Lernen in Bayern:Lernen mit Stempel drauf

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Krippe, Schulen, Volkshochschule: In einer Bildungsregion sollen alle vernetzt sein. (Foto: Johannes Simon)
  • 73 von 96 Kreisen und kreisfreien Städte wollen Bildungsregion werden.
  • Schulminister Spaenle vergibt den Titel derzeit an einen Landkreis nach dem anderen.
  • Außer einer Urkunde bringt die Zertifizierung aber zunächst nichts.

Von Anna Günther, München

Was dem Heimatminister seine Förderbescheide, sind Schulminister Ludwig Spaenle die Bildungsregionen. Zwar sind im Freistaat schon zahllose Regionen benannt, die vor allem Immobilienmakler und Tourismusämter für ihre Werbezwecke nutzen. Neben geografischen wie dem Abteiland, der Tirschenreuther Teichpfanne oder dem Zugspitzland gibt es die gefühlten wie Franken und Altbayern. Und natürlich die Metropolregionen München und Nürnberg, die gemeinsam fast ganz Bayern abdecken, damit auch die Randregionen profitieren.

Aber Spaenle kürt trotzdem ständig neue Landkreise und verleiht mit Urkunde und Händedruck das Recht, sich Bildungsregion zu nennen. Nur, dass mit dieser Auszeichnung im Gegensatz zu den Bescheiden des Heimatministers kein Geld verbunden ist. Was bringt das Label? Und wieso wollen bisher 73 von 96 Kreisen und kreisfreien Städte mitmachen, obwohl sie weder Fördergelder noch Lehrerstellen bekommen?

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Was soll's bringen?

Die Motive sind so unterschiedlich wie die Regionen. Bildungsregion klingt nach etwas und ein offizielles Label macht sich immer gut. Aber dahinter steckt ein ernstes Ziel: Mädchen und Buben sollen sich bestens entwickeln können, egal, ob sie in Kronach oder Kaufbeuren leben. Durch Synergieeffekte und die Verbesserung des Bildungsangebots hoffen gerade ländliche Regionen, ein existenzielles Problem zu lösen: Die Überalterung der Gesellschaft ist in den Gegenden besonders spürbar, aus denen die jungen Menschen wegziehen, weil sie keine Perspektiven sehen.

Zurück bleiben die Alten und Betriebe, die händeringend Fachkräfte suchen. Finden sie diese nicht, müssen sie mittelfristig schließen. Damit verliert die Region Arbeitsplätze und noch mehr junge Menschen. Beste Bildungsangebote von der Kita bis zu Berufs- und Hochschule sollen Familien im Ort halten und Fachkräfte von morgen bringen. Die wiederum treiben die lokale Wirtschaft voran und bringen Steuern in die Kommunalsäckel - eine Win-Win-Situation. Rund um die Ballungsräume von München, Augsburg und Nürnberg liegt der Fokus eher auf Innovationen und der Abgrenzung voneinander.

Wie kriegt man's?

Um das Zertifikat "Bildungsregion" zu bekommen, müssen Landkreise und kreisfreie Städte ihre Situation analysieren und Zukunftsstrategien entwickeln. Wichtig ist, dass Bürgermeister, Wirtschaft, Schulleiter, Schüler-, Eltern- und Verbandsvertreter in den Prozess eingebunden werden. Die Übergänge von der Krippe bis zu Uni, Betrieb und Erwachsenenbildung sollen in Bildungsregionen nahtlos verlaufen. Kein Mensch und Talent darf verloren gehen, alle Institutionen sollen zusammenarbeiten und voneinander lernen. Denn Bildung sei nicht nur Sache der Schule, heißt es im Ministerium. Inklusion und Integration sind genauso im Konzept zu verankern wie individuelle Förderung.

Ein Netzwerk soll jungen Menschen in Schwierigkeiten helfen, die Bürger sind in Schulen und Jugendarbeit einzubeziehen. Außerdem sollen die Bildungsregionen Strategien erarbeiten, um dem demografischen Wandel zu begegnen. Für das Zertifikat müssen Bewerber Vorbild-Projekte angeben und Gutachten von Sozialministerium, Landesjugendamt, Schulaufsicht und Landesjugendring vorweisen. Bisher sind 56 von 73 Bildungsregionen zertifiziert. Alle Regionen treffen sich jedes Jahr, um sich auszutauschen.

Wer hat's erfunden?

Die Idee stammt vom Schulminister, heißt es im Ministerium, und soll zumindest in der bayerischen Bildungslandschaft gleichwertige Lebensverhältnisse herstellen. Ludwig Spaenle initiierte das Programm 2012 gemeinsam mit dem Sozialministerium, damit auch die Kleinsten und die Ältesten von den Bildungsregionen profitieren. Üblicherweise trennen die Häuser ihre Gebiete scharf: Spaenle übernimmt Schulen und Unis, Emilia Müller kümmert sich um die Lebenszeit davor und danach. Ob Spaenle sich von Baden-Württemberg inspirieren ließ, das drei Jahre vor Bayern Bildungsregionen auslobte, ist nicht überliefert. Bayern hat zumindest bei der Umsetzung die Nase vorn: Zwei Drittel aller Landkreise beteiligen sich, in Baden-Württemberg ist es gut die Hälfte.

