Kolumne "Das ist schön":Besser leben mit Diagrammen

Kolumne "Das ist schön": Ein Diagramm für das Unfassbare: Mutter (M) verschwindet zwischen zwei Universen: Argentinien (L1) und Mexiko (L2).

Ein Diagramm für das Unfassbare: Mutter (M) verschwindet zwischen zwei Universen: Argentinien (L1) und Mexiko (L2).

(Foto: Maro Verlag)

Der Augsburger Maro Verlag hat Erfolg mit einem ungewöhnlichen Literaturexperiment.

Von Christian Jooß-Bernau

Wie sieht das schematisch aus, wenn einen der Partner verlässt, um anderswo anzudocken? Wie zwei Kreise mit Schnittmenge, in deren Nähe noch ein Einzelkreis schwebt, der aber noch zu den beiden verbundenen Kreisen hinstrebt? Bilden Yoga-Menschen im Park mit ihren Körpern Buchstaben, die man zwar aufschreiben, aber noch nicht entziffern kann? Und ist das Holzfurnier, das ein kegelförmiger Baumspitzer vom Stamm hobelt und auf dem sich die Jahresringe ganz anders als bei einem Querschnitt abbilden nicht Sinnbild für unser Leben, in dem sich die Zeit- und Erinnerungsschichte überlagern?

"Leere Menge" ist der Titel des im Augsburger Maro Verlag erschienenen Buches, das die Grenzen von Literatur, wie wir sie uns gemeinhin vorstellen, verschiebt. Die in Mexiko geborene Künstlerin Verónica Gerber Bicecci erweitert ihren Text durch kleine Zeichnungen: Diagramm, Skizzen, Kritzeleien. In vielen Momenten gelingt ihr eine Verzauberung des Lebens, das sich eben nicht so einfach nur in Worte fassen lässt.

Nach dem Ende einer Beziehung verkriecht sich die Ich-Erzählerin in der Wohnung ihrer Mutter, dem Bunker. Hier lebte die aus der argentinischen Militärdiktatur nach Mexiko Geflohene, die vor einer Weile verschwand - oder besser unsichtbar wurde. Wie dies geschehen konnte erklärt ein Diagramm. Die feuchten Wände bilden Blasen, weil die Welt von außen doch nach innen drückt, und aus gelegentlichem Sex wird noch lange keine neue Beziehung. Wenn man recht sieht, sind die Erklärbildchen in diesem Buch auch kleine Anker für eine Sprache, in der sich Realität auf magische Weise ständig verflüchtigen will.

So speziell und eigenartig ist die Idee hinter der Kunst von Bicecci, dass man als Verlegerin schon etwas Wagemut braucht, um zu erkennen, dass hier etwas aufgezeichnet ist, was auch Leser angeht, die die Erfahrung der argentinischen Diaspora im mexikanischen Exil nicht gemacht haben. Lässt man sich ein auf die "Leere Menge" entdeckt man auch in der Übersetzung von Birgit Weilguny einen melancholischen Sinn für Humor, der manches erträglicher macht.

Ilja Trojanows Bestenliste "Weltempfänger" zeichnet quartalsweise Bücher aus, die die Literatur Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und aus der arabischen Welt bekannt machen. "Leere Menge" hat es aktuell auf Platz Vier geschafft. Das ist schön und gäbe es nicht den kleinen Augsburger Maro Verlag, hätten wir nie von diesem eigenwillig bezaubernden Buch erfahren.

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