Fehlende Lehrerstellen in Bayern:Pädagogen auf Zeit

Kein Bedarf: Auch mit Einser-Abschluss können viele Junglehrer nicht auf eine Stelle im Staatsdienst hoffen. Jetzt gehen sie auf die Straße.

Von Melanie Staudinger und Carolina Torres

Fehlende Lehrerstellen in Bayern: Jetzt geht es los: Nach dem Studium knüpfen Berufseinsteiger oft große Erwartungen an Trainee-Programme. Doch nicht alle halten, was sie versprechen. Im Gegensatz zu einer Lehre oder einem Praktikum sind sie nicht gesetzlich reguliert.

Jetzt geht es los: Nach dem Studium knüpfen Berufseinsteiger oft große Erwartungen an Trainee-Programme. Doch nicht alle halten, was sie versprechen. Im Gegensatz zu einer Lehre oder einem Praktikum sind sie nicht gesetzlich reguliert.

(Foto: Robert Haas)

Sarah Becker pendelt jeden Tag zwischen zwei Schulen. Für die Lehrerin bedeutet das: doppelt so viele Sitzungen wie ihre Kollegen, mehr Elterngespräche, dazu der Fahrtweg. Einen festen Vertrag aber hat sie nicht. Nur bis September ist sie angestellt. Was danach kommt, weiß Becker nicht - wie Hunderte andere Junglehrer, die ein Referendariat absolviert haben. Und trotzdem sagt sie: "Mit diesem Job habe ich den Sechser im Lotto gewonnen." Aus Angst vor beruflichen Nachteilen will Becker nicht, dass ihr richtiger Name in der Zeitung steht. Sie hat Englisch und Französisch auf Gymnasiallehramt studiert. Sechs Jahre lang, inklusive Auslandssemester. Becker schloss ihr Referendariat mit einem Schnitt von 1,88 ab. 32 Referendare gab es an ihrer Schule, für die Geisteswissenschaftler unter ihnen wurde genau eine Planstelle angeboten. Sie bekam keine Stelle. "Mein Schnitt ist einfach nichts wert", sagt sie.

"Mein Schnitt ist einfach nichts wert"

7.30 Uhr am Morgen. Becker ist mit zwei vollbepackten Taschen auf dem Weg zur Arbeit. Die 29-Jährige ist Gymnasiallehrerin. Trotzdem führt ihr Weg sie jeden Morgen zunächst an eine Realschule in München, an der sie neunte und zehnte Klassen unterrichtet - schwierige Schüler mitten in der Pubertät an einer Schule, für die sie eigentlich nicht ausgebildet ist. Sie prüft, ob sie ausgefallene Stunden übernehmen muss, wirft einen Blick in ihr Fach, kopiert das Material für den Tag. Nach den ersten zwei Unterrichtsstunden verlässt sie die Realschule und unterrichtet für den Rest des Tages an einem Gymnasium. Momentan hat Sarah Becker einen Aushilfsjob, verteilt auf zwei Schulen. Zwei Drittel ihrer Arbeit leistet sie am Gymnasium, ein Drittel an der Realschule. Es ist bereits ihr zweiter Aushilfsvertrag. Becker steht auf der Warteliste für eine Planstelle an einer staatlichen Schule, eine Art Beamtenstelle auf Probe. Doch selbst Absolventen mit Notendurchschnitten zwischen 1,0 und 1,3 haben im Februar keine reguläre Stelle an einem Gymnasium bekommen - nur ein Viertel der Lehrkräfte wurde untergebracht.

Referendarin

Sarah Becker wartet seit eineinhalb Jahren auf eine Planstelle an einer staatlichen Schule. Auch im September, zu Schulbeginn, rechnet sie nicht mit einer festen Stelle.

