Süddeutsche Zeitung

Lehrer in Bayern:Seehofers Milliardengeschenk

Die 800 Lehrerstellen, die gestrichen werden sollten, bleiben jetzt doch erhalten. Die Kosten dafür sind immens. Und auch die Hochschulen wollen nicht freiwillig auf das versprochene Personal verzichten. Kann Bayern jetzt noch Weltmeister im Schuldentilgen werden?

Von Tina Baier, Frank Müller und Mike Szymanski

Wahlkampfzeit ist Wendezeit, in der bayerischen Landespolitik hat man eine gewisse Übung damit, alte Positionen über Bord zu werfen. Deshalb ist die CSU-Fraktionssitzung am Mittwoch im Landtag auch nicht irgendein Termin von vielen. An diesem Tag wirft die CSU mal wieder Ballast ab.

Es geht um Zoff mit den Schulen, ausgelöst hatte ihn die CSU selbst. Vor mehr als zwei Wochen räumte Kultusminister Ludwig Spaenle ein, gut 800 Lehrerstellen streichen zu wollen, obwohl seine Partei mit dem Versprechen in die Landtagswahl gezogen war, die Schulen personell nicht zu schwächen. Deshalb war plötzlich von Wahlbetrug die Rede, Spaenle als Minister in größter Existenz- und Seehofer in Erklärungsnot.

Der Kreis schließt sich an diesem Mittwoch mit Seehofers Satz: "Wir richten uns nach den Tatsachen." Und Tatsache ist, dass die CSU so kurz vor den Kommunalwahlen keinen Ärger gebrauchen kann. Also entschied Seehofer - ein Machtwort - will er es nicht nennen: "Es wird keine Stelle wegfallen im Schulsystem." Am Montag hatte er sich mit Spaenle und Finanzminister Markus Söder stundenlang beraten. In der Fraktionssitzung gewährt er seinen Parteifreunden Einblicke in seine Gedankenwelt. Er habe handeln müssen, um einen Flächenbrand auszutreten. Auch von einem "Befreiungsschlag" ist die Rede, berichten Fraktionsmitglieder. Erst mal ist es ein Schlag. Ganz besonders für Ludwig Spaenle.

Drei Ziele, die nicht zusammenpassen

Auftritt Spaenle. Er müsste eigentlich Hauptakteur sein. Es geht um sein Superministerium für Bildung. Zwei Wochen lang war er Seehofers Prügelknabe. Seehofer hatte gesagt, entweder löse Spaenle das Problem oder er tue das. Jetzt hat Seehofer das Problem gelöst. Spaenle sagt nur: "Ich begrüße den Vorschlag des bayerischen Ministerpräsidenten." Er spricht über Seehofer wie über einen Fremden.

Es sind hektische Stunden in der CSU, viel Bewegung, aber keine abschließende Klarheit. Die Schulen sollen ihre Stellen behalten, die jedoch waren schon den Universitäten versprochen. Und insgesamt wollte der Staat sparen - das sind drei Ziele, die nicht recht zusammengehen. Bildungspolitiker Karl Freller ist froh, wenn die Schulen mehr Stellen bekommen. "Sie müssen immer mehr Probleme der Gemeinschaft lösen."

Hochschulsprecher Oliver Jörg ist sicher, dass die Universitäten nicht die Opfer dieses neuen Plans werden. Denn die Zahl der Studierenden steigt und steigt. Und Haushaltsausschusschef Peter Winter sagt, Finanzpolitiker hätten immer Bauchweh, wenn es ums Geldausgeben geht. "Wenn jetzt weitere Stellen gebraucht werden, muss geprüft werden, ob wir sie in dieser Form schaffen können", sagt Winter.

Einen ganz normalen Vorgang nennt Winter das. So wachsen die Kosten. Seehofer drückt sich vor dem Start der Fraktionssitzung um genaue Aussagen herum. Er wolle keine Diskussionen um "Feinheiten" führen. "Ich schließe überhaupt nichts aus, ich schließe nichts ein."

Seehofers Erklärungsnot, das wird deutlich, ist im Fall Schule noch nicht vorbei. Aus solchen Situationen versucht sich der Ministerpräsident oft dadurch zu retten, dass er aus dem Journalistenpulk heraus einen zufällig vorbeigehenden Parteifreund anspricht. Aber auch das geht schief. Ex-Parteichef Erwin Huber kommt, Seehofer ruft: "Erwin, du warst gestern gut, hat meine Frau gesagt." Gemeint ist wohl ein Fernsehauftritt Hubers, die ungewollte Anzüglichkeit sorgt für Gelächter. Erinnerungen an Edmund Stoibers mitunter missglückte Sprüche werden wach.

Doch die Lage ist ernst, vor allem aus der Sicht von Finanzexperte Winter. Es geht um viel Geld. Winter rechnet kurz: Etwa 800 Stellen, jede kostet im Jahr zwischen 50 000 und 60 000 Euro, mal Lebenserwartung. "Auf Dauer kann das zu zwei Milliarden Euro führen, wobei das sicherlich die untere Grenze ist." Hoffentlich sind bald die Wahlen vorbei, denkt einer aus der Fraktion laut. Dann werde auch die Neigung zu Wahlgeschenken abnehmen. Winter hält die Stellung: "Hier werden keine Geschenke verteilt, hier wird Geld ausgegeben." Ob das nachhaltig sei, wird er gefragt. Bildungsinvestitionen seien immer nachhaltig, sagt Winter.

Geste an Bildungspolitiker

Die Stimmung wird nachdenklich. Bayern will Weltmeister bei der Schuldentilgung sein - passt Seehofers Freigebigkeit in diese Landschaft? Der lang gediente Abgeordnete Thomas Goppel ist eher skeptisch und sagt: "So langfristig ist die Entscheidung schnell getroffen." Aus seiner Sicht: zu schnell. Der Vorschlag sei "mit Sicherheit nicht zu Ende gedacht". Seehofer hält er vor, die Entscheidung "unter dem Druck anstehender Wahlen" getroffen zu haben.

Als "Geste an die Bildungspolitiker" will Seehofer all das verstanden wissen. Bei den Lehrerverbänden geht die Rechnung aber nur zum Teil auf. Sie, die sich in den vergangenen Wochen zu einer ungewöhnlichen Allianz gegen die geplanten Stellenstreichungen zusammengeschlossen hatten, reagieren zwar erleichtert auf die Rücknahme. Aber sie sehen das Problem der arbeitslosen Referendare auch nach Seehofers Schwenk ungelöst. Zum nächsten Einstellungstermin am 1. August werden wieder Hunderte auf der Straße stehen. Dann werden nicht nur wie derzeit junge Gymnasiallehrer betroffen sein, sondern auch Realschul-, Mittelschul- und Grundschullehrer. Der Termin im Sommer ist nämlich der Haupteinstellungstermin, lediglich Gymnasiallehrer werden auch im Februar angestellt.

Anton Huber, der die bayerischen Realschullehrer vertritt, schätzt, dass weniger als zehn Prozent der Absolventen eine Stelle bekommen. Klaus Wenzel, Präsident des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands, rechnet vor allem bei den Grundschullehrern mit dramatisch schlechten Chancen. Und Max Schmidt, Vorsitzender des Philologenverbands, wäre schon froh, wenn die Hälfte der etwa 1800 Anwärter im Gymnasialbereich im Sommer eine Stelle bekämen.

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SZ vom 13.02.2014/ahem
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