Die Ersten

Neu-Ulm war im April 2013 der erste Landkreis, dem Spaenle das Zertifikat ausstellte. Darauf legen sie im Landratsamt Wert. Mühldorf am Inn folgte. Aber beide hatten schon lange vorher beschlossen, in die Bildung zu investieren. In Neu-Ulm initiierte der frühere Landrat Erich Geßner (CSU) 2009 einen Entwicklungsprozess. Als 2012 das Ministerium seine Initiative verkündete, gab es in Neu-Ulm und Umgebung bereits eine Zukunftswerkstatt, Arbeitsgruppen und gemeinsame Projekte.

Einmal im Jahr treffen sich alle Akteure zu einem Kongress, an dessen Schwerpunktthema sich auch die Bildungsprojekte im Landkreis ausrichten. 2017 steht zum Beispiel im Zeichen von Wertevermittlung und Demokratie. Die Bildungsbeauftragte Sonja Seger koordiniert im Landratsamt Strategien und Projekte, ein Bildungsbeirat unterstützt beim strategischen Vorgehen. Der wichtigste Mehrwert sei die überregionale Vernetzung, sagt Seger. Dadurch können Schulen und Kindergärten von den Ideen und Erfahrungen der anderen profitieren.

Die Idee soll in der bayerischen Bildungslandschaft gleichwertige Lebensverhältnisse herstellen. (Foto: Catherina Hess)

In Mühldorf am Inn brachte Landrat Georg Huber (CSU) 2004 eine Bildungsoffensive in Gang. Der Landkreis gehörte 2009 - als einziger ländlicher Raum neben den Städten München, Kaufbeuren und Nürnberg - zu den Regionen, die an "Bildung vor Ort" teilnahmen, einer Initiative des Bundesbildungsministeriums. Spaenles Zertifikat empfindet Stabsstellenleiterin Elisabeth Huber als "Würdigung unserer geleisteten Arbeit" und als Motivation für Bildungsträger, sich zu engagieren. In Mühldorf setzen sie auf Management, um Qualität und Versorgung etwa mit Krippenplätzen oder Erziehern zu verbessern.

Im Bereich Familienbildung sollen Stützpunkte Schwellenangst abbauen. Die Kindertagesstätte empfänden Eltern als angenehmen Ort, sagt Huber, und wenn dort auch Jugendamt oder Erziehungshilfe angesiedelt sind, suchten sie vielleicht eher Hilfe. Huber bemüht sich auch um nahtlose Übergänge, etwa zwischen Schule und Beruf. Mit dem Bildungsexpress fahren jedes Jahr 300 Mühldorfer Schüler nach Salzburg. Im Zug treffen sie auf Firmen aus der Region, entdecken im Idealfall Berufe für sich - und am Schluss auch noch Salzburg.

Die Spezialisten

Während Randgebiete gegen Abwanderung kämpfen, versuchen Regionen zwischen den Ballungsräumen, sich voneinander abzugrenzen. Straubing und der umliegende Landkreis Straubing-Bogen sind seit jeher von Land- und Waldwirtschaft geprägt und haben sich auf die Forschung zu Nachwachsenden Rohstoffe spezialisiert. Mittlerweile gibt es das Kompetenzzentrum für Nachwachsende Rohstoffe und ein Fraunhofer-Institut. Künftig sollen sich schon die Kleinsten durch eigens kreierte Bilderbücher mit Erneuerbaren Energien auseinandersetzen. Über Projekttage oder Lehrerfortbildungen soll das Thema in die Schulen kommen.

Ingolstadt setzt wenig überraschend auf die Naturwissenschaften, der größte Arbeitgeber der Region und die Zulieferer brauchen auch in Zukunft qualifizierte Angestellte. Damit Schulen angehende Fachkräfte liefern, kommen schon Mädchen und Buben im Kindergarten über das Netzwerk "MINT-Macher" mit Mathe, Informatik, Naturwissenschaft und Technik in Berührung. Ist das Interesse erst einmal geweckt, sollen die Kinder sich in Schülerwettbewerben und Forschungsprojekten austoben.

Die Super-Region

Die Bildungsregion unter den Bildungsregionen ist Schwaben. Alle 14 Landkreise und kreisfreie Städte sind zertifiziert. In Schwaben funktioniert die Zusammenarbeit aller Akteure offenbar so gut, dass Spaenle kürzlich eine Super-Region ausrief. Er nennt das "Bildungsgesamtregion". Grund für das Super-Label sei auch die Spezialisierung etwa der Region Kempten auf Inklusion. Der Gesamtbildungsregion verspricht der Minister besondere Aufmerksamkeit, wenn Projekte aus Schwaben aufschlagen. Das könnte dann auch großzügigere Verteilung von Fördergeldern nach sich ziehen. Und damit würde das Label auch finanziell etwas bringen.

© SZ vom 28.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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