(Foto: Daniel Hofer)

Die Einstellungssituation bereitet nicht nur Becker Kopfzerbrechen. Lehramts-Referendare schlossen sich aus Protest zur Gruppe "Bewegung Bildung" zusammen. Mitte Januar demonstrierten mehr als 300 von ihnen auf dem Münchner Marienplatz. Ihnen gehe es nicht darum, über die bevorstehende Arbeitslosigkeit zu jammern, wie viele betonen. Sondern um die verfehlte Bildungspolitik des Kultusministeriums. Trotz Lehrermangels stelle dieses immer weniger Lehrer ein. Stunden fielen aus, Referendare müssten wie fertig ausgebildete Kräfte arbeiten. Dieser Umstand erzürnt auch die Schüler, die sich immer wieder an neue Lehrer gewöhnen müssen. "Auf uns Schüler wirkt es abschreckend, wenn harte Arbeit nicht belohnt wird", sagte einer bei einer Demonstration am vergangenen Freitag. Und der Münchner Stadtschülerrat, der Mittelschulen, Realschulen, Gymnasien und berufliche Schulen vertritt, schreibt in einer Stellungnahme: "Jungen Menschen nach außen hin Ausbildung zu versprechen und im Hintergrund die langfristigen Planstellen abzuschaffen, kann nicht weiter gängige Praxis sein."

Die Lehrer drängen in den Staatsdienst

Andreas Müller, der in Wirklichkeit ebenfalls anders heißt, will auch eine dieser wenigen Stellen ergattern. Der 28-jährige Referendar unterrichtet Englisch, Geschichte und Sozialkunde an einem Gymnasium in München. Arbeitstage mit zwölf oder mehr Stunden sind für ihn keine Seltenheit: Unterricht vor- und nachbereiten, Elterngespräche, Klausuren erstellen und korrigieren. In Englisch googelt er manchmal, ob es nicht doch irgendwo ein Land gibt, in dem ein Ausdruck, den sich ein Schüler ausgedacht hat, üblich ist. Ausgesucht hat er sich seine Fächerkombination bewusst. Dass er im Jugendbereich arbeiten werde, sei ihm schon lange klar gewesen. Das habe er mit seinen persönlichen Interessen verbinden wollen. "Klar, hätte ich mit Mathe oder Physik bessere Chancen auf einen Job, aber das bringt ja den Schülern nichts, wenn ich die Fächer selbst nicht perfekt beherrsche", sagt er.

Wie Sarah Becker würde er gerne in den Staatsdienst übernommen werden, der den Komfort des Beamtenstatus verspricht. "In Bayern sind 95 Prozent der Lehrer an staatlichen Schulen verbeamtet", sagt Henning Gießen, Pressesprecher des Kultusministeriums. "Das ist für Absolventen natürlich attraktiv." An den privaten Schulen hingegen ist eine Verbeamtung nicht möglich, an den katholischen Gymnasien sind nur zehn Prozent der Lehrer Beamte. Der einzige Weg zu einer Festanstellung an einer staatlichen Schule aber führt über die Planstellen.

Die bekommt derjenige mit den besten Noten, Vorstellungsgespräche finden nicht statt. Selbst wenn Schulen einen Lehrer extra anforderten, heiße das nicht, dass das Kultusministerium ihn auch an diese Schule schicke, sagt Becker. Was Müller missfällt: Die Noten seien anhängig vom Seminarleiter, der den Referendar betreut. "Manche kümmern sich sehr, andere wiederum kommen drei, vier Mal in den Unterricht und damit hat es sich dann", erzählt Müller. Wenn ein Seminarlehrer selbst nur den veralteten Frontalunterricht anbiete, müsse der Referendar das eben auch tun, um eine gute Note zu bekommen: "Mit Pädagogik hat das dann nicht viel zu tun."

Anders gestaltet sich das Verfahren bei der Stadt München, die derzeit 980 Lehrer an Realschulen und 1136 an Gymnasien beschäftigt. "Die Note spielt eine große, aber nicht die alleinige Rolle", sagt eine Sprecherin des zuständigen Bildungsreferats. "Wenn jemand eine besondere Qualifikation hat, bekommt er einen Bonus im Ranking." Es würden ständig Lehrer gesucht, bis 2018 schafft die Stadt alleine für den Ausbau des Ganztagsunterrichts 140 zusätzliche Stellen in ihren Realschulen und Gymnasien. Gute Chancen also für Absolventen, allerdings nicht in allen Fächern: Pädagogen für Fremdsprachen und Deutsch würden derzeit eher nicht benötigt. Statt dessen werden an Realschulen Mathe- und Physiklehrer gesucht, an Gymnasien ebenfalls Mathe- und Physiklehrer - und darüber hinaus Musiklehrer.

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