Leitkultur:"Ein Gesetz der Ausgrenzung"

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Was ist bayerische Leitkultur? Mit dieser Frage müssen sich die Richter am Verfassungsgerichtshof auseinandersetzen. Weil man den Begriff nicht klar genug definiert habe, seien der Willkür Tür und Tor geöffnet, befürchten SPD und Grüne im Landtag. (Foto: Tobias Hase/dpa)
  • Am Dienstag reichten die Landtagsfraktionen von SPD und Grünen Klage gegen das Integrationsgesetz beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof ein.
  • Das vor allem wegen des Begriffs der Leitkultur kritisierte Gesetz wurde Anfang Dezember im Landtag beschlossen.
  • Das Gesetz der Staatsregierung verletze gleich mehrere Verfassungsgrundsätze, so die Kläger.

Von Lisa Schnell und Wolfgang Wittl, München

Über das umstrittene Integrationsgesetz der Staatsregierung werden die Richter entscheiden. Am Dienstag reichten die Landtagsfraktionen von SPD und Grünen Klage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof ein. Das vor allem wegen des Begriffs der Leitkultur kritisierte Gesetz wurde Anfang Dezember im Landtag beschlossen, nachdem Grüne und SPD vergebens versucht hatten, es mit einer nächtlichen Marathonsitzung zu verhindern. Anschließend kündigten sie eine Verfassungsklage an.

Es handele sich um ein Gesetz der Ausgrenzung, das den Freistaat ein Stück weit zu einem autoritären Bevormundungsstaat mache, sagte SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher. Mindestens sechs Regelungen in dem neuen Gesetz seien mit der Bayerischen Verfassung nicht vereinbar. Die Grünen fanden gleich acht Verstöße. Das Gesetz kranke vor allem am schwammigen Begriff der Leitkultur, kritisierte Margarete Bause, integrationspolitische Sprecherin der Grünen. Migranten, aber auch Unternehmen oder die Medien sollten auf eine Leitkultur verpflichtet werden. Da nicht einmal die CSU wisse, was sich hinter dem Begriff genau verberge, verstoße das Gesetz gegen den Bestimmtheitsgrundsatz.

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Der Innenminister hat mit seinem Zehn-Punkte-Plan ein geteiltes Echo ausgelöst. Während die Union zunehmend applaudiert, wirft die Opposition ihm Ablenkungs- und Wahlkampfmanöver vor.

Danach müssen Gesetze verständlich sein und die in ihnen erwähnten Begriffe klar definiert. Andernfalls seien der Willkür Tür und Tor geöffnet, sagte Rechtsanwalt Michael Bihler, der die Verfassungsklage der SPD ausgearbeitet hat. Auch an anderen Stellen sieht er dieses Gebot nicht eingehalten. So drohe die Staatsregierung demjenigen mit einer Geldbuße, der seine Missachtung vor dem Grundgesetz mit demonstrativen Regelverstößen Ausdruck verleiht. Was demonstrative Regelverstöße seien, werde aber nicht geklärt. Unklar sei auch, was die Staatsregierung mit der Verhinderung von "einseitiger Bewohnerstrukturen" meint, monieren die Grünen.

Der Begriff der Leitkultur sei aber nicht nur unbestimmt, er verstößt aus Sicht der SPD auch gegen die Menschenwürde. Indem das Gesetz eine unabdingbare Achtung der Leitkultur einfordere, mische es sich in Bereiche ein, in denen der Gesetzgeber nichts zu suchen habe, so Rechtsanwalt Bihler. Jeder dürfe sein Leben so gestalten wie er möchte, solange er nicht gegen grundlegende Werte der Verfassung verstoße.

Das Gesetz der Staatsregierung allerdings verletze gleich mehrere Verfassungsgrundsätze. Aus Sicht der SPD beschneidet es die Religionsfreiheit, wenn Kindergärten vorgeschrieben wird, alle Kinder sollten "zentrale Elemente der christlich-abendländischen Kultur erfahren". Es verwehre Migranten ihr Recht auf ein faires Verfahren, wenn diese die Übersetzungskosten für Dolmetscher unter bestimmten Umständen selbst tragen müssen. Wie die Grünen sieht die SPD außerdem die Freiheit des Rundfunks verletzt. Laut Integrationsgesetz soll er zur Vermittlung der Leitkultur beitragen. Damit aber sei die Autonomie der Medien nicht mehr gegeben, so Bihler.

Ministerpräsident Horst Seehofer reagierte auf die Klage gelassen

Die Staatsregierung sei außerdem verpflichtet, Grundrechtseinschränkungen in einem Gesetz deutlich zu benennen, heißt es in der Klageschrift der Grünen. Das im Grundgesetz festgesetzte Zitiergebot diene dazu, dass alle Abgeordneten auch wüssten, wenn sie für die Einschränkung von Grundrechten votieren. Im Integrationsgesetz sei dies aber nicht klar ausgedrückt. Auch habe der Freistaat aus Sicht der Grünen überhaupt nicht die Befugnis, ein eigenes Integrationsgesetz zu erlassen. Der Bund habe bereits ein Integrationsgesetz verfasst, dem Landesgesetze nicht widersprechen dürften. Genau das tue das bayerische Integrationsgesetz aber, da es im Gegensatz zum Bundesgesetz nicht auf Akzeptanz, sondern auf die reine Anpassung von Ausländern setze.

Ministerpräsident Horst Seehofer reagierte auf die Klage gelassen. Jeder habe das Recht zu klagen, sagte er am Rande einer Kabinettssitzung. Allerdings falle ihm auf, dass die Opposition sich vor allem auf Rechtsstreitigkeiten und Untersuchungsausschüsse konzentriere. Stattdessen hätte er lieber eine tief greifende Auseinandersetzung im Parlament. Es sei zwar richtig, dass über das Integrationsgesetz bis in die Morgenstunden debattiert worden sei, trotzdem habe die Debatte den Landtag nicht mit Argumenten versorgt. Seehofer wehrte sich gegen Vorwürfe, es handele sich um ein Ausgrenzungsgesetz. "Wir waren nie für Abschottung", sagte er. Wer gegen die Leitkultur zu Felde ziehe, stelle sich gegen das, was unser Land ausmache, sagte CSU-Mann Markus Blume, der an dem Gesetz mitgearbeitet hat. SPD und Grüne zeigten mit ihrer Klage wieder einmal, dass sie ein gestörtes Verhältnis zu Bayern und zur Lebenswirklichkeit der Menschen hätten.

Ob das Gesetz überhaupt etwas bewirken könne, bezweifelt dagegen Hubert Aiwanger, Chef der Freien Wähler. Das Gesetz enthalte viel politische Prosa, reale Auswirkungen aber habe es wenig. Deshalb sei es "ziemlich wurscht", wie die Klage ausgehe.

© SZ vom 03.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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