Lehrmethoden in der Mathematik:Minus-Problem an Bayerns Schulen

Bayerns Grundschüler lernen seit einiger Zeit ein angeblich logisches neues Verfahren der schriftlichen Subtraktion. Doch es könnte bald wieder aus dem Lehrplan fliegen: Mathematiker halten die Methode für "blanken Unsinn".

Martina Scherf

Mathematik Grundschule Substraktion Bayern

Grübeln an der Grundschule: Seit etwa zehn Jahren wird eine neue Substraktionsmethode an bayerischen Grundschulen gelehrt.

(Foto: Lübke/ddpddp)

Generationen von Grundschülern haben das schriftliche Subtrahieren nach dem gleichen, einfachen Prinzip gelernt. Alle konnten am Ende rechnen, wenn sie in eine höhere Schule wechselten, kein Fall ist bekannt, in dem das Vorrücken ausgerechnet wegen Versagens beim schriftlichen Abziehen gefährdet gewesen wäre. Doch dann kamen ein paar Mathematik-Didaktiker auf die Idee, dass das, was nach Angaben von Wissenschaftlern tatsächlich seit Adam Riese gelehrt wurde, unlogisch und nicht kindgerecht sei, und erfanden eine neue Methode.

Seit etwa zehn Jahren wird diese an bayerischen Grundschulen gelehrt - und hinterlässt bis heute ratlose Eltern, genervte Gymnasiallehrer und erzürnte Universitätsprofessoren. Jetzt steht zur Debatte, ob das, was gestandene Mathematiker für "blanken Unsinn" halten und was in Baden-Württemberg erst gar nicht unterrichtet wird, im neuen Lehrplan wieder rückgängig gemacht wird - nach jahrelangen Diskussionen und nachdem Hunderttausende Schulbücher und Arbeitsblätter gedruckt worden sind.

Helmut Rieder ist Mathematikprofessor, Fachgebiet Stochastik, an der Universität Bayreuth und Vater von sechs Kindern. Als er im Schulheft seiner Tochter eines Tages entdeckte, welchen Zahlenwust die Kinder übereinander schreiben müssen, um eine einfache Subtraktion zu vollziehen, wunderte er sich - und schrieb einen Brief an Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU), in dem er mit logischer Beweisführung, wie es sich für einen Mathematiker gehört, seine Zweifel am Sinn dieser Methode begründete.

Man wolle Schüler zu selbständigem Entwickeln von Lösungen führen, lautete die Antwort des Ministeriums. Das neue sogenannte Abzieh- oder Entbündelungsverfahren sei leichter zu durchschauen, deshalb sei es verbindlich vorgeschrieben worden. Mathematiker Rieder widerspricht: Das Abziehverfahren sei umständlich. Auch sei das bewährte sogenannte Ergänzungsverfahren (Stichwort "Eins gemerkt") keineswegs weniger verständlich oder logisch.

Wer Kinder im Grundschulalter genau beobachte, könne außerdem leicht erkennen, dass sie so lernten, wie es der Lehrer vorführt - also eher schematisch. Sie hätten "noch nicht gleich Ambitionen, ein Verfahren auch theoretisch zu durchdringen", wie die Reform-Didaktiker es nahelegten. Kinder bezögen ihr Erfolgserlebnis zunächst daraus, eine Methode richtig anzuwenden - das gelte im Übrigen auch noch für Bachelor-Studenten, fügte der Professor aus eigener Anschauung an. Dies teilte er alles noch einmal dem Ministerium mit.

Unnötig kompliziertes Verfahren

Auch Gymnasiallehrer sind mit dem Abziehverfahren keineswegs zufrieden, wie Max Schmidt, Vorsitzender des Bayerischen Philologenverbandes und selbst Mathematiklehrer, bestätigt. Beim Eintritt ins Gymnasium wird das Abziehverfahren, das zwei Jahre lang in der Grundschule geübt wurde, oft stillschweigend beerdigt. Wer das Mathebuch eines Fünftklässlers, den aktualisierten "Lambacher/Schweizer", aufschlägt, findet darin die alte "Ergänzungsmethode". Allerdings müssen die Kinder diese dann schnell noch lernen.

Das sei Zeitverschwendung, sagen Eltern, wo es doch ohnehin an Übungsstunden fehle. Mit dem neuen, angeblich so kindgerechten Abziehverfahren kommt man am Gymnasium aber nicht weiter, denn es ist schier unmöglich, auf diese Weise mehrere Zahlen von einem Minuenden abzuziehen, ohne das Blatt Papier vollzukritzeln, sagen Gymnasiallehrer: Solche Schulaufgaben seien kaum noch zu entziffern. Dies bestätigt auch Volker Ulm, Inhaber des Lehrstuhls für Didaktik der Mathematik an der Universität Augsburg. Das Abziehverfahren mache die Subtraktionen unnötig kompliziert, vor allem, wenn mit größeren Zahlen zu rechnen sei. "Ein Algorithmus, der bei manchen Zahlen gut und bei anderen weniger gut funktioniert, sollte aber nicht das Verfahren der Wahl sein", so der Professor.

Dass es Klagen von weiterführenden Schulen gibt, bestätigt auch Thomas Sachsenröder, Direktor des Staatsinstituts für Schulqualität. "Es darf nicht zu Problemen beim Übergang in höhere Schulen kommen", sagt er. Seit Jahren tagen nun Expertenkommissionen zu dem Thema - ohne Ergebnis.

Die Diskussion sei ähnlich überflüssig wie die Debatte, ob Kinder Schreibschrift oder Druckschrift lernen sollten, sagen Grundschullehrer und wünschen sich statt eines solchen Aufwands für ein Lehrplandetail lieber mehr Zeit und Ressourcen für pädagogische Fragen.

Rieder hat einen Verdacht: "Da wurde Bewährtes über Bord geworfen, damit sich einzelne Didaktiker mit zweifelhaften Neuerungen profilieren konnten." Dass Schulbuchverlage, die an jeder Neuerung verdienen, auch Lehrerfortbildungen sponsern, fördere den Einzug manch fragwürdiger Neuerung, vermutet der Professor.

Wie am Ende eine Methode Eingang in einen Lehrplan findet, das ist in etwa so geheimnisumwittert wie das Zustandekommen einer päpstlichen Enzyklika. Derzeit wird nun am Entwurf für den neuen Grundschullehrplan gebastelt. Noch im Herbst, so hofft Sachsenröder, soll es erste Ergebnisse geben.

Eingeführt wird der "Lehrplan Plus" für die Klassen drei und vier dann im Herbst 2015. Man werde, so verlautete aus dem Ministerium, "auf der Grundlage aktueller fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Erkenntnisse und den Empfehlungen der Lehrplankommission und des Lehrplanfachbeirates darüber entscheiden, welcher schriftliche Subtraktionsverfahren künftig Anwendung finden wird". Der Ausgang dieser Entscheidung wird mit Spannung erwartet.

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