Lernen fürs Leben:Wider die süßeste Versuchung

19 11 2015 Süßigkeitenfreie Kasse in einem Verbrauchermarkt in Kaufbeuren im Allgäu Damit Eltern m

Hier gibt es Studentenfutter statt Schokoriegel. Doch Hungrige können selbst einem gesunden Snack nur schwer widerstehen. Verbraucherprofis gehen nie mit leerem Magen einkaufen.

(Foto: Imago)

Im Wahlfach "Verbraucherprofi" lernen die Realschüler im niederbayerischen Riedenburg praktisches Alltagswissen

Von Karsten Fehr, Riedenburg/München

Wenn Moritz in den Supermarkt geht, dann erwacht in ihm der mündige Verbraucher. Dem 15-Jährigen fällt das frische Obst am Eingang auf, das eine einladende Atmosphäre versprüht. Er sieht die hell ausgeleuchteten Regale, deren beste Plätze für die teuersten Produkte reserviert sind. Und kurz vor der Kasse stechen dem Schüler die bewusst dort platzierten Süßigkeiten ins Auge, die ihm das bestätigen, was sein Lehrer ihm im Unterricht geraten hat: "Man sollte einen Lebensmittelladen nie mit leerem Magen betreten."

Moritz ist Realschüler im niederbayrischen Riedenburg und will "Verbraucherprofi" werden. Er besucht das gleichnamige Wahlfach, das seit zwei Jahren an zahlreichen Realschulen in Bayern unterrichtet wird. Es soll die Schüler fit für den Alltag machen und ihnen dabei helfen, bewusste Entscheidungen zu treffen - fernab aller Theorie, von der man ja so häufig hört, sie lasse die Praxis in den Klassenzimmern zu kurz kommen.

"Wir wollen unsere Schüler zu mündigen Verbrauchern erziehen", sagt Thomas Dachs. Der Direktor der Riedenburger Realschule begleitet das Wahlfach bereits seit seiner Pilotphase 2013. Dachs war von Anfang an begeistert: "Die Schüler müssen lernen, sich im alltäglichen Leben selbstständig zurechtzufinden." Die Verbraucherbildung sei in der heutigen Zeit wichtiger denn je.

Das einstündige Fach, das Schüler von der siebten bis zur zehnten Klasse freiwillig wählen können, gliedert sich in vier Themenbereiche: Finanzen, Konsum, Medien sowie Ernährung und Gesundheit. "Die Schüler lernen, wie ein Supermarkt aufgebaut ist, welche Versicherungen sinnvoll sind und wie sie ein Girokonto anlegen können", erklärt Dachs. "Wir haben unser Schul-Tablet mit einem iPad verglichen, Geldscheine auf ihre Echtheit überprüft und die Konsistenz eines Burgers untersucht." Dabei sitzen die Schüler im Idealfall nicht nur stumm im Klassenzimmer, sondern gehen raus "an die Front", zur örtlichen Bank oder dem Gemüsehändler.

Im Wahlangebot vieler Realschulen hat das Fach inzwischen seinen festen Platz gefunden. In Riedenburg nehmen es pro Schuljahr etwa 20 Schüler wahr. Und die sind durchaus angetan. "Ich finde es super, dass wir uns mit Sachen beschäftigen, die man auch für den Joballtag gut gebrauchen kann", sagt Moritz. Außerdem schätzt er die Vielseitigkeit des Faches: "Man bekommt von allem etwas mit." Und offenbar finden nicht nur die Schüler Gefallen an dem Praxisunterricht: Im Mai dieses Jahres wurde das Wahlfach mit dem "Finken 2016" prämiert, einer Auszeichnung des bundesweit anerkannten Präventionsnetzwerks Finanzkompetenz.

Die bayerischen Bildungspolitiker dürften das zufrieden zur Kenntnis genommen haben. Insbesondere, weil auch im Freistaat immer wieder die Kritik laut wird, den Lehrplänen fehle es an lebensweltlichem Bezug. "Non vitae, sed scholae discimus - nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir", hat schon der römische Philosoph Seneca einst angemahnt. Zuletzt hatte 2015 eine Schülerin aus Köln das Schulsystem öffentlich an den Pranger gestellt: "Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann 'ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen", schrieb die 17-Jährige auf Twitter - und erntete dafür einen Tsunami der Zustimmung.

Das bayerische Kultusministerium ist da freilich anderer Meinung: "Aktuell und auch in der Vergangenheit nehmen alle Fächer für sich in Anspruch, alltägliche Probleme aus der Lebenswelt der Schüler zu thematisieren", teilte eine Sprecherin mit. Die bayerischen Schulen würden die Schüler auf ihr späteres Leben umfassend vorbereiten. So seien die Themen Alltagskompetenz und Lebensökonomie verpflichtender Unterrichtsgegenstand, "und zwar schulart- und fächerübergreifend", sagte die Sprecherin weiter.

Dass das Wahlfach "Verbraucherprofi" junge Menschen erfreulicherweise zur Selbstständigkeit erzieht, darüber dürften sich indes alle Beteiligten einig sein. So auch Moritz. Am Schuljahresende steht für ihn und seine Mitschüler die Verbraucher-Prüfung an. Bestehen sie diese, erhalten sie eine Urkunde und den Titel "Verbraucherprofi".

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