Süddeutsche Zeitung

Lenggries:Bei Faschingszug verhöhnt: Männer entschuldigen sich bei Transsexueller

  • Ein Wagen beim Faschingsumzug in Lenggries thematisierte die Transsexualität Amanda Reiters, sie sah sich dadurch verunglimpft.
  • Nachdem sie die Organisatoren zur Rede stellte, haben sich die Verantwortlichen nun persönlich entschuldigt.
  • Bei der Aussprache sprach eine Vertreterin des örtlichen Vereins für Schwule und Lesben über Vorurteile.

Von Alexandra Vecchiato, Lenggries

Es gibt in Bayern fast nichts, was ein Stamperl Schnaps nicht heilen könnte. Selbst der Vorwurf der Diskriminierung und des Sexismus lässt sich damit offenbar ausräumen, wenn die Reue ernst gemeint ist. Eine Stunde vor dem gemeinsamen Stamperl von Opfer und Tätern sieht die Welt noch anders aus. Die jungen Männer, die in den Gasthof Pfaffensteffl im Lenggrieser Ortsteil Wegscheid kommen, nehmen rasch Platz, die Köpfe gesenkt. Sie sind dort, um Abbitte zu leisten. Und zwar bei der Frau mit den roten Haaren, die in der Mitte des Raums am Tisch sitzt.

Amanda Reiter ist transsexuell. So gut wie jeder Einwohner von Lenggries weiß das. Nie gab es Anfeindungen. Bis zum diesjährigen Faschingszug, als ein Wagen einen Phallus zeigte, darunter eine Schere, die zum Schnitt ansetzt. Die jungen Männer zwischen 18 und 28 Jahren stammen aus Wegscheid und Lenggries. Sie wollten beim Faschingszug, der nur alle fünf Jahre stattfindet, besonders witzig sein. Das Motto ihres Wagens: die Reiter-Säge.

So heißt das Gelände noch heute, auf dem sich früher das Sägewerk der Familie von Amanda Reiter befand, die 1967 als Hermann Reiter geboren wurde. Gut 30 Jahre lang lebte sie als Mann, heiratete, wurde Vater eines Sohnes. Bis sie den Schritt wagte, ihren Körper an ihre wahre Geschlechtsidentität anzupassen. "Ich war immer eine Frau. Ich wusste es nur lange nicht", sagt die Unternehmerin.

Hätte er den Spruch gelesen, wäre er mit "dem Hirn dran pappen geblieben"

"Ich bin froh, dass ihr so zahlreich gekommen seid und damit beweist, dass ihr den Arsch in der Hose habt", begrüßt Michael Gascha, Vorsitzender des Lenggrieser Faschingsvereins "Mia sans", die jungen Männer. Gascha lässt keinen Zweifel daran, dass er ihren Faschingsscherz verurteilt.

Wenn er vor dem Umzug doch nur auf der richtigen Straßenseite gestanden hätte, um den Spruch auf dem Wagen lesen zu können, ärgert sich Gascha noch heute. Dann wäre er wohl mit "dem Hirn dran pappen geblieben", dann hätte er eingegriffen. So habe er den Spruch erst gelesen, als der Wagen schon an Familien mit Kindern vorbeigefahren war. Auch der Zweite Vorsitzende Bill Mozer beteuert, dass der Faschingsverein nichts vom Thema des Wagens gewusst habe.

Beim nächsten Umzug werde man bei den Vorbesprechungen noch deutlicher darauf hinweisen, dass diskriminierende Botschaften auch im Fasching Tabu seien, sagt Mozer. Auch werde man die Wagen vorab inspizieren, um derartige Fehltritte künftig zu verhindern. Für die Aussprache zwischen Reiter und den Männern hatte Gascha eigens den "SchuTz" kontaktiert, den Verein für Schwule und Lesben in Bad Tölz und im Oberland.

Einige Männer nicken einsichtig, die anderen richten ihren Blick starr auf den Tisch

Lisa Busch, Beisitzerin im Vorstand von "SchuTz", ist deshalb an diesem Abend in den Gasthof Pfaffensteffl gekommen. Sie erzählt von ihrem Coming-out, vom guten Leben, das man im Oberland führen könne, aber auch von den vielen Schwulen, Lesben und Transsexuellen, die sich nicht trauten, in die Öffentlichkeit zu gehen. Es sei für einen Hoferben nicht leicht, seiner Familie einen männlichen Lebensgefährten vorzustellen. "Die Normalität hier bei uns ist nach wie vor das klassische Familienmodell." Busch bat die jungen Männer, aus der Geschichte zu lernen und in ihrem Umfeld für mehr Toleranz zu werben. "Ihr wisst nicht, ob eure Kinder euch irgendwann sagen, dass sie schwul oder lesbisch sind."

Einige Männer nicken einsichtig, die anderen richten ihren Blick starr auf den Tisch. Namentlich will keiner der Burschen genannt werden, schon gar nicht, weil "so viel Dreck" über sie hereingebrochen sei, sagt einer. In der Arbeit, in der Schule sowie auf der Straße hätten sie sich viel anhören müssen. Und dann die Anfeindungen in den sozialen Medien. "Dorfdeppen" war noch einer der freundlicheren Kommentare. Sie hätten einfach nicht nachgedacht, sich in den Schmarrn mit Alkohol hineingesteigert. "Ihr habt euch und Lenggries geschadet. Ihr seid die Verlierer", sagt Amanda Reiter und reicht jedem der Männer am Ende doch die Hand.

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SZ vom 29.02.2016/ebri
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