Süddeutsche Zeitung

Oberfranken:Gerüchte um Gewalttat in Lichtenfels

Seit eine Blumenhändlerin im Zentrum der Stadt einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist, schießen Spekulationen ins Kraut. Der Landrat ist ernüchtert und berichtet von "nacktem Fremdenhass".

Von Olaf Przybilla, Lichtenfels

Am vergangenen Freitag wurden Passanten in der Innenstadt von Lichtenfels auf einen Blumenladen aufmerksam, der lange nach Ladenschluss noch unverschlossen war. Im Inneren des Ladens fanden sie eine leblose Frau auf. Die Polizei stellte kurz darauf fest, dass die 50-Jährige einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen ist. Ob Geld aus der Ladenkasse entnommen wurde, darüber machen die Ermittler eine Woche nach der Tat ebenso wenig Angaben wie über die Art, wie die Floristin getötet worden ist. Beides ist Täterwissen. Die Faktenlage ist also dürftig, die Sonderkommission "Blume" sucht noch nach einer heißen Spur, umso mehr schießen die Gerüchte ins Kraut. In der Kreisstadt im nördlichen Oberfranken liegen die Nerven blank.

Bislang war das vor allem in sozialen Netzwerken zu beobachten, auch das aber ging bereits so weit, dass sich das Polizeipräsidium Oberfranken Mitte der Woche dazu veranlasst sah, eine Bitte auszusprechen. Nicht nur das freilich. Man bitte "die Bevölkerung, sich nicht an Gerüchten und Falschmeldungen, insbesondere in den sozialen Medien, zu beteiligen" - etwaige "strafrechtlich relevante Äußerungen" würden konsequent verfolgt.

Von was da die Rede ist, das hat Landrat Christian Meißner (CSU) im Netz mitverfolgen können, seitdem er nach der Tat gepostet hat, "tief erschüttert über das Gewaltverbrechen in der Lichtenfelser Innenstadt" zu sein. Seine Gedanken und sein Mitgefühl seien in den schweren Stunden bei der Familie des Opfers, schrieb Meißner. Und erntete ausländerfeindlich intonierte Häme.

Seit Mittwoch hat er das auch in der Kreisstadt erleben müssen, im Stadtteil Schney. Dort plant der Landkreis eine Unterkunft für 66 Geflüchtete, per Abendveranstaltung sollte darüber informiert werden. Lange vor Veranstaltungsbeginn war die Halle bereits mindestens zur Hälfte besetzt, Rechtspopulisten hatten getrommelt und "organisiertes Publikum" nach Lichtenfels gelockt, berichtet der Landrat. Ein Teil dieses Publikums habe "keine Hemmungen gehabt, rumzubrüllen", zum Teil seien Bemerkungen zu hören gewesen, die Meißner mit "nacktem Fremdenhass" umschreibt.

Bei Zwischenrufen habe das Gewaltverbrechen in der Innenstadt "indirekt" eine Rolle gespielt, sagt der CSU-Politiker. Ganz konkret aber eine Tat in Michelau, etwa sieben Kilometer entfernt von der Stadt Lichtenfels, wo am Sonntagabend ein bewaffneter Mann einen 39-Jährigen mit einem Messer bedroht und nach dessen Geld verlangt hatte. Der 39-Jährige wehrte sich mit einer Hundeleine, der Unbekannte flüchtete daraufhin. Offenbar weil ein Mann, den die Polizei nach der Tat in der Lichtenfelser Innenstadt als möglichen Zeugen sucht, in groben Zügen ähnlich beschrieben wird wie der Unbekannte in Michelau, wird im Netz seither über einen "Serientäter" spekuliert. Natürlich werde dies routinemäßig abgeklärt, sagt eine Polizeisprecherin, man habe darauf aber "keinen Hinweis".

Angesichts der wabernden Gerüchte ist Landrat Meißner ernüchtert. Wie er die Sicherheit der Bevölkerung garantieren könne, sei er in Schney per Zwischenruf gefragt worden. Wer die grausame Gewalttat im Lichtenfelser Zentrum für "politische Zwecke und Spekulationen" missbrauche, "der entlarvt sich selbst", sagt der Landrat - und fügt ein "als Demagoge" hinzu.

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