Leser-Fragen zum Fall Mollath:"Ist er am Ende doch verrückt?"

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Der Fall Gustl Mollath bewegt viele Leser, die sich sehr besorgt zeigen - und Fragen stellen, die in der Berichterstattung noch nicht aufgegriffen wurden. Die SZ versucht, Antworten darauf zu geben.

Von Olaf Przybilla und Uwe Ritzer

Das Aktenkonvolut von Mollath mit dem er sich 2003 am Amtsgericht Nürnberg zu verteidigen suchte, wirkte zum Teil konfus. War er möglicherweise wirklich schwer verwirrt seit der unfreiwilligen Trennung von seiner Ehefrau?

Nach Berichten mehrerer Zeugen war Mollath in dieser Zeit tatsächlich in seinen Grundfesten erschüttert. Die Zeugen nennen aber auch Gründe, warum dies so war: Da war der Rosenkrieg mit seiner Frau, mit der Mollath zusammen war, seit er 22 Jahre alt war. Da waren die ständigen Gespräche mit seiner Frau, in denen Mollath sie aufgefordert haben soll, Schwarzgeldgeschäfte unverzüglich einzustellen. Da war sein Briefverkehr mit Vorständen der Hypo-Vereinsbank, dem damaligen Arbeitgeber seiner Frau, in dem Mollath die Bank aufforderte, endlich einzugreifen - aber zumindest offiziell kaum Gehör fand (während die Bank in Wahrheit die interne Revision einschaltete).

Da waren die Bitten an die Staatsanwaltschaft, in der Sache zu ermitteln: Mollath übermittelte etliche konzis gehaltene Anzeigen von zwei bis vier Seiten Länge, die sich auf Daten und Personen konzentrierten und selbst für juristische Laien von Insiderwissen zeugten. Ermittlungen lösten diese nicht aus.

Möglicherweise entscheidend für die totale Verunsicherung aber dürfte - nach Beobachtung eines ehemaligen Nachbarn - ein Polizeieinsatz im ehemals gemeinsam bewohnten Anwesen der Mollaths in Nürnberg-Erlenstegen gewesen sein. Nach diesem Polizeieinsatz im Februar 2003 habe Mollath "in großer Panik gelebt, man wolle ihm offenkundig etwas anhängen", erinnert sich der Nachbar im SZ-Gespräch.

Bei dem Einsatz im Haus des Ehepaars Mollath wurde eine Waffe gefunden. War Gustl Mollath vielleicht doch nicht so friedensbewegt, wie er sich selbst immer dargestellt hatte?

Tatsächlich wurde eine Waffe im Haus Mollaths gefunden, das dieser nach dem Auszug seiner Frau alleine bewohnte. Es handelte sich um ein Luftdruckgewehr. Die damalige Ehefrau hatte bei der Kriminalpolizei angegeben, sie habe im zweiten Obergeschoss des Hauses "ein Gewehr" gesehen.

Überdies gab die Frau an, ihr Mann habe angeblich davon geredet, "im Besitz einer Pistole" zu sein, wie die Staatsanwaltschaft auf SZ-Anfrage erklärt. Daraufhin habe das Amtsgericht Nürnberg einen Durchsuchungsbeschluss erwirkt. Es habe der Verdacht bestanden, dass Mollath "die tatsächliche Gewalt über nicht näher bekannte Schusswaffen" ausübe. Mollath erinnert sich, dass mehrere Polizeibeamte in seiner Wohnung aufgetreten seien. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft lassen sich anhand der Akten "keine Einzelheiten zum Ablauf des Einsatzes" feststellen. Gefunden wurde: Ein nach Angaben Mollaths verrostetes, gar nicht mehr funktionstüchtiges Luftgewehr, das seine Eltern - die zuvor in dem Anwesen gewohnt hatten - angeschafft hätten. Laut Staatsanwaltschaft lassen sich keine Aussagen über den Zustand dieses Luftgewehrs machen. Es sei aber nicht eingezogen worden, denn es sei nicht genehmigungspflichtig gewesen.

Das Wichtigste aber: Eine Pistole fand sich nicht. Nach Angaben eines Nachbarn habe die Durchsuchung bei Mollath den Verdacht erhärtet, dass ihm nun mit allen Mitteln etwas angehängt werden sollte. Und dies möglicherweise von Personen, die er dunkler Geldgeschäfte bezichtigt hatte - unter anderem seiner damaligen Ehefrau. Diese will auf SZ-Anfrage nichts zu den Vorwürfen sagen.

