Süddeutsche Zeitung

Dorfleben:Der Zaunratsch - besser als jede Push-Nachricht

Auf dem Land ist er eine bewährte und weit verbreitete Form der Kommunikation. Den einen bringt er tägliche Ansprache, andere verleitet er zu nie geahnter Redseligkeit.

Kolumne von Lisa Schnell

Eine halbe Stunde von Ingolstadt entfernt schmiegt sich zwischen Ilm und Donau ein winzigkleiner Ort. Eine Straße, zwei Wege, das war's. Schnelles Internet, Glasfaser gar, gibt es nicht. Instagram muss ohne den hiesigen Sonnenuntergang auskommen. Obwohl der vom Hochwasserdamm aus beobachtet und garniert mit herumspringenden Rehen einer der schönsten ist.

Abgeschnitten von der Welt aber sind die Bewohner der paar Bauernhöfe an der Ilm nicht. Eine Neuigkeit verbreitet sich dort schneller als jede Push-Nachricht. Wenn etwa zwei Unbekannte plötzlich auf einem alten Hof gesichtet werden, wie sie ihre noch nie dagewesenen Nasen über die uralte Ackererde beugen, dann kommen die Dorfbewohner einer nach dem anderen ganz zufällig vorbei. Sie zelebrieren eine Form der Kommunikation, die es in der Stadt schon lange nicht mehr gibt. Diese hat ihren Ursprung etwa 10 000 vor Christus, als die Ersten anfingen, ihr Eigentum mit einem Zaun zu schützen. Von diesem Moment an vergaßen die Menschen, dass "zwar die Früchte allen, aber die Erde niemandem gehört". Rousseau beklagte das, missachtete aber einen aufmunternden Nebeneffekt des Gartenzauns: den Zauntratsch.

Fein austarierte Balance zwischen Anteilnahme und Oberflächlichkeit

Zwischen Donau und Ilm beherrschen sie diesen - wie nahezu alle Dorfbewohner - in Perfektion. Wer ganz ohne Absicht oder auch mit, weil von der Neugier gezwickt, am Nachbarn vorbeiläuft, der muss am Zaun stehen bleiben. So ein Zaunbesuch wirkt beiläufig und ist doch fast eine Verpflichtung. Für eher einsame Dorfbewohner ist das ein Segen. Die tägliche Ansprache ist ihnen gewiss, wenn sie sich nur nah genug am Zaun aufhalten.

Hausbewohner mit eher scheuem Gemüt verleitet der schützende Zaun zu nie geahnter Redseligkeit und auch die sehr Beschäftigten müssen ein Zaungespräch nicht fürchten, lebt es doch von einer fein austarierten Balance zwischen Anteilnahme und Oberflächlichkeit. Langatmige Vertiefungen können vermieden werden. An der Ilm endet das erste Zaungespräch zwischen neu Zugereistem und Alteingesessenem wie so viele: Eine kurze Pause, dann sagt der eine: "Ja, so is", der andere: "So schaut's aus." Der Dorfbewohner wandert weiter. Was wohl der Nachbar von den Neulingen hält? Er wird's gleich erfahren - am nächsten Zaun.

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Quelle:
SZ vom 24.04.2019/imei
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