Lichtenberg in Oberfranken:Im Schatten eines Mordes

Lichtenberg in Oberfranken: Verborgene Schönheit in Oberfranken: Lichtenberg ist eine attraktive Stadt.

Verborgene Schönheit in Oberfranken: Lichtenberg ist eine attraktive Stadt.

(Foto: Helmut Welte/oh)
  • Die Stadt Lichtenberg in Oberfranken ist vor allem wegen des Falls Peggy in die Schlagzeilen geraten.
  • Überall werden die Bürger des Ortes auf das Verbrechen angesprochen.
  • Dabei ist der 1050-Einwohner-Ort im Frankenwald ein nettes Ausflugsziel - auch wenn er mit den typischen Problemen der Region zu kämpfen hat.

Von Olaf Przybilla, Lichtenberg

Ein Porträt der Stadt Lichtenberg, in dem ausnahmsweise mal nicht hauptsächlich vom Fall "Peggy" die Rede sein soll? Rudolf von Waldenfels findet das eine hervorragende Idee, rät aber dazu, nicht ohne Anmeldung in die oberfränkische Kleinstadt zu kommen. Die Lichtenberger würden sich Journalisten nur mit Überwindung öffnen, sagt er, "die haben da viele ungute Erfahrungen gemacht".

Dem Stadtrat Waldenfels, er ist hauptberuflich Schriftsteller, kommt in Lichtenberg die Rolle als "Referent für Öffentlichkeitsarbeit" zu. Eine Funktion, die nicht üblich ist in Ortschaften mit 1050 Einwohnern. Waldenfels erklärt das so: Durch den Fall eines vor 14 Jahren verschwundenen Mädchens "ist unser Städtchen immer wieder äußerst negativ ins Rampenlicht geraten".

Eine hübsche Stadt mit rührigen Bürgern

Zwar kommen viele Künstler nach Lichtenberg, es gibt einen Geigenwettbewerb, die Altstadt ist hübsch und einmal im Jahr feiert man ein Mittelalterfest, bei dem fast jeder zweite Einwohner mithilft. Medial aber, sagt Waldenfels, war Lichtenberg 14 Jahre lang fast ausschließlich die Stadt, die angeblich eine Mauer des Schweigens errichtet hat und angeblich sogar "eine Kultur des Wegschauens" zelebrierte.

Korrigiert, sagt Waldenfels, habe diese Sicht des Boulevards kaum jemand. Auch nicht, als Ulvi K. freikam, der junge Mann mit Behinderung, der als Mörder an Peggy verurteilt wurde. Spätestens nach dem Freispruch im Mai 2014 hätte man die Geschichte erzählen können, "wie ein Ort über ein Jahrzehnt eine Kultur des Hinschauens gepflegt hat", findet Waldenfels. Immerhin habe es in Lichtenberg kaum einer für möglich gehalten, dass ausgerechnet dem schwerfälligen K. der perfekte Mord ohne Leiche gelungen sein soll. Im Gegensatz zur Justiz. "Da hält eine Stadt gegen alle Widerstände zu einem behinderten Menschen", sagt er, "ist das nichts?"

Lichtenberg in Oberfranken: Stolz auf seine Stadt: Bürgermeister Holger Knüppel kam 1995 aus dem Münchner Umland nach Lichtenberg.

Stolz auf seine Stadt: Bürgermeister Holger Knüppel kam 1995 aus dem Münchner Umland nach Lichtenberg.

(Foto: Olaf Przybilla)

"Die Gegend ist einfach so schön"

Okay, jetzt also doch wieder das Thema Peggy, Holger Knüppel schaut etwas gequält. Hat aber auch Verständnis dafür. Egal, wo man hinkomme, man werde als Lichtenberger angesprochen darauf. "Das ist dramatisch für unsere Stadt, aber nicht zu ändern", sagt er. Knüppel kam 1995 als Forstmann aus dem Umland von München nach Lichtenberg, inzwischen ist er Bürgermeister. Und erinnert sich noch an die Fragen, wie man freiwillig ins nördliche Oberfranken ziehen könne, die gibt es bis heute. Während er sich frage, "wie man in der Nähe von München eine Familie ernähren soll".

Angesichts dessen, was er sah in Lichtenberg, habe er sich sofort wohlgefühlt: ein historischer Stadtkern mit bunten Häusern, die Ruhe, eine Ruine mit Blick nach Thüringen, fabelhafte Wälder rund um die Stadt. In den ersten zehn Jahren ist Knüppel kaum in den Urlaub gefahren, "in der Gegend hier ist es einfach so schön", sagt der Ex-Ebersberger. Nur wüssten das dort, wo er hergekommen sei, eben nicht viele. Und über Lichtenberg wisse das schon gleich gar keiner. Von dort gab es in den vergangenen Jahren eben immer nur diese Grusel-Bilder mit rot-weißem Flatterband. Kein Panorama-Bild an Herbstlaub.

Die typischen Probleme Oberfrankens

Andererseits, und das macht Lichtenberg-Hymnen zusätzlich schwer, treffen die Stadt tatsächlich alle typischen Probleme Oberfrankens. Lichtenberg sogar besonders krass. 1300 Einwohner hatte der Ort, als Knüppel kam, jetzt sind es 250 weniger. Industrie hat man fast keine mehr, nicht mal mehr eine Schule gibt es noch. Um die Mittagszeit kann man sich in genau einem Laden versorgen, in einer Bäckerei mit Kühlschrank.

Lichtenberg in Oberfranken: Kuriose Architektur Häuser im Ortsteil "Ferienpark": Hier urlaubten viele Berliner, als die Mauer noch stand - viele blieben und wurden Lichtenberger.

Kuriose Architektur Häuser im Ortsteil "Ferienpark": Hier urlaubten viele Berliner, als die Mauer noch stand - viele blieben und wurden Lichtenberger.

(Foto: Olaf Przybilla)

Am See steht eine riesige Immobilie leer, ein ehemaliges "Freizeitzentrum" mit überdimensionierter Gaststätte, Turnhalle, Kegelbahn. In der Flüchtlingskrise hat man den Bau kürzlich als Quartier anzubieten versucht, ohne Erfolg. Ein düsterer Siebzigerjahrebau in einer Stadt ohne Supermarkt? Schwierig.

Die West-Berliner kamen in den Frankenwald

Unverdrossene gibt es trotzdem. Klaus-Peter Seyer ist einer von ihnen, er wohnt im Ortsteil "Ferienpark", nahe am leeren Freizeitzentrum. Kuriose Häuschen stehen dort, die meisten mit heruntergezogenen Dächern. Als die Mauer noch stand, war der Frankenwald eines der Lieblingsziele der West-Berliner. "Die kamen in Bussen, genossen fränkisches Bier, fuhren wieder", sagt er.

Viele blieben irgendwann, auch Seyer. Fast die ganze Siedlung spricht Berliner Dialekt: "Wo wolln'sn hin?", wird man empfangen. Eigentlich sollte es sogar noch einen "Ferienpark II" geben. Aber als die Mauer fiel, blieben die Sommerfrischler aus Berlin weg. Und jene, die einen Zweitwohnsitz im Westen wollten, kamen auch nicht mehr. Auch deshalb hat das Freizeitzentrum längst dichtgemacht.

Die Stadt hat offenkundig Probleme, Franziska Häußinger hat sie sich trotzdem ausgewählt. Die Ärztin lebte schon in München, Hamburg, Florenz. Aber ihre Praxis hat sie 2013 in Lichtenberg eröffnet. Als "unglaublich offene und angenehme Menschen", erlebe sie die Lichtenberger. Es gebe Tage, da bringe sie Steigen mit Pilzen und Marmeladengläser zuhauf mit nach Hause, weil die Leute so dankbar seien, dass es noch eine Praxis in ihrer Stadt gibt. Eine halbe Sau war kürzlich auch dabei. "Sehr erfüllendes Arbeiten", sagt sie.

Für den Tipp danken wir Margit und Friedrich Jungkunz aus Lichtenberg.

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