Hatte Mollath denn keinen Anwalt?

Doch: den Pflichtverteidiger Thomas Dolmany, mit dem Mollath aber kaum redete, weil er ihm offenbar misstraute. Dolmany sagt, Mollath habe sich ihm gegenüber nicht geöffnet. Nicht einmal von dem Einsatz im Anwesen Mollaths habe er, soweit er sich erinnern könne, etwas gewusst. Der Anwalt wird von damaligen Prozessbeobachtern kritisiert, er habe sich kaum spürbar für Mollath eingesetzt. Dolmany erwidert im SZ-Gespräch, Mollath habe das Amtsgericht im Jahr 2003 "provoziert". Er habe sich kaum in der Lage gesehen, seinem Mandanten zu helfen.

Es gab doch ein Attest, das die Gewalteinwirkungen auf die ehemalige Frau von Gustl Mollath belegen soll.

Tatsächlich war die Frau Mollaths nach der angeblichen Tat ihres Mannes - er soll sie im August 2001 in der gemeinsamen Wohnung geschlagen und gewürgt haben - bei einer Ärztin. Das Attest stellte die Ärztin aber erst mehr als neun Monate nach der angeblichen Tat aus. Die Ärztin kann sich nach Auskunft ihres Mannes, mit dem sie eine Gemeinschaftspraxis betrieben hat, nicht mehr an den Vorgang erinnern. Persönlich möchte die Ärztin keine Stellungnahme dazu abgeben. Eine so große Rolle, sagt ihr Mann, könne das Attest im Verfahren vor dem Landgericht Nürnberg 2006 aber kaum gespielt haben: "Sonst wäre meine Frau doch als Zeugin vorgeladen worden. Das wurde sie aber nicht", sagt der Arzt im SZ-Gespräch.

Gustl Mollath soll auch Reifen aufgeschlitzt haben an den Autos von Personen, die von seinem Fall tangiert waren.

Die Ermittlungsakten lassen so eine Vermutung zu. Ein Beweis findet sich darin jedoch keineswegs. Dafür gibt es verschiedene Hinweise, dass die Ermittlungen gegen Gustl Mollath in dieser Sache mit erheblichem Belastungseifer geführt - und entlastende Hinweise kaum berücksichtigt wurden. Aber wie dem auch sei: Eine Einstufung als "gemeingefährlich" wegen angeblicher Reifenstecherei dürfte als sehr ungewöhnlich gelten. Als Argument für eine Einweisung kam im Jahr 2006 vor dem Landgericht Mollaths angeblicher Schwarzgeldwahn hinzu - der inzwischen kaum mehr aufrechtzuerhalten sein dürfte.

Es gibt doch renommierte Gutachter, die Mollath seit seiner Einweisung eine psychische Krankheit attestiert haben.

Nach dem Chefarzt der Forensischen Abteilung im Bezirkskrankenhaus Bayreuth - dem Mann, der Mollath 2005 ein paranoides Gedankensystem attestiert hatte, ohne ihn untersucht zu haben - waren es im Wesentlichen zwei weitere Gutachter, die Mollath für krank erklärten. Zunächst ein Psychiater aus Berlin. Dieser bestätigte Mollath 2008 eine Krankheit, ohne je mit ihm gesprochen zu haben. Und dies, nachdem ein Psychiater aus Niederbayern zuvor Mollath für "psychopathologisch unauffällig und geschäftsfähig" erklärt hatte - nachdem er ihn selbst untersucht hatte, wohlgemerkt. Ein Gutachter aus Baden-Württemberg kam 2011 zum Ergebnis, Mollaths Gedanken kreisten "um einen fernen Punkt von Unrecht, das sich in der Welt" ereigne, "und der den Kristallisationspunkt der wahnhaften Störung" darstelle.

Demgegenüber stehen vier Stellungnahmen von Psychiatern und Psychologen, die Mollaths Einweisung für nicht gerechtfertigt halten, sowie ein methodenkritisches Gutachten des Bonner Psychiatrie-Professors Klemens Dieckhöfer, der die Gutachten des Jahres 2006 und 2011 förmlich verreißt. In mehr als 40 Jahren als Professor und Gerichtsgutachter seien ihm "Gutachten von dieser zum Teil bizarren Qualität" noch nie untergekommen, sagt Dieckhöfer im SZ-Gespräch. Insbesondere das Gutachten, das 2006 zur Einweisung Mollaths geführt hatte, lasse "jeden wissenschaftlichen Standard" vermissen.

© SZ vom 08.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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