoss liegen Tabakwaren aus, drüber sind die Büros. Michael Zechbauer als Vertreter der siebten Familiengeneration macht außerdem in Immobilien und produziert Filme. Als Mit-Gesellschafter der Firma Mayser hält er sich aus deren Tagesgeschäft nach eigenen Angaben heraus, was nicht bedeutet, dass er nur im Hintergrund fungiert: Einer Hutlinie leiht er Name und Gesicht.
Rund 150 000 Kopfbedeckungen hat Mayser im vergangenen, von Corona geprägten Jahr verkauft. Die Preisspanne reicht laut Online-Shop von knapp 40 Euro für ein Stirnband in Blumenoptik bis zu 260 Euro für einen Panamahut. "Wir sitzen halt genau in der Mitte", sagt Zechbauer: zwischen den kleinen Ateliers mit teils hochqualitativen Einzelanfertigungen und den Unternehmen, "die, ich sage mal boshaft, in Bangladesch was zusammendengeln". So gesehen, befand sich die Firma 1963 schon rein zahlenmäßig in anderen Sphären, dreieinhalb Millionen Hüte stellte sie damals her. Dieses Rekordjahr darf im Nachhinein als letztes Aufbäumen der Lindenberger Hutindustrie gelten, bevor sie nach und nach dahinschwand, weil die Mode hutloser wurde und im Ausland niedrigere Lohnkosten lockten. Dabei hat vor allem die Kunst des Strohhut-Flechtens im Allgäu Tradition. Bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts lässt sich der Handel damit belegen. 1890 ballten sich dann in Lindenberg 34 Hersteller mit zusammen acht Millionen Strohhüten.
Einmal im Jahr feiert Lindenberg den Hut-Tag
Daran wird in der Stadt vor allem erinnert. Einmal im Jahr feiert sie den Hut-Tag mit Hut-Markt und Hut-Modenschau und die SPD verleiht den "Sozialistenhut". Das Deutsche Hutmuseum, eingerichtet in einer früheren Hutfabrik, zeigt die örtliche Hut-Geschichte. Und dann ist da, ein paar Schritte vom Museum entfernt, noch das Firmengelände von Mayser. 1800 in Ulm gegründet, galt die "Hutmacherey" zeitweise als eine der größten Aktiengesellschaften des Landes. 1929 folgte mit der Übernahme der Strohhutfabrik Milz die Verlagerung ins Allgäu, 1940 übernahm der Schwiegersohn Curt M. Zechbauer, Michael Zechbauers Großvater.
Ein paar Hutfirmen gibt es im Freistaat trotz des Wandels noch; im nahen Weiler-Simmerberg hat zum Beispiel die Marke Seeberger überdauert. Im Hut-Mekka Lindenberg selbst werden dagegen keine Hüte mehr gefertigt, deren Produktion verlagerte Zechbauer vor ein paar Jahren in die Slowakei. "Das ließ sich nicht vermeiden", sagt er, angesichts der schwierigen Lage der Branche. Inzwischen arbeiten am Standort Rožňava rund 100 Menschen. Denn ohne Handarbeit geht auch heute nichts beim Hutmachen: Das sehe trotz allen technischen Fortschritts aus "wie vor 150 Jahren", sagt Zechbauer.
Laut Hutmuseum summieren sich je nach Hut bis zu 70 Arbeitsschritte. Ein paar werden in der Ausstellung per Video gezeigt, auch Mayser-Beschäftigte wirken darin mit. Stark vereinfacht braucht es zunächst für jedes Modell und jede Größe eine Form, die aus Aluminium gegossen wird - sowie für jede Kappe einen Stumpen in der passenden Farbe und aus dem gewünschten Material, Filz etwa. Erst die Hutmacher bringen beide Teile zusammen, indem sie den Rohling über die Form stülpen und passend ziehen. Ganz anders hingegen läuft die Sache bei Strohhüten ab: Für hohe Qualität müssen die weiterhin geflochten werden. "Drodeln", heißt das im Allgäu.
Die Hut-Entwürfe entstehen nach wie vor in der Mayser-Zentrale in Lindenberg. Zwölf Menschen arbeiten hier in Design und Vertrieb. Im Atelier verteilen sich Nähutensilien in kreativem Chaos, an den Wänden hängt die aktuelle Kollektion, auf Schautafeln ist die künftige zu sehen. Im Raum nebenan warten im Regal Holzmodelle. Außerdem finden sich hier mehrere Hut-Apparaturen, von der kleinen Nähmaschine bis zur großen Presse, die mit heißem Dampf Stumpen in Form bringt. Denn jede Maschine, die im slowakischen Werk steht, hat in Lindenberg ihr Gegenstück: So können die Modistinnen und Modisten einerseits aus ihren Ideen Prototypen machen, andererseits gleich testen, unter welchen Parametern später die Produktion gelingt.
Der Hut-Umsatz zog bei Mayser nach eigenen Angaben zuletzt wieder an - und trägt trotz all des damit verbundenen Aufwands doch wenig zum Gesamtumsatz bei, der auf 60 Millionen Euro zusteuert. Denn als Ende der 1960er Jahre immer mehr Hutfirmen in Not gerieten, musste Neues her. Mit Verformungstechnik kannte sich Mayser aus, mit Schaumstoff hatte man ebenfalls experimentiert. Rückblickend vergleicht Zechbauer die Firma mit "einer Bastelbude, die sich in allen Bereichen ausprobiert hat", bis sie am Ende im Automotive-Bereich landete, dem heute stärksten Produktsegment. Dazu zählen Miniaturschaltleisten, die als Einklemmschutz zum Beispiel im Kofferraum verbaut werden, oder Schaumstoffe für die Innenverkleidung.
Entsprechen Hüte, die nur zum Teil in Lindenberg entstehen, noch der Lindenberger Tradition? Oder gibt es diese umgekehrt nur deshalb noch, weil sie heute anders ist, angepasst an die Erfordernisse der Zeit? Hutmachen sei ein "unfassbar tolles Handwerk", sagt Zechbauer. Das wolle er erhalten, gewissermaßen auch der Familiengeschichte zuliebe. "In siebter Generation fände ich es asozial, wenn ich alles Gute und Nette mitnehme und das Anstrengende über Bord werfe." Die Hut-Sparte bei Mayser soll daher weiterleben - auch wenn die großen Hut-Zeiten vielleicht nie wiederkehren werden.