Süddeutsche Zeitung

Lebensmittelhygiene:Keime in der Wurst sollen 80 Menschen krank gemacht haben

Lesezeit: 3 min

Von David Costanzo, München/Geretsried

Auf seiner Homepage wirbt die Großmetzgerei noch für verpackte Wurst und Schinken aus dem Kühlregal mit dem Slogan: "Lieber! Sieber! Was anderes kommt nicht in die Tüte." Doch seit Freitagnacht kommt die Ware des Geretsrieder Unternehmens erst gar nicht mehr in den Supermarkt: Das bayerische Verbraucherschutzministerium warnt vor Wurstwaren von Sieber, das Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen hat einen sofortigen Auslieferungsstopp und eine Rückrufaktion angeordnet. Denn die Gesundheitsbehörden und die Experten des Berliner Robert-Koch-Instituts haben den Verdacht, das verpackter Schinken von Sieber für bis zu 80 Fälle von Listeriose-Erkrankungen in Süddeutschland verantwortlich sein könnte, darunter mehrere Todesfälle.

"Die Schinken- und Wurstprodukte sind möglicherweise mit Listerien belastet und gesundheitsgefährdend", teilt das Ministerium mit. Bereits im März waren Bakterien gefunden worden, am Freitag seien fünf weitere positive Ergebnisse gemeldet worden.

Noch am späten Abend verfügte das Landratsamt die drakonischen Maßnahmen. Womöglich muss Sieber zudem mehrere Hundert Tonnen Fleisch vernichten. Verbraucherschutzministerin Ulrike Scharf (CSU) verteidigte das Vorgehen: "Auch für Betriebe einschneidende Maßnahmen werden zum Schutz der Verbraucher ergriffen, wenn sie rechtlich zulässig und erforderlich sind", sagte sie der Süddeutschen Zeitung.

Das Unternehmen selbst äußerte sich am Wochenende zu den Vorwürfen nicht, sondern schloss nur kurzfristig den Werksverkauf in Geretsried. Inzwischen hat Sieber auf seiner Internetseite eine Liste von Produkten veröffentlicht, die zurückgerufen werden. Man habe bereits reagiert und die Produkte sofort aus dem Handel genommen, heißt es dort: "Wir bitten die Verbraucher, die Produkte zu vernichten." Auch hat die Firma unter 08171/ 92 21 - 0 eine Notruf-Hotline eingerichtet.

Die Großmetzgerei, deren Geschichte bis 1825 zurückreicht, gehört zu den großen Lieferanten abgepackter Wurstwaren für Supermärkte, verkauft seine Sieber-Weißwurst auch in Dosen und beliefert nach eigener Darstellung mehrere Großkantinen in Süddeutschland.

Der Olympiapark und der Flughafen München, die auf Sieber-Homepage noch als Abnehmer aufgeführt werden, beziehen nach eigenem Bekunden keine Ware aus Geretsried. Bis 2007 war Sieber auf dem Oktoberfest vertreten, bis vor wenigen Wochen gab es noch einen Imbissverkauf im Lehel.

Jahrelange Detektivarbeit

Laut Verbraucherschutzministerium spreche das Robert-Koch-Institut (RKI) von einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit, dass Waren aus Geretsried im Zusammenhang mit einem Listeriose-Ausbruch in Süddeutschland seit 2012 steht. Um zu dieser Erkenntnis zu kommen, hat es offenbar eine jahrelange epidemiologische Detektivarbeit gebraucht. Laut Andreas Zapf, Leiter des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), fing alles damit an, die Listeriose-Fälle der vergangenen Jahre in Süddeutschland akribisch zu untersuchen und die Patienten detailliert zu befragen.

Listerien würden in der Regel über Lebensmittel übertragen, es sei aber schwer, die Ursache für einen Ausbruch zu finden. Bei einer Inkubationszeit von bis zu 14 Tagen hätten viele Erkrankte vergessen, was sie gegessen haben, und die Packungen längst weggeworfen. Die Untersuchungen hätten deshalb zunächst keine Gemeinsamkeiten ergeben.

Das habe sich im Frühjahr geändert: Da verdichteten sich Hinweise, dass die Patienten Fleisch mögen - insbesondere Bauchspeck, Wammerl, rohen Schinken. Die Behörden entschieden, entsprechende Hersteller ins Visier zu nehmen. Um Ostern gab es einen Treffer bei Sieber in Geretsried: Ende März wiesen die Lebensmittelkontrolleure bei Siebers "Original Bayrischem Wacholderwammerl" eine Kontamination mit Listerien nach. Das Unternehmen zog daraufhin selbst die ganze Charge aus dem Verkehr.

In den vergangenen Tagen nahm der Fall eine dramatische Entwicklung, als die Epidemie-Ermittler ein weiteres, möglicherweise entscheidendes Puzzleteil hinzufügen konnten. Laut LGL-Präsident Zapf habe das RKI die wahrscheinliche Gemeinsamkeit zwischen Listerien auf Seite der Patienten und denen aus dem Wacholderwammerl herausgefunden.

Daraufhin seien Lebensmittelkontrolleure in ganz Süddeutschland ausgeschwärmt, um Sieber-Warenproben in Geschäften zu nehmen. Am Freitagfrüh waren laut Zapf rund 50 Proben ausgewertet - mit fünf Listerien-Befunden. Drei davon stammen aus dem Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen, erklärt Landrat Josef Niedermaier (Freie Wähler). Er betont, dass die Belastungen allesamt weit unter den zulässigen Grenzwerten gelegen hätten.

Nach etlichen Telefonkonferenzen der beteiligten Behörden entschloss man sich am Freitag zu handeln, auch wenn ein direkter Nachweis von Listerien nicht für sämtliche Produkte von Sieber vorliege. "Der Schutz der Verbraucher hat oberste Priorität", sagt Ministerin Ulrike Scharf der SZ. Landrat Josef Niedermaier sagt, Sieber sei sehr kooperativ gewesen. "Bislang war das Unternehmen nicht durch Nachlässigkeiten aufgefallen", so Niedermaier. SPD-Verbraucherschutzexperte Florian von Brunn hält die Warnung für richtig, sieht aber viele offene Fragen: "Ich bin sehr irritiert, dass bei früheren Kontrollen nichts gefunden wurde."

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SZ vom 30.05.2